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 Russlands Präsident Wladimir Putin

© AFP

Israelis und Palästinenser: Putin gibt den Friedensstifter in Nahost

In Syrien führt er Krieg, in Israel will er Frieden schaffen: Russlands Präsident Wladimir Putin hat Israelis und Palästinenser zum Friedensgipfel nach Moskau geladen. Doch es gibt Zweifel, ob die Veranstaltung zum Erfolg führt.

Syrien, Flüchtlinge, Terrorismus, „Islamischer Staat“ – der Nahe Osten hält die Welt in Atem. Dabei ist ein Konflikt weitgehend aus dem Blickfeld geraten: der zwischen Israelis und Palästinensern. Jahrzehntelang dominierte die Auseinandersetzung die außenpolitische Agenda der Großmächte. Das scheint lange her, der Dauerkonflikt fast vergessen. Doch das könnte sich bald ändern.

Offenbar schickt sich Wladimir Putin an, zwischen den beiden verfeindeten Parteien zu vermitteln. Vor zwei Wochen kündigte Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al Sisi an, der Kremlchef werde Benjamin Netanjahu und Mahmud Abbas zu direkten Gesprächen nach Moskau einladen. Nun gibt es Berichte darüber, dass sich Israels Regierungschef und der Palästinenserpräsident bereit erklärt hätten, ein mögliches Vermittlungsangebot anzunehmen.

Russlands Präsident als anerkannter Friedensstifter – das wäre für Putin ein enormer Prestigeerfolg und eine herbe diplomatische Niederlage für die USA. Washington hatte sich vor zwei Jahren in der Person von Außenminister John Kerry intensiv um eine Lösung des Konflikts bemüht, jedoch vergeblich. Und nun kommt Putin. Was treibt ihn an? Wie reagieren Abbas und Netanjahu? Und: Welche Aussichten auf Erfolg gibt es?

PUTINS PLAN

Wer es schafft, Israelis wie Palästinensern Kompromisse abzuringen und beide Völker zumindest ansatzweise zu versöhnen, dem ist der Friedensnobelpreis sicher. Doch bisher ist dies Kunststück keinem gelungen. Das weiß selbstredend auch Wladimir Putin. Deshalb ist es fraglich, ob er tatsächlich eine realistische Chance auf ein Ende des Konflikts sieht.

Doch das dürfte für ihn ohnehin nicht im Vordergrund stehen. Vielmehr sieht Russlands Präsident die große Chance, ein politisches Vakuum für sich gewinnbringend zu nutzen. Das hat bereits vor gut einem Jahr aus seiner Sicht hervorragend geklappt. Während Amerika zögerte und sich damit unglaubwürdig machte, schuf der Kremlchef mit dem Einmarsch in Syrien Fakten. Die Botschaft war eindeutig: Nach bald einem Vierteljahrhundert kehrte Russland auf die Bühne des Nahen Ostens zurück und versucht seitdem, Washington unverhohlen den ordnungspolitischen Rang abzulaufen.

In der Region führt kein Weg an Moskaus Interessen vorbei – das soll jetzt auch für den Streit zwischen Palästinensern und dem jüdischen Staat gelten. Markus Kaim nennt das einen grundlegenden Paradigmenwechsel. „Die USA ziehen sich immer mehr zurück, fahren ihr Engagement herunter. Und Russland nutzt diese Gelegenheit“, sagt der Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Erleichtert wird das den Strategen in Moskau durch einen simplen Umstand. Staaten wie Saudi-Arabien oder die Türkei sind mit Amerika unzufrieden. Seine Stärke, sein Engagement, seine Zuverlässigkeit werden in Zweifel gezogen. Da macht Israel keine Ausnahme.

Moskau dagegen schmiedet Allianzen und sucht dafür engen Kontakt etwa zum Iran, Ägypten oder der Regierung in Ankara. Auffallend ist vor allem die Nähe zu den Verantwortlichen in Jerusalem. Allein in diesem Jahr hat sich Putin mehrfach mit Netanjahu getroffen. „Russland begreift sich inzwischen als Ordnungsmacht – und wird als solche von vielen Akteuren akzeptiert“, sagt Kaim.

Ob das reicht, um den Nahostkonflikt zu lösen? Shimon Stein ist da ziemlich skeptisch. Der Nahost-Experte und ehemalige israelische Botschafter in Deutschland verweist darauf, dass Putin bisher lediglich die Lage sondieren lässt. „Die entscheidende Frage für Putin lautet doch: Lohnt sich die Anstrengung? Hätte also eine derartige Initiative überhaupt Aussicht auf Erfolg?“ Erst wenn das gesichert sei, werde der russische Präsident womöglich handeln. „Putin weiß sehr genau: Schon viele haben sich im Nahostkonflikt die Finger verbrannt.“

Stein jedenfalls kann keine grundlegend neuen Entwicklungen und Einstellungen bei den Konfliktparteien entdecken. „Netanjahu sagt nach wie vor, er sei zu Gesprächen ohne Vorbedingungen bereit. Abbas wiederum beharrt weiter darauf, dass zunächst der Siedlungsbau gestoppt und palästinensische Häftlinge freigelassen werden müssen – da sehe ich nicht viel Bewegung “, sagt der Senior Fellow am Institut für Sicherheits-Studien an der Tel Aviv Universität. Und: „Warum sollten Abbas und Netanjahu dem Kremlchef Zugeständnisse machen, die sie den USA vor zwei Jahren in den Gesprächen mit US-Außenminister Kerry verweigerten?“

