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Politik: Islam statt Tulpen

Westliche Demokratie sei von gestern, ineffizient und passe nicht für alle. Auch Kirgistan müsse sich auf lokale, historisch gewachsene Formen kollektiver Mitbestimmung orientieren: Auf eine „beratende“ Demokratie, die dem Staatschef die Entscheidung überlässt, ob er den Empfehlungen von Parlament und Kurultai – einer jährlichen Versammlung von Führern der Stämme, ethnischer Minderheiten und politisch relevanter Gruppen – folgt oder nicht.

Westliche Demokratie sei von gestern, ineffizient und passe nicht für alle. Auch Kirgistan müsse sich auf lokale, historisch gewachsene Formen kollektiver Mitbestimmung orientieren: Auf eine „beratende“ Demokratie, die dem Staatschef die Entscheidung überlässt, ob er den Empfehlungen von Parlament und Kurultai – einer jährlichen Versammlung von Führern der Stämme, ethnischer Minderheiten und politisch relevanter Gruppen – folgt oder nicht. Das sagt jedenfalls Kirgisen-Präsident Kurmanbek Bakijew, den vor genau fünf Jahren die sogenannte Revolution der Tulpen an die Macht spülte. Ihn hatte die Bush-Administration damals voreilig zum Hoffnungsträger und Reformer erklärt und den Umsturz in der bitterarmen ehemaligen Sowjetrepublik an der Grenze zu China zum demokratischen Aufbruch mit Signalwirkung für die gesamte Region hochgejubelt. Proamerikanische Regime, so das Kalkül, würden auch in Usbekistan, Kasachstan und Tadschikistan die Autokraten entmachten, ganz Zentralasien Aufmarschbasis für die Anti-Terror-Operation in Afghanistan werden, Russlands Einfluss dort gegen null tendieren.

Nichtstaatliche, den Republikanern nahestehende Organisationen aus den USA sollen – so der durch die Revolution entmachtete Präsident Askar Akajew – den Putsch auch angezettelt und vorbereitet haben. Die „Revolution“ sorgte tagelang für Schlagzeilen, den Jahrestag ignorieren die meisten westlichen Medien. Denn selten lagen Beobachter mit ihren Wertungen so daneben. Kirgistan, meinen selbst wohlwollende Experten, unterscheide sich kaum noch von den Regimes in den Nachbarstaaten, wo Schließungen kritischer Medien, Verfolgung von Bürgerrechtlern und Behinderungen der Opposition seit Jahren auf der Tagesordnung sind. Korruption, Clan- und Vetternwirtschaft blühen wie schon unter Akajew. Dazu kommen katastrophale Wirtschaftsdaten, Massenarmut und wachsende Spannungen mit den Nachbarländern.

Die Opposition liegt mit Bakijew im Dauerclinch. Dieser hatte die im Wahlkampf versprochenen Verfassungsänderungen, mit denen die Exekutive mehr Kompetenzen an das Parlament abtreten sollte, immer wieder verschoben und wegen internen Gerangels seiner Gegner schließlich einen Entwurf durchsetzen können, der faktisch jede Gewaltenteilung ad absurdum führte. Nun droht die Opposition mit neuen Protesten. Der Zulauf dürfte sich aber in Grenzen halten. Die Massen wissen, dass die Parteien faktisch nur politischer Arm der regional organisierten Clans sind und vor allem deren Interessen vertreten.

Die Mehrheit sucht daher ihr Heil in der Religion. In keiner anderen ehemaligen Sowjetrepublik schreitet die Islamisierung derzeit mit derartigem Tempo voran wie in Kirgistan, obwohl die Masse der Bevölkerung den Islam bisher vor allem als folkloristisch-kulturelles Element wahrnahm. Einzige Ausnahme: der kirgisische Teil des Fergana-Tals, mit starken usbekischen und tadschikischen Minderheiten, die traditionell sehr religiös eingestellt sind. Seit Bakijews Machtübernahme werden auch im Norden Forderungen nach einer staatstragenden Rolle des Islam, einschließlich politischer Parteien auf religiöser Grundlage, immer lauter. Vorreiter ist dabei die studentische Jugend, die anderswo – auch im Iran – eher an der Spitze der Bewegung für Liberalisierung und westliche Demokratie steht. Umfragen ergaben, dass sich über 50 Prozent der Menschen im Alter von 15 bis 25 Jahren einen islamischen Staat wünschen.

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