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Politik: Israel bezieht Position: Straßenkämpfer außer Kontrolle

Jassir Arafat redet gern und oft über Frieden. Erst am Wochenende hat sich der Herrscher über drei Millionen Palästinenser wieder klar zur "Friedensstrategie" bekannt.

Jassir Arafat redet gern und oft über Frieden. Erst am Wochenende hat sich der Herrscher über drei Millionen Palästinenser wieder klar zur "Friedensstrategie" bekannt. Tatsächlich jedoch hat er die Kontrolle über die Straße längst verloren. Seit Ausbruch der Intifada ist der altersschwache Palästinenserführer mehr und mehr an den Rand des Geschehens gedrängt worden. In den vergangenen sechs Monaten hat er kaum einen Fuß nach West-Jordanien gesetzt. Nach Einschätzung von Beobachtern dirigiert er weder die täglichen Zusammenstöße mit den Israelis, noch versucht er, sie zu stoppen.

Arafat steckt in einem schweren Dilemma. Wenn er aktive Führung - zur Rebellion gegen Israel - übernähme, so wie die Palästinenser es sich wünschen, würde er damit in Konflikt mit den Europäern und Amerikanern geraten, deren Finanzhilfe er dringend bedarf. Würde er die Intifada hingegen stoppen, riskierte er den Bruch mit seinem Volk. "Der wahre Führer der Palästinenser ist heute die Straße", erklärte jüngst der Menschenrechtsaktivist Said Raji Sourani in Gaza. Und das palästinensische Volk sei zur Fortsetzung der Intifada bereit, auch wenn die Führung dies nicht wolle.

Arafats Probleme werden durch die katastrophale ökonomische Situation noch verschlimmert. Die palästinensische Wirtschaft verlor laut Arafat seit September durch die israelische Blockade bis zu drei Milliarden Dollar. Zutiefst alarmiert angesichts eines möglicherweise drohenden Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung sowie der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) wollen UN- und US-Diplomaten die Israelis zum Handeln drängen: Israel soll die seit sechs Monaten zurückbehaltenen Steuer- und Zollerträge, die sie für die PA erheben, ausbezahlen. Es geht dabei um mehr als 320 Millionen Dollar, die wichtigste Einnahmequelle der Selbstverwaltungsbehörde. Die PA kann die Gehälter der rund 115 000 Polizisten und Beamten nur mit großen Verzögerungen auszahlen.

Die palästinensische Gesellschaft ist seit langem in politische und ideologische Fraktionen zersplittert, die Macht der PA reicht kaum über die größeren palästinensischen Städte hinaus. Seit Beginn der Intifada aber entgleitet der Autonomiebehörde die Kontrolle, die sie bisher über das Westjordanland und Gaza ausüben konnte, immer mehr. Auch politisch zeigt sich die Führung orientierungslos. "Wir sind zutiefst verwirrt", klagt der prominente Alt-Politiker Abdel Shafi, "sowohl was die Intifada betrifft (der jede klare Zielsetzung fehle) als auch in der Frage der Verhandlungen (mit Israel)".

Der Aufstand hat den schon zuvor bestehenden Ärger über Ineffizienz, Korruption und andere Aspekte der Führung Arafats noch verstärkt. Die palästinensischen Sicherheitskräfte stoßen bei Festnahmen von Bombenlegern oder anderen Aktivisten im Kampf gegen Israel zunehmend auf Widerstand aus der Bevölkerung, die sich über das oft brutale Verhalten von Arafats Polizisten empören. Arafats Polizisten können die jungen Straßenkämpfer nicht mehr kontrollieren. Radikalere Gruppen, wie der "Islamische Dschihad" oder "Hamas", gewinnen zunehmend an Popularität. Nach Angaben aus Hamas-Kreisen musste sich Arafat dem Druck der Öffentlichkeit beugen und wies seine Sicherheitskräfte an, keine Militanten dieser Organisation mehr zu verhaften.

Birgit Cerha

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