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Isaf-Afghanistan-Einsatz geht zu Ende: Was die Bundeswehr versäumt

Die Isaf-Mission, der längste und verlustreichste Einsatz in der Geschichte der Nato, geht zu Ende. Ob das in Afghanistan Erreichte Bestand hat, ist fraglich. Und Deutschland vertut die Chance, aus den Erfahrungen am Hindukusch zu lernen. Das ist fahrlässig. Ein Kommentar

Von Michael Schmidt

Sechs Monate. Nach einem halben Jahr, so die Erwartung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder im Dezember 2001, könnte die Friedensmission in Afghanistan beendet sein. Eine Prophezeiung, die das ungeheure Ausmaß an Naivität und Ahnungslosigkeit offenbart, die am Beginn des Einsatzes standen. Was wusste man von dem Land am Hindukusch? So gut wie nichts.

Nichts von der Geografie, die das Schicksal Afghanistans mitbestimmt, von Hitze- und Kälteextremen. Nichts von den konkurrierenden Ethnien und Stämmen, Familien und Clans. Und nichts vom eigentlichen Konfliktherd, den Stammesgebieten dies-, vor allem aber auch jenseits der Grenze auf pakistanischer Seite. Dort, in den Bergen der Atommacht, nistet die Gefahr von heute.

Jetzt, da die internationale Schutzmission Isaf endet, stellt sich noch einmal die Frage: Wozu das alles? An dem 13 Jahre dauernden Einsatz waren zeitweise 140 000 Soldaten aus mehr als 40 Ländern beteiligt – Tausende von ihnen, darunter 55 deutsche, und noch viel mehr Zivilisten kamen ums Leben.

Was an der Mission als Erfolgsgeschichte gelten mag, die Rückkehr Millionen geflüchteter Afghanen aus dem Exil, der Bau von Schulen, Straßen, Brücken, die Ausbildung hunderttausender einheimischer Sicherheitskräfte – sind fragile Errungenschaften. Allein in den ersten elf Monaten dieses Jahres wurden fast 3200 Zivilisten getötet, so viele wie nie zuvor. Der Drogenanbau ist der einzig boomende Wirtschaftssektor des nach wie vor fast vollständig von ausländischen Hilfszahlungen abhängigen Landes. Die Korruption grassiert.

Die Isaf zieht also nicht ab, weil die Ziele erreicht und nachhaltig gesichert worden wären, sondern aus innenpolitischen Gründen. Die menschlichen wie finanziellen Kosten sind dem Wahlvolk in den westlichen Staaten einfach nicht mehr zu vermitteln.

Werte viel gut? Interessen viel schlecht? So einfach ist das nicht

Offenkundig ist: Vor der Einsicht in unangenehme Wahrheiten schreckt man hierzulande noch immer zurück. Bliebe es dabei, drohte nicht nur die Hindukusch-Mission als Fiasko zu enden. Es würde zudem die Chance vertan, aus Erfahrung klug zu werden. Klingt unglaublich, ist aber wahr: Eine Bilanz des Militäreinsatzes, die Antwort auf die Fragen gäbe, was geklappt hat, was nicht, wo die Stärken liegen, wo Schwächen – eine solche Bilanz gibt es seitens der Bundeswehr nicht. Das ist fahrlässig. Denn längst sind deutsche Soldaten in neuen Einsätzen unterwegs.

Die Politik aber muss sich Rechenschaft darüber ablegen, wozu es eine Armee braucht, was Militär leisten kann (Konfliktparteien trennen, Zeit und Raum für den Wiederaufbau schaffen) und was nicht (Konflikte lösen, Zivilgesellschaften entwickeln).

Dass in der deutschen Debatte Werte und Interessen als Gegensätze begriffen werden, ist ein intellektuelles Armutszeugnis: Werte viel gut, Interessen viel schlecht? So einfach ist es nicht. Und einfach darf es sich auch die Politik nicht machen. Einsatz in der Ukraine: nein; in Syrien: nein; im Kampf gegen den IS: ja. Warum? Das zu erklären, wäre Aufgabe der Politik. Dieser Aufgabe nicht nachzukommen, gleichzeitig aber nahezu beschwörend Deutschland grundsätzlich eine stärkere Rolle in der Weltpolitik beizumessen, bedeutet die Fortsetzung der Hasardeurspolitik des Jahres 2001 nach dem Motto: Erst mal gucken, dann mal sehen.

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