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Politik: Ist China die neue Weltmacht ?

Die Volksrepublik hat eine neue Führung. Und die verfolgt ihren eigenen Traum. China soll ganz nach vorne – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch. Aber das Land hat Zeit: Klappt es in diesem Jahrhundert nicht, dann eben im nächsten.

Während am Donnerstag in der Großen Halle des Volkes die Stimmen für den neuen Staatspräsidenten Chinas ausgezählt wurden, hielt sich die Aufregung in der obersten Galerie auf den Presseplätzen in Grenzen. Ein Beobachter schnarchte, ein anderer spielte ein Videospiel, viele Journalisten waren hinausgegangen. Das Desinteresse verwundert nicht, im Grunde war seit fünfeinhalb Jahren klar, dass der Kamerad Xi Jinping diese Wahl gewinnen würde. Der rote Wahlzettel, auf dem einzig sein Name stand, machte die Prozedur auch nicht spannender. Am Ende der „Wahl“ fragten sich die Journalisten in der Großen Halle des Volkes nur eines: Von wem stammt die eine Gegenstimme inmitten der 2952 Ja-Stimmen? Weltweit stellten sich am Donnerstag viele Menschen jedoch eine ganz andere Frage: Wer wird neuer Papst?

Die ungleich größere Dramatik dürfte ein Grund sein, weshalb die Papstwahl am Donnerstag die globalen Schlagzeilen bestimmt hat – und nicht Xi Jinpings zeitgleicher offizieller Aufstieg zum Staatspräsidenten Chinas. „Warum dominiert der Papst (ein Mann, der für Nicht-Katholiken unbedeutend ist) die Weltnachrichten und nicht die Wahl des zweitmächtigsten Menschen auf diesem Planeten?“, wunderte sich auch der US-amerikanische Buchautor Philip Gourevitch auf dem Kurznachrichtendienst „Twitter“.

Als Xi Jinping im November wie geplant zum Chef der Kommunistischen Partei Chinas aufrückte, wurde diese Nachricht ebenfalls von einem anderen Ereignis deutlich übertrumpft: der US-Präsidentenwahl. Die „Neue Züricher Zeitung“ folgerte deshalb: „So schnell wird China die USA als Weltmacht des 21. Jahrhunderts nicht ablösen – das so ungleiche Interesse weltweit an der Erneuerung der Führung in den beiden Ländern spiegelt dies.“ Doch diese Prognose könnte sich noch als falsch erweisen.

Chinas neue Führung verfolgt einen „chinesischen Traum“, wie Xi Jinping seit November in einer Reihe von Reden betont hat. Damit meint er nicht nur die Fortsetzung des wirtschaftlichen Aufstiegs, wahrscheinlich zur größten Volkswirtschaft der Welt. Laut einer Prognose der US-Geheimdienste könnte das bereits vor dem Jahr 2030 passiert sein. Es geht Xi Jinping auch um einen militärischen Aufstieg. „Dieser Traum kann als Traum von einer starken Nation bezeichnet werden“, sagte Xi Jinping auf einem chinesischen Zerstörer vor Militärangehörigen, „um die große Wiederbelebung der chinesischen Nation zu erreichen, muss uns der Einklang eines wohlhabenden Landes mit einem starken Militär gelingen.“ Dass Xi Jinping, der auch Vorsitzender der Nationalen Militärkommission ist, es sehr ernst mit der nationalen Wiederbelebung meint, beweist nicht nur die erneute Anhebung des chinesischen Militärbudgets in diesem Jahr um 10,7 Prozent. Vor allem aber äußert sich das neue nationale Selbstbewusstsein im Konflikt um eine Inselgruppe im ostchinesischen Meer.

Der Streit um die unter japanischer Verwaltung stehenden Inseln, die von China, Japan und Taiwan beansprucht werden, ist seit den antijapanischen Protesten im September in China zeitweise weiter eskaliert. Im Januar sollen sogar chinesische Kampfflugzeuge aufgestiegen sein, die ihren Feuerleitradar auf ein japanisches Kampfschiff sowie einen japanischen Hubschrauber gerichtet haben sollen. China bestreitet diesen Vorfall. „China stellt seine eigenen Regeln auf“, sagte ein US-Militärbeamter dem „Wall Street Journal“ und bezeichnete den Radarvorfall als „ernst zu nehmende Eskalation“. Auch im Südchinesischen Meer spitzen sich die Auseinandersetzungen zu. Das Reich der Mitte beruft sich auf historische Gründe und fordert fast 90 Prozent des Seegebiets. Doch auch Vietnam, Taiwan, die Philippinen, Malaysia, Brunei und Indonesien reklamieren Teile des ressourcenreichen Meeres für sich.

