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Irland: Grüne Insel blass vor Schreck

Die Finanzkrise trifft Irland besonders hart – die Zweifel an der Regierung wachsen, ein Rekorddefizit droht.

Die irische Hauptstadt Dublin hat schon seit Jahren keine derartige Demonstration gesehen: angeführt von der Kapelle der Feuerwehr marschierten am Samstag mehr als 100 000 Arbeitnehmer vom Parnell Square zum Merrion Square. Der Gewerkschaftsbund hatte zum Protest gegen die Einkommenskürzungen im öffentlichen Dienst aufgerufen, doch es kamen auch Arbeitnehmer aus der Privatwirtschaft. Angesichts der dramatischen Wirtschaftskrise in Irland – die Wirtschaftsleistung soll 2009 um vier bis gar sechs Prozent schrumpfen – ist die Opferbereitschaft zwar gegeben, aber die Belastung von Straßenfegern und schlecht verdienenden Hilfskräften in Krankenhäusern stößt auf Zorn, solange die besser Verdienenden in der Privatwirtschaft ungeschoren bleiben.

Der verbreitete Unmut wird durch neue Enthüllungen über die Machenschaften irischer Bankiers genährt. Namentlich die inzwischen verstaatlichte Anglo Irish Bank entpuppt sich als Casino für eine Schar von Spekulanten. Jetzt haftet der Steuerzahler für die Verluste, ebenso wie für ein Komplott, die Aktienkurse im letzten Sommer aufzublähen. Das Monopoly im Immobilienmarkt in den Jahren des irischen Wirtschaftswunders steht am Beginn der hausgemachten Schwierigkeiten. Der ansonsten milde Gewerkschaftschef David Begg behauptet mittlerweile, alle irischen Banken würden in den nächsten drei Monaten verstaatlicht.

Die Zweifel an der Kompetenz der Regierung unter Premierminister Brian Cowen wachsen derweil unentwegt. Die jüngste Meinungsumfrage gab seiner Fianna-Fáil-Partei – gewissermaßen die Staatspartei Irlands – gerade noch 22 Prozent Rückhalt und setzte sie damit auf den dritten Platz hinter der ebenfalls zentristischen Fine Gael, aber auch hinter der Labour-Partei. Das hat es noch nie gegeben. Allein, der gelegentlich erhobene Ruf nach einer Neuwahl verspricht keine radikalen Veränderungen. Die Ratlosigkeit der Regierung wird nämlich auch von Fine Gael geteilt. Cowen hat zwar zu Beginn des Monats zugegeben, dass der Lebensstandard der Iren in den nächsten zwei Jahren um zehn bis zwölf Prozent fallen werde, aber der Mangel an sozialem Fingerspitzengefühl bei den bereits beschlossenen Maßnahmen verbreitet den Eindruck der Lähmung.

Dabei wissen alle, dass das Schlimmste noch bevorsteht: Der Fehlbetrag im Etat könnte im laufenden Jahr 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Die Regierung, seit 1997 im Amt, hatte sich während des Booms einseitig auf die Steuereinnahmen aus dem Immobilienmarkt verlassen. Jetzt sitzt der Fiskus auf dem Trockenen. Da die Arbeitslosigkeit innerhalb eines Jahres um 80 Prozent zugenommen hat, steigen nur noch die Ausgaben. Erst am Montag verkündete das Gesundheitswesen empfindliche Einsparungen. Die Brisanz der wirtschaftlichen Notlage sickert erst in diesen Tagen wirklich ins kollektive Bewusstsein ein. Beobachter mahnen besorgt, dass die Bankenskandale und die Fragilität des Immobilienmarktes dazu beitragen, den Ruf des Finanz- und Wirtschaftsstandorts Irland zu unterspülen. Das lässt sich bereits an den Zinssätzen für irische Staatspapiere ablesen. In dieser Lage ist die Frage, wann die Iren ein zweites Mal über den EU-Vertrag von Lissabon abstimmen müssen, gänzlich in den Hintergrund verdrängt worden. Meinungsumfragen versprechen dieses Mal ein Ja.

Martin Alioth[Dublin]

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