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© POOL

Israel: Wer ist Benjamin Netanjahu?

Er verliert an Zustimmung, hat aber die Macht. Was er will, weiß niemand genau. Klar scheint aber, dass er Obama misstraut. Doch es heißt, dass er ihn Anfang der Woche trifft.

GEBOREN

Benjamin „Bibi“ Netanjahu wurde am 21. Oktober 1949 in Tel Aviv geboren. Er wuchs zunächst in Jerusalem auf, als er 14 war, zog die Familie in die USA.

AUSBILDUNG

1967 nahm er in einer Eliteeinheit am Sechs- Tage-Krieg teil, in der er bis 1972 diente. 1976 beendete er sein Architektur- und BWL- Studium. Er war bereits Ministerpräsident, Außen- und Finanzminister – und ist jetzt wieder Premier.

FAMILIE

Netanjahu ist zum dritten Mal verheiratet; aus erster Ehe stammt Tochter Noa, mit seiner heutigen Ehefrau Sarah hat er die Söhne Yair und Avner.

WIE STEHT NETANJAHU EIN JAHR NACH SEINER WAHL INNENPOLITISCH DA?

Im ersten Jahr seiner zweiten Amtszeit als israelischer Ministerpräsident hat sich Benjamin Netanjahu auf den Machterhalt konzentriert. Immer wieder hat er seinen Koalitionspartnern nachgegeben, was ihm ständig Schlagzeilen wie „Kapitulation“ oder „Umfaller“ einbrachte. Inzwischen hat er den Rückhalt in der Bevölkerung verloren: Lediglich 31 Prozent sehen sich durch seine Regierung repräsentiert. Seine nationalkonservative Likud-Partei ist bei der „Sonntagsfrage“ nur noch zweitstärkste Kraft mit 29 Mandaten hinter der oppositionellen Kadima unter Zippi Livni (32).

Netanjahu verfügt zwar nach wie vor über eine deutliche parlamentarische Mehrheit. Aber diese wird immer wieder durch die Nationalisten, insbesondere in seiner eigenen Partei, und die ebenfalls an der Regierung beteiligte ultrareligiöse Schas-Partei erschüttert. Mit handfestem Widerstand muss er rechnen, würde er sich tatsächlich aktiv für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen, die die Gründung eines Staates Palästina und damit massive Siedlungsräumungen zur Folge hätte. Bisher hat er dies bloß angedeutet. Seine regierungsinternen Gegner haben aber bereits vorsorglich unerbittliche Opposition für alle Schritte angekündigt, die aus ihrer Sicht Kapitulation vor den Palästinensern oder den USA darstellen könnten.

Noch ist den Nationalisten die Machtteilhabe wichtig. Dabei helfen die vielen Zugeständnisse Netanjahus wie der Teil-Baustopp für Siedlungen im Westjordanland statt des von USA und Palästinensern geforderten umfassenden Baustopps in den besetzten Gebieten, darunter auch Ost-Jerusalem. Solange Netanjahu den Status quo garantiert, lassen sie ihn reden, was er will. Die Konsequenz: 47 Prozent der Israelis sind sich mittlerweile sicher, Netanjahu werde von seinen Ministern geleitet, nur 41 Prozent glauben, er führe die Regierung.

WAS IST NETANJAHU: HARDLINER ODER PRAGMATIKER?

Netanjahu ist nicht nur Regierungschef, er ist auch ein „Prinz“. So werden die Nachfahren der Anführer der rechtsnationalen Untergrundbewegungen Lechi und IZL aus der britischen Mandatszeit genannt. Nur wenige von ihnen haben sich wie Oppositionsführerin Livni und Netanjahus Vorgänger Ehud Olmert von dieser überholten radikalzionistischen Ideologie gelöst. Mit Netanjahu verblieben im nationalistischen Lager die meisten prominenten Prinzen. Sie lehnen seinen ideologischen Schwenk von der Groß-Israel-Ideologie hin zu einer Zwei-Staaten-Lösung ab. Und sie sind einflussreich. Indes: Was Netanjahu wirklich will, weiß niemand. Vermutlich hat er seine Vergangenheit noch nicht abgeschüttelt. Er versteht sich weiterhin als Anführer des „Nationalen Lagers“. Den Eindruck, er sei noch ein Hardliner, verstärkt er selbst im Streit um den Siedlungsbau, in dem er auch den wichtigsten Verbündeten USA brüskiert.

