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Politik: Israels Premier Scharon droht der Sturz

Sein Rivale Netanjahu will den Abzug aus dem Gazastreifen stoppen / Spaltet sich die Likud-Partei?

Israels Ministerpräsident Ariel Scharon gerät im Streit um die Siedlungsräumungen mächtig unter Druck. Nach Abschluss des Truppenabzugs aus dem Gazastreifen droht ihm der Sturz, seiner Likud-Partei die Spaltung.

Benjamin Netanjahu ist derweil auf dem Durchmarsch zur Macht: Am Sonntag war Netanjahu, Spitzname „Bibi“, als Finanzminister aus Protest gegen Scharons Loslösungsplan zurückgetreten, am Mittwoch sehen ihn zwei Meinungsumfragen unter Likud-Parteimitgliedern erstmals deutlich vor dem Regierungschef. Nach einer Umfrage des Fernsehsenders Kanal 10 wollen 42,1 Prozent der LikudMitglieder bei den parteiinternen Vorwahlen Netanjahu zum Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten wählen, nur 27,7 Prozent sind für Scharon, wenn nur diese beiden sich zum Duell stellen. Nach einer Erhebung der liberalen Tageszeitung „Haaretz“ würde Netanjahu auch bei einem Dreierrennen bei den Parteimitgliedern mit 35 Prozent vorne liegen, vor Scharon mit 29,1 Prozent und dem Anführer der nationalistischen „Rebellen“ Uzi Landau, der danach nur von 17,3 Prozent der Parteimitglieder unterstützt würde.

Aufgrund dieser vor allem in ihrem Ausmaß überraschenden Trendwende gehen Beobachter davon aus, dass die Likud-„Rebellen“ unter den Abgeordneten von sofort an allen Misstrauensanträgen und solchen für eine Parlamentsauflösung zustimmen werden. Da aber dazu absolute Mehrheiten von 61 Stimmen in der Knesset notwendig sind, werden solche Anträge erst nach Abschluss der Siedlungsräumungen und des Truppenrückzugs relevant werden, wenn ihnen auch die Abgeordneten der Shinui-Zentrumspartei und der linken Meretz-Yahad zustimmen werden.

In Scharons Umgebung wurde auf Grund der Umfrageergebnisse erstmals laut von der Möglichkeit einer Scharon-Liste bei den nächsten Wahlen gesprochen, also von einer Spaltung des Likud. Die meisten Analytiker zeigen sich überzeugt, dass eine Spaltung der führenden Regierungspartei wohl unvermeidlich ist.

Netanjahu startete sein Comeback am Mittwoch vor der Knesset mit einer großen Attacke auf Scharon und dessen Politik – obwohl er dem ursprünglichen Loslösungsplan grundsätzlich zugestimmt hatte. Die Regierung agiere „in vollkommener Blindheit“ und sei nicht bereit, ihren Kurs zu stoppen. „Nur wir in der Knesset können dieses Unglück noch verhindern“, kritisiere Netanjahu, der glaubt, die am Mittwoch kommender Woche beginnende Räumung der Siedlungen könne noch verhindert werden.

Netanjahu stellte als Begründung für seinen Rücktritt vom Amt des Finanzministers drei Thesen auf: Zum einen komme der Rückzug aus dem Gazastreifen einer Kapitulation vor dem Terror gleich. Zweitens sei das Abkommen mit Ägypten über die Stationierung von zusätzlichen 750 Soldaten entlang der Grenze zum Gazastreifen und über die Übergabe des Philadelfi-Grenzgürtels an die Ägypter lückenhaft. Und drittens mache der Mittelmeerhafen, dessen Bau Israel nun zugestimmt hat, den Gazastreifen zu einer riesigen Terrorbasis.

Nach Abschluss der Räumungstrainings und -übungen der einzelnen Einheiten begann am Mittwoch die große Generalprobe der Räumung des Gush-Katif-Siedlungsblockes und der übrigen Gazastreifen-Siedlungen durch Polizei und Grenzwache. Zu diesem Zweck wurden sämtliche Mitglieder des an den Gazastreifen grenzenden Kibbuz Kerem Shalom für zwei Tage in die Ferien geschickt, der Kibbuz als Siedlungsmodell verwendet. Die Generalprobe musste abgebrochen werden, weil die Grenzwächter allzu brutal gegen weibliche und männliche Infanteristen in der Rolle der Siedler vorgegangen waren. Einem israelischen Bericht zufolge einigten sich Israelis und Palästinenser auf Zuständigkeiten bei der Zerstörung der Häuser in den jüdischen Siedlungen.

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