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Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Avigdor Lieberman, designierter Verteidigungsminister.

© AFP

Israel: Warum Lieberman Frieden mit der Hamas schließen könnte

Israels künftiger Verteidigungsminister Avigdor Lieberman gilt als Hardliner. Experten trauen aber gerade ihm zu, mit der Hamas über Frieden zu verhandeln. Lesen Sie hier ihre Argumentation.

Der ultra-rechte Politiker Avigdor Lieberman ist am Montag im Parlament als Israels neuer Verteidigungsminister vereidigt worden. 55 von 120 Abgeordneten stimmten für die Ernennung und 43 dagegen. Der Rest enthielt sich oder war abwesend. Zuvor hatte bereits das Kabinett Liebermans Ernennung einstimmig gebilligt und damit eine handfeste Koalitionskrise beigelegt.
Wird er tatsächlich durchsetzen, was von ihm so markig und provokant gefordert wurde? Dass israelische Araber, die sich illoyal gegenüber Israel verhalten, mit dem Beil geköpft werden sollten? Dass er den Befehl zur Ermordung von Hamas-Führer Ismail Hanija erteilen würde, wenn der die Leichen der 2014 getöteten israelischen Soldaten nicht binnen 48 Stunden übergibt? Dass der jüdische Staat mit dem Gazastreifen so verfahren sollte wie Russland einst mit Tschetschenien?

All das sind die radikalen Worte des designierten israelischen Verteidigungsministers Avigdor Lieberman („Unser Haus Israel“), gesprochen in den vergangenen Monaten und Jahren. Manch einer sieht ihn dennoch als einen Realpolitiker, der Schritte in Richtung Frieden machen könnte: „Die Anführer der Hamas wissen, dass sie keine Chance haben, Israel zu zerstören. Jetzt ist es an der Zeit, mit den Islamisten zu sprechen, und ich wäre nicht überrascht, wenn es Lieberman ist, der das tut“, sagte der ehemalige Mossad-Chef Efraim Halevy bei einer Konferenz vergangene Woche.

Als „vernünftigen Politiker“ beschreibt ihn Gregg Roman, ehemaliger Parteifunktionär von „Unser Haus Israel“ und Berater im Verteidigungsministerium, heute Direktor des Middle East Forum, in einem Meinungsstück für das Magazin „The Forward“ mit dem bezeichnenden Titel „Lieberman ist genau das, was Israel jetzt braucht.“ Romans Argument: Lieberman mag zwar der größte Maulheld in der politischen Arena Israels sein, doch seine Grundüberzeugung sei massentauglich. Er unterstütze die Errichtung eines palästinensischen Staates und wisse, wie wichtig die Beziehungen zu den USA sind.

Kann nur ein Hardliner Frieden bringen?

Selbst seine radikalen Standpunkte, die nicht zum israelischen Konsens passten, basierten auf einer realistischen Einschätzung der Gegebenheiten. So zum Beispiel die Forderung nach der Todesstrafe für palästinensische Terroristen. Lieberman habe erkannt, dass die palästinensischen Terroristen enthemmt morden würden, weil sie wüssten, dass sie später bei einem Gefangenenaustausch wieder freigelassen werden. Und: Schließlich sei es ja auch der Hardliner Menachem Begin (Likud) gewesen, der 1978 die Camp-David-Vereinbarungen mit Ägypten unterzeichnet hätte. Sogar die linksliberale Tageszeitung „Haaretz“ stellt die Frage, ob Premierminister Benjamin Netanjahu einen wie Lieberman in die Regierung geholt hat, um die radikalen Unterstützer von rechts und fanatische Siedler zu beruhigen, wenn es darum geht, an einer Lösung des Konflikts zu arbeiten, das Land zu teilen und Siedlungen zu evakuieren. Avigdor Lieberman – also doch ein Realo mit Potenzial für Frieden? „Man muss sich nur anschauen, was er in den vergangenen Jahren als hochrangiger Politiker erreicht hat“, sagt die Politikexpertin und Bloggerin Tal Schneider. „Und was wir gesehen haben, ist viel Gerede, ein politischer Zickzack-Kurs. Keine politischen Ziele oder Ankündigungen hat er umgesetzt. Und früher hatte seine Partei mehr Sitze als heute.“ Von 2009 bis 2015 war Lieberman Außenminister im Kabinett Netanjahus, mit einer einjährigen Pause wegen Korruptionsvorwürfen. Diese wurden aber fallen gelassen. Geschadet haben sie seiner Karriere nicht.

„Ich glaube nicht an seine Aussagen, denn bisher habe ich nicht gesehen, dass er jemals etwas umgesetzt hat“, sagt Schneider. Seine Pläne für einen Landtausch – also israelische Siedlungen im Westjordanland zu behalten und den Palästinensern im Gegenzug arabische Regionen in Israel zu überlassen – zeigten, wie realitätsfern Lieberman sei. „Es klingt, als lebe jemand seine Kindheitsträume.“

Streit in der Koalition

Damit Lieberman seine Arbeit beginnen kann, muss in dieser Woche allerdings erst einmal der Streit in der Koalition beigelegt werden. Denn noch sträubt sich Bildungsminister Naftali Bennett („Jüdisches Heim“), den Personalwechsel mitzutragen, solange seine Forderung unerfüllt bleibt: Er drängt darauf, einen Militärattaché für den Sicherheitsausschuss zu ernennen, der die Minister auf dem Laufenden hält.

Noch scheint die erhoffte Stärkung der Regierung also nicht beschlossene Sache. Und einige Kommentatoren sehen bereits eine neue Gefahr für Benjamin Netanjahu. Der ehemalige Verteidigungsminister Mosche Jaalon könnte sich mit anderen Enttäuschten und Ausgeschiedenen wie Gideon Saar zusammentun und eine neue Partei gründen, wie es einst Ariel Scharon getan hatte. Nachdem dieser den konservativen Likud verlassen und die Partei Kadima gegründet hatte, setzte er als Regierungschef 2005 den Abzug aus dem Gazastreifen durch – trotz massiver Proteste.

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