WARUM IST DAS VERHÄLTNIS ZU DEN USA SO ABGEKÜHLT?

Zwischen Netanjahu und US-Präsident Barack Obama herrscht tiefes Misstrauen. Die Chemie zwischen beiden stimmt nicht. Vielleicht ändert sich das, wenn sie sich Anfang der Woche in Washington treffen sollten. Entsprechende Berichte wollte das Weiße Haus aber zunächst nicht bestätigen.

Zu den atmosphärischen Störungen kommen noch unterschiedliche strategische Präferenzen hinzu. Das Allerwichtigste ist es für Netanjahu wie für praktisch alle israelischen Politiker, eine iranische Atombombe zu verhindern. Obama muss sich aber auch noch mit Afghanistan und dem Irak herumplagen. Anders als Obama will Netanjahu keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Iran und Palästina, zwischen dem Aufbau einer Allianz gegen Teherans Aufrüstung und den Siedlungsaktivitäten erblicken. Er tut so, als ob die arabische Welt mit Israel in Sachen Iran kooperieren könnte, während jüdische Siedler unbehindert versuchen, im Westjordanland unumstößliche Tatsachen auf Kosten der Palästinenser zu schaffen. Netanjahu ist in den USA aufgewachsen und erzogen worden, er hat dort studiert und für Israel diplomatisch und politisch gearbeitet. Er hat auch den Sprachstil amerikanischer Politiker in Israel eingeführt. Er zog immer die USA, wo er bei der äußersten Rechten, bei den religiösen Fundamentalisten, Republikanern und der Hochfinanz über Freunde verfügt, den Europäern vor. Damit ist es jetzt vorbei.

Im Weißen Haus sitzt mit Obama ein Mann, der zu Beginn seiner Amtszeit in der Nahostpolitik und dem Verhältnis zum Islam wohl zu viel wollte und nun doppelt enttäuscht ist – vom ausbleibenden politischen Erfolg bei den Arabern und von Israel, dem wichtigsten strategischen Partner. Die Friedensbemühungen stocken. Selbst die Ankündigung zumindest indirekter Gespräche konterkarierte die Netanjahu-Regierung mit ihren Baubeschlüssen in Ost-Jerusalem.

IST EIN FRIEDENSPROZESS MIT

NETANJAHU ÜBERHAUPT MÖGLICH?

Für wirkliche Fortschritte im Nahostkonflikt braucht es mindestens Israel, die Palästinenser und die USA; vielleicht noch das Nahostquartett, Ägypten, die arabische Welt und die Türkei. Und selbst dann ist ein Erfolg keineswegs sicher. Derzeit liegt dies bestimmt auch an Netanjahu – allerdings keineswegs allein. Washingtons Nahostpolitik will häufig zu viel zu schnell. Doch ein Vermittler mit realitätsfernen Illusionen ist alles andere als ein Erfolgsgarant. Das gilt insbesondere für die Lösung eines so vertrackten Problems, wie es der israelisch-palästinensische Konflikt darstellt.

Auch bei den Palästinensern drängen längst nicht alle Gemäßigten auf zügige Verhandlungen, die ihrer Meinung nach ohnehin wenig Erfolg versprechend sind. Vor allem aber verhindert die unüberbrückbar scheinende Spaltung zwischen Islamisten und Nationalisten, zwischen Hamas und Fatah, dem Gazastreifen und dem Westjordanland jeden konkreten Fortschritt bei Verhandlungen. Von der Chance, mögliche Ergebnisse dann auch umzusetzen, ganz zu schweigen.

Während seiner ersten Amtszeit (1996-1999) hat Netanjahu genau auf diese Schwäche der Gegenseite gesetzt. So brachte er den damaligen Friedensprozess, basierend auf den Osloer Abkommen von 1993, zum Stillstand. Den Palästinensern wollte er nur etwas geben, wenn sie ihrerseits in Vorleistung gingen. Was diese nicht taten und ihn so auch nicht in die Bredouille brachten.

Wenn die Verhandlungen einmal angelaufen sind, wird Netanjahu wohl genau die gleiche Taktik anwenden. Alles andere wäre eine Überraschung. Zu einer solchen war er zwar mit seiner Zwei-Staaten-Rede im vergangenen Jahr bereit. Aber 59 Prozent der Israelis trauen Netanjahus Regierung einen Durchbruch bei den Verhandlungen mit den Palästinensern nicht zu. Es steht zu befürchten, dass sie recht behalten werden.

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