zum Hauptinhalt
Im mexikanischen Ciudad Juárez werden im Schnitt sieben Menschen pro Tag ermordet.

© REUTERS

Politik: Ist der Krieg gegen die Drogen zu gewinnen?

Das Gift kennt keine Grenzen. Es stürzt Präsidenten, löscht Familien aus und entvölkert ganze Landstriche. Andere aber macht es unermesslich reich: Vom Hersteller bis zum Kunden steigert sich sein Wert um mehrere tausend Prozent. Der Handel mit Drogen wie Kokain ist eines der lukrativsten Geschäfte überhaupt.

Das Geschäft beginnt in Kolumbien, an den feuchtwarmen Osthängen der Anden. Das Land ist mit seinen Nachbarn Bolivien und Peru für fast die gesamte Kokaproduktion verantwortlich. Die Kokasträucher mit den hellgrünen ovalen Blättern sehen von Weitem aus wie Gestrüpp. Die Bauern pflanzen sie auf kleinen Plantagen an, tief im Regenwald versteckt. Koka ist genügsam und ergiebig, bis zu vier Mal im Jahr kann es geerntet werden. Der Preis bleibt stabil, weil die Nachfrage auf Jahre gesichert ist, anders als bei Kakao oder Kaffee. Mit dem Verkauf der Ernte eines Hektars Koka kann ein Bauer umgerechnet bis zu 1 700 Euro verdienen. Das Kokain selbst muss erst mühsam aus der Pflanze herausgelöst werden. Die Bauern zerstampfen die Blätter zu einem Brei. Sie vermischen ihn in Plastikfässern mit Benzin, Zement, Schwefelsäure und Kalk – bis eine braune Paste entsteht. Der Verkauf dieser Kokapaste bringt den Bauern mehr ein, zweieinhalb Mal so viel wie der von Weizen. Es ist nicht einmal ein Prozent des späteren Straßenwerts von Kokain.

Von der Drogenmafia bezahlte Chemiker veredeln die Paste in provisorischen Laboren im Regenwald, zuerst zu Kokainbase, dann zu Kokainhydrochlorid – dem Endprodukt, seidig schimmernd, schneeweiß und zu mehr als 90 Prozent rein. Für die Herstellung von einem Kilo Kokain braucht man drei Liter Schwefelsäure, achtzig Liter Kerosin und einen Liter Ammoniak. Den Großteil der Substanzen kaufen die „Narcos“ bei Chemie-Unternehmen in Nordamerika und Westeuropa. Das Pulver wird gewogen, in Barren gepresst und in Mikrowellen getrocknet. Jedes Kilo wird für rund 1500 Euro an Zwischenhändler weiterverkauft.

Die Anbaugebiete werden beherrscht von den linken Guerillatruppen der Farc, rechten Paramilitärs oder korrupten Soldaten, sie alle verdienen am Drogenhandel . Die Kartelle folgen keiner Ideologie, ihre Ware geht immer den Weg des geringsten Widerstandes. Das Drogengeld regiert, wo Staaten schwach sind. Es hat den jahrzehntelangen Bürgerkrieg in Kolumbien seit den 1980er Jahren finanziert. Der Chef des Medellín-Kartells, Pablo Escobar verhandelte seine eigene Haftstrafe und saß sie in einem Luxus-Knast ab, den er sich selbst bauen ließ. Als der Staat seine Geschäfte härter bekämpfte, brach Escobar aus dem Gefängnis aus und erklärte der Regierung den Krieg. 1993 wurde er erschossen.

Die USA haben die kolumbianische Regierung seit 2000 mit mehr als sieben Milliarden Dollar militärisch unterstützt, um den Kokaanbau zu bekämpfen. Sie schickten Waffen und Soldaten, sie verhafteten Bauern und besprühten die Kokafelder mit krebserregenden Herbiziden. 2008 erklärte eine US-Untersuchungskommission den „Plan Colombia“ für gescheitert. Die Plantagen sind zwar geschrumpft, dafür sind sie in Bolivien und Peru gewachsen. Die „Narcos“ haben ergiebigere Kokasorten gezüchtet und ihre Anbaumethoden verbessert. Das Gift der Sprühflugzeuge, von den Bauern „Matatodo“, „Allestöter“, genannt, zerstörte auch die legalen Pflanzen neben dem Koka.

Die Großkartelle hat der Staat heute zwar zerschlagen, aber Escobars Nachfolger haben sich in mindestens 150 Organisationen zersplittert. Sie arbeiten unauffällig und weitgehend autonom. Sie verstecken sich hinter legalen Tarnfirmen und sind weltweit vernetzt. Fliegt eine Zelle auf, geht das Geschäft sofort weiter. Es lohnt sich für sie nicht mehr, die Regierung offen herauszufordern. Also tauschten sie geringere Gewinne gegen mehr Sicherheit und gaben Kontrolle über den Weiterverkauf ab. Der Vertrieb des Kokains funktioniert wie eine Parallelschaltung: Kappt man einen Schaltkreis, fließt der Strom eben über einen anderen weiter. Setzt ein Land die Kartelle stärker unter Druck, verlagern sie ihren Handel in die Nachbarstaaten. Die kolumbianischen „Narcos“ lenken ihre Geschäfte zunehmend von Venezuela aus – die Chávez-Regierung kooperiert nicht mit den amerikanischen Behörden.

Mit einem Teil ihrer Ware kurbeln sie die Binnenmärkte an, Argentinien und Brasilien mit ihren aufstrebenden Mittelschichten werden für sie immer interessanter. Eine Pfeife Crack kostet in den Straßen von Sao Paulo so viel wie ein Schokoriegel. Den Großteil des Kokains aber schicken die „Narcos“ von Kolumbien und Venezuela aus nach Norden – zum größten Absatzmarkt der Welt, den USA. 36 Prozent des weltweiten Umsatzes werden dort gemacht, gefolgt von Europa mit 33 Prozent. Fast jedes Gramm erreicht die USA über Mittelamerika. In Lastern, versteckt zwