zum Hauptinhalt
Weltweit ist die Fahne das Symbol für einen Palästinenserstaat.

© dpa

Israelisch-Palästinensischer Konflikt: Staat Nummer 194?

Bei der UN-Vollversammlung ab dem 20. September 2011 will die Palästinenserführung einem eigenständigen Staat den Weg ebnen. Wie soll das gehen und welche Chancen hat der Plan?

Berlin - Bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen ab dem 20. September will die Palästinenserführung ihr Streben nach einem eigenen Staat vorantreiben: Entweder wird sie die Vollmitgliedschaft Palästinas als 194. Staat beantragen oder, als kleinere Lösung, eine Aufwertung des bisherigen Beobachterstatus fordern. Aus der bisherigen „entity“ (einem Gebilde) könnte im Sinne der kleineren Lösung ein „non-member-state“ werden. Damit erhoffen sich die Palästinenser nach Jahrzehnten erfolgloser Verhandlungen mit dem Staat Israel die Zwei-Staaten-Lösung zu retten, die durch den andauernden Bau völkerrechtlich illegaler israelischer Siedlungen auf palästinensischem Land und in Ost-Jerusalem unterhöhlt wird.

Die Anerkennung wäre ein symbolischer Sieg für die Palästinenser, der den Streit über die Grenzen zu Israel nicht löst. Der Status eines „non-member- state“ gäbe ihnen aber auch neue rechtliche Handhabe.

Israel und die USA lehnen diesen „einseitigen“ Schritt ab und behaupten, dass damit eine Verhandlungslösung schwieriger würde. Allerdings gibt es seit Jahren schon keine Verhandlungen mehr, weil Israel den Siedlungsbau nicht einstellen und die Grenzen von 1967 nicht als Grundlage von Verhandlungen anerkennen will.

Noch ist unklar, welchen Weg die Palästinenserführung für die Sitzung, die in nicht mal mehr zehn Tagen eröffnet wird, genau einschlägt. Denn sie hat zwei Möglichkeiten: Um Vollmitglied der UN zu werden, müssten die Palästinenser einen Antrag beim UN-Generalsekretär stellen, der ihn an den Sicherheitsrat weiterleitet. Nur mit einer Empfehlung des Sicherheitsrates kann die Generalversammlung über einen entsprechenden Antrag abstimmen. In der Generalversammlung ist eine ausreichende Zweidrittelmehrheit relativ sicher, da bereits mehr als 120 Staaten Palästina als Staat anerkannt haben. Doch die USA haben erklärt, sie würden im Sicherheitsrat ihr Veto einlegen, so dass das Gremium keine Empfehlung an die Vollversammlung abgeben kann und damit dieser Weg versperrt ist. Der US-Kongress hat den Palästinensern bereits gedroht, ihnen die finanzielle Unterstützung zu verweigern, sollten sie diesen Weg beschreiten.

Bis auf Algerien hat auch kein arabisches Land seit Jahresanfang die versprochenen Hilfsgelder an die Palästinenser gezahlt. Daraufhin wurden die Gehälter der Angestellten der Autonomiebehörde im Juni halbiert. Wie es weitergeht, ist ungeklärt. Die Palästinenser sind sich sicher, dass Saudi-Arabien und die anderen reichen Golfstaaten die Gelder auf amerikanischen Druck hin zurückhalten. Damit hätte der Weg vor den Sicherheitsrat eine direkte Konfrontation der Palästinenser mit den USA zur Folge.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Lösung eines "non-member-state" bedeutet.

Die Alternative, die sich derzeit abzeichnet, ist ein Antrag in der Vollversammlung am 20. September, der allen Staaten empfehlen soll, Palästina anzuerkennen und als „non-member-state“ mit Beobachterstatus aufzunehmen. Das wäre die sogenannte Vatikan-Lösung, der Kirchenstaat hat bis heute diesen Status, den bis 2002 auch die Schweiz innehatte. Dazu ist kein Votum des Sicherheitsrates nötig. Eine solche Aufwertung verstünden die Palästinenser als eine De-facto-Anerkennung als Staat und sie erhoffen sich davon, dass sie Mitglieder in UN-Organisationen wie dem Internationalen Gerichtshof und in internationalen Institutionen wie dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag werden dürfen. Auf der Basis könnten die Palästinenser diese Gerichte anrufen und mögliche israelische Verbrechen und Verstöße gegen das Völkerrecht ahnden lassen; was ihnen bisher verwehrt ist.

Derzeit liegt noch kein Resolutionsentwurf der Palästinenser vor. Sie warten nach Angaben diplomatischer Kreise ab, was die Verhandlungen innerhalb der EU ergeben, die sich um eine gemeinsame Position bemüht. Denn während Frankreich die Anerkennung eines Palästinenserstaates in Aussicht gestellt hat, versicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits im April dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu, Deutschland werde die „einseitige“ Ausrufung eines Palästinenserstaates nicht unterstützen. Am Sonntag reiste Bundesaußenminister Guido Westerwelle in den Nahen Osten, um die Generalversammlung vorzubereiten.

Nach Angaben aus diplomatischen Kreisen suchen die EU-Staaten derzeit nach einem Kompromiss für eine Resolution in der Generalversammlung, die sie mehrheitlich mittragen können. Daran liegt auch den Palästinensern viel. Bei den Verhandlungen soll es darum gehen, ob die Palästinenser als „non- member-state“ Beobachterstatus bekommen und welche Privilegien damit verbunden sind. Im Gegenzug würde die Palästinenserführung auf den Gang vor den Sicherheitsrat und den Antrag auf Vollmitgliedschaft verzichten.

Einen Staat Palästina anerkennen können die UN ohnehin nicht. Sie können nur Staaten aufnehmen. Anerkennung ist eine bilaterale Angelegenheit zwischen zwei Staaten. Die Palästinenser hatten bereits 1988 einen eigenen Staat in den Grenzen von 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt ausgerufen, der von mehr als 120 Ländern weltweit anerkannt wurde. In den vergangenen Monaten haben die meisten südamerikanischen Staaten Palästina anerkannt, zuletzt auch Syrien und Libanon. Die palästinensischen Missionen in diesen Ländern wurden zu vollen diplomatischen Vertretungen heraufgestuft. Das Kosovo dagegen haben bis heute nur 77 Staaten anerkannt.

Was braucht es, um als Staat anerkannt zu werden? Lesen Sie weiter.

In der Montevideo-Konvention von 1933 ist geregelt, was ein Territorium besitzen muss, um als Staat anerkannt zu werden. Eine dauerhafte Bevölkerung, ein definiertes Territorium, eine Regierung und die Fähigkeit, mit anderen Staaten Beziehungen zu unterhalten. Das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser ist heute unumstritten. Es gibt eine Autonomiebehörde, die allerdings nur die eingeschränkten Befugnisse hat, welche die Besatzungsmacht Israel ihnen zugesteht. Weltbank und Internationaler Währungsfond haben den Palästinensern im Frühjahr 2011 attestiert, dass sie ihre Institutionen gestärkt, den Dienstleistungssektor ausgebaut und Reformen vorangetrieben haben, „mit denen viele existierende Staaten sich schwer tun“. Bildung und Gesundheitswesen sind weit entwickelt. Auch wenn wichtige Reformen noch ausstehen – „sie entsprechen denen, die andere Länder mittleren Einkommens bewältigen müssen“. Einer geplanten Ausrufung eines eigenen Staates stehe nichts im Wege, lautet das Fazit. Bosnien-Herzegowina, Ost-Timor oder Kosovo sind Beispiele von Staaten, die zum Zeitpunkt ihrer Anerkennung auch noch nicht über die volle Staatsgewalt verfügten. Umstritten ist eigentlich nur das Territorium, weil es Uneinigkeit über die Grenze zwischen Palästina und Israel gibt. Das galt und gilt allerdings auch für Israel, das bis heute keine international anerkannten Grenzen besitzt.

Zur Aufnahme in die UN wiederum muss ein Staat folgende Bedingungen erfüllen: Er muss friedliebend sein, die Verpflichtungen der UN-Charta übernehmen und fähig und willens sein, diese zu erfüllen. Das Aufnahmekriterium, das vielleicht am schwierigsten zu erfüllen ist, ist der Nachweis, dass der palästinensische Staat „friedliebend“ ist. Israel weist darauf hin, dass die islamistische Hamas dieses Kriterium nicht erfülle. Die Palästinenserführung hält dem entgegen, dass nicht jede politische Partei, in diesem Fall die Hamas, sondern die Regierung des aufzunehmenden Staates ihre Friedfertigkeit unter Beweis stellen müsse.

In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf die Aufnahme Israel aufschlussreich. Nach dem Ablauf des britischen Mandats hat Israel einseitig seinen Staat deklariert, in den Grenzen, die der UN-Teilungsplan von 1947 vorschlug. Die arabischen Nachbarländer griffen daraufhin den neuen Staat an, weil sie die Teilung nicht akzeptierten. Anschließend hat Israel die Aufnahme in die UN beantragt. Die Debatte über Israels Aufnahme drehte sich hauptsächlich um die Frage, ob Israel das Kriterium der Friedfertigkeit erfülle und UN-Resolutionen respektieren werde im Hinblick auf den internationalen Status von Jerusalem und die Rückkehr der Flüchtlinge.

Zweifach war Israels Antrag abgelehnt worden. Erst nach der Unterzeichnung eines Waffenstillstandes mit Ägypten, Jordanien und Libanon stimmte der Sicherheitsrat dem Antrag Israels zu – bei Enthaltung der Briten. In der Debatte in der Generalversammlung vom 11. Mai 1949 machten arabische Staaten, aber auch Länder wie El Salvador oder Belgien klar, dass Israel weder in der Flüchtlingsfrage noch im Hinblick auf den Status von Jerusalem glaubhaft gemacht habe, dass es die UN-Resolutionen umsetzen werde. Diese Staaten lehnten daher Israels Aufnahme ab. Für Israels Aufnahme stimmten damals 37 von 58 UN-Mitgliedsstaaten, dies entspräche bei heute 193 Mitgliedsstaaten 123 Anerkennungen.

Die Aufnahme eines jüdischen und eines palästinensischen Staates in die Vereinten Nationen sollte gemäß dem Teilungsplan von 1947 „mit Sympathie geprüft werden“, wenn eine gemeinsame Erklärung beider Seiten vorliege. Diese lag nicht vor, als Israel aufgenommen wurde, und das Einverständnis beider Seiten scheint damit keine Voraussetzung zu sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false