Die schärfere außenpolitische Gangart Chinas in Asien wird von vielen Experten als Reaktion auf die neue Pazifische Strategie der USA gewertet, die in der Region unter anderem mit Japan, Taiwan, Südkorea oder den Philippinen politisch verbunden sind. Chinas Militärstrategen sehen ihr Land bis Mitte des Jahrhunderts zur dominierenden Macht in Asien aufsteigen, sagte ein amerikanischer Militärberater dem „Wall Street Journal“. Die US-Zeitung berichtet weiter, Xi Jinpings wichtigste außenpolitische Initiative enthalte den Vorschlag, das Verhältnis zwischen China und den USA neu zu definieren: als Beziehung zwischen gleichberechtigten „Großmächten“.

Gegenwärtig zeigen jedoch die gefährlichen Drohgebärden Nordkoreas China noch die Grenzen seiner Macht auf. Trotz deutlicher Warnungen seines Verbündeten ließ der junge Diktator Kim Jong Un im Februar einen dritten unterirdischen Atomtest zünden, der auch in den benachbarten chinesischen Provinzen zu spüren war. China unterstützte daraufhin verschärfte UN- Sanktionen und reduziert offenbar die dringend notwendige wirtschaftliche Unterstützung des Landes. Nach Medienberichten sind die Reispreise in Nordkorea deutlich gestiegen.

Auf dem Weg Chinas zur Weltmacht muss allerdings die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahrzehnte fortgeschrieben werden. Die aber hat sich als nicht nachhaltig erwiesen. Der Volkskongressabgeordnete Zhong Nanshan wagte es deshalb in einem Interview mit den „Shenzhen Abendnachrichten“, die Regierung zu kritisieren. „Wenn Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und Atmen zum Problem werden, was hilft dann das höchste Bruttoinlandsprodukt der Welt?“, fragte der prominente Wissenschaftler. Auf den am Freitag neu installierten Regierungschef Li Keqiang warten riesige Herausforderungen. Er muss die Wirtschaft weg von den Exporten und Investitionen steuern und hin zu heimischem Konsum und Dienstleistungen. Auch muss der überhitzte Immobilienmarkt abgekühlt und die Macht der riesigen Staatsunternehmen eingeschränkt werden, die ein Grund für die immer größer werdenden sozialen Ungleichheiten im Land sind. Trotzdem soll das Bruttoinlandsprodukt weiter hochprozentig wachsen, in diesem Jahr erneut mindestens um 7,5 Prozent. „Lis Herausforderung ist es, den besten Weg in einer Zeit zu wählen, in der die Wachstumsraten der Vergangenheit schwerer zu erreichen sind“, wird Kerry Brown, Professor für Chinesische Politik an der Universität von Sydney, von der „South China Morning Post“ zitiert. Gelingt es der neuen Regierung, diese Herausforderungen zu meistern, kann China auf dem Weg zur Weltmacht fortschreiten. Und die USA als Nummer eins ablösen.

„Es liegt in Chinas Absicht, die größte Macht der Welt zu werden“, hat der langjährige Premierminister Singapurs, Lee Kuan Yew, schon 2009 gesagt. Dabei habe das bevölkerungsreichste Land der Erde keine Eile, die USA von ihrer angestammten Position abzulösen, ergänzte er nun in einem Gespräch mit der Webseite „Foreignpolicy.com“. „Einige Chinesen glauben, das 21. Jahrhundert werde China gehören“, sagt der Berater chinesischer Führer wie Deng Xiaoping oder Xi Jinping, „andere gehen davon aus, dieses Jahrhundert noch mit den USA zu teilen, um sich damit auf das darauffolgende chinesische Jahrhundert vorzubereiten.“ Die wirtschaftlichen Konflikte beider Länder oder die beiderseitigen Beschuldigungen eines Cyberkrieges zeugen bereits von einem Kampf der Weltmächte. Als Weltmacht werde China allerdings nach eigenen Regeln spielen, sagt Lee Kuan Yew. Es wolle als China akzeptiert werden, „nicht als Ehrenmitglied des Westens“. Spannendere Wahlen dürften deshalb in China bis auf Weiteres ausgeschlossen bleiben.

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