NETANJAHUS NUTZEN

Es ist eine bemerkenswerte Beziehung, die Netanjahu in den vergangenen Monaten zum russischen Staatspräsidenten aufgebaut hat. Insgesamt vier Mal reiste er seit Oktober 2015 zu Putin. Bisweilen muteten die Treffen wie das Rendezvous zweier Verliebter an. So führte der Russe seinen israelischen Gast im Juni ins Bolschoi-Theater aus. Russland und Israel könnten stolz auf ihre hochrangige Partnerschaft, ihre fruchtvolle Zusammenarbeit und die weit reichenden Geschäftsbeziehungen sein, schwärmte Putin anschließend. In Israel wird dennoch daran gezweifelt, ob sich zwischen beiden eine politische Romanze anbahnt. „Netanjahu und Putin lieben sich nicht, sie können einander zurzeit nur sehr gut gebrauchen“, sagt der Russland-Kenner Zvi Magen.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu.

© dpa

Es habe in den vergangenen Jahren einige geopolitische Entwicklungen in der Nachbarschaft gegeben, die Netanjahu zum Handeln gezwungen hätten, glaubt der Israeli, der sein Land von 1998 bis 1999 als Botschafter in Russland vertrat. „Um dieser Situation Herr zu werden, streckt Netanjahu jetzt seine Fühler nach Moskau aus. Um eine Liebesgeschichte handelt es sich dennoch nicht, vielmehr ist es ein „Lehrstück in Realpolitik“, glaubt Magen.

Vor allem der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien beunruhigt Israels Premier. Als Russland im September 2015 damit begann, Kampfjets zur Unterstützung von Machthaber Baschar al Assad zu schicken, nahm man das in Jerusalem mit Schrecken zur Kenntnis. Israels Regierungschef versuchte anfangs noch, den Kreml davon zu überzeugen, auf russische Flüge nahe der israelisch-syrischen Grenze zu verzichten. Putin aber lehnte ab. Immerhin, der Russe einigte sich mit Netanjahu wenig später auf ein militärisches Warnsystem, mit dem Militär-Konfrontationen verhindert werden sollten – bisher mit Erfolg.

Langfristig sei das aber zu wenig für eine strategische Partnerschaft, glaubt Magen. „Dafür sind die Differenzen der beiden in vielen Fragen einfach zu groß“, sagt er. „Denken wir nur an Irans Rolle in der Region – Netanjahu wird sich niemals damit abfinden können, dass Russland Teheran hochrüstet.“ Aber auch kulturelle Barrieren erschweren eine weitere Annäherung, glaubt der frühere Diplomat: „Netanjahu hat in Cambridge studiert, in Boston als Berater gearbeitet, und wenn er Englisch spricht, tut er es mit amerikanischem Akzent“, sagt Magen. „Auch wenn die Beziehung zur Obama-Administration derzeit zerrüttet sein mag, für Netanjahu werden die Beziehungen zu Amerika immer Priorität besitzen.“

Der Flirt mit Russland und damit einhergehend auch der anstehende mögliche Friedensgipfel in Moskau seien daher nicht zuletzt auch ein trotziger Wink Richtung Obama. „Netanjahus Botschaft an das Weiße Haus ist deutlich: ,Schaut her, wir brauchen euch nicht.’“ Dass Jerusalem mit dieser trotzigen Strategie ein hohes Risiko eingeht, davor warnt indes Ex-Botschafter Shimon Stein: „Würde Netanjahu Präsident Putin zum federführenden Akteur im Nahostkonflikt erklären, wäre das eine offenkundige Brüskierung des engen Verbündeten USA.“ Ein solcher Schritt ist nach Steins Einschätzung deshalb kaum vorstellbar. Auch weil schon bald eine langfristige militärische Unterstützung Israels durch die USA besiegelt werden soll.

ABBAS’ ANGST

Eigentlich wäre die russische Friedensinitiative eine gute Nachricht für Palästinenserpräsident Abbas. Denn historisch sind die Kontakte zwischen Ramallah und Moskau eng: „Die palästinensische Autonomiebehörde verbindet eine lange, freundschaftliche Beziehung mit Moskau, und diese Freundschaft hat auch Putin gepflegt“, sagt Russland-Kenner Zvi Magen. Weil aber auch den Palästinensern die jüngste Annäherung zwischen Russen und Israelis nicht entgangen ist, wirkte Abbas zuletzt nervös.

Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas.
Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas.

© dpa

Die Beziehungen zu anderen Nationen müssten zwar gut sein, zitierte der staatliche Fernsehsender „Palästina TV“ einen sichtlich erregten Palästinenserpräsidenten Anfang der Woche: „Letztendlich müssen wir aber wie Palästinenser denken und nicht wie Washington oder Moskau“, schimpfte er. Um sich auf die russische Initiative einzulassen, bräuchte es daher mehr als warme Worte, glaubt Shimon Stein: „Abbas würde von Russland Garantien erwarten, dass sich Israels Regierung tatsächlich bewegt.“

Das dürfte sogar Putin schwer fallen. Dass sich Abbas dennoch darauf eingelassen hat, nach Russland zu reisen, dürfte wohl nicht zuletzt daran liegen, dass er innenpolitisch unter Druck steht. Für Oktober stehen im Westjordanland und Gazastreifen Kommunalwahlen an, und derzeit deutet alles auf einen klaren Sieg der Hamas hin. Eine Erfolgsmeldung – sei es auch nur ein gemeinsames Foto mit Putin – kann seine Fatah also gut brauchen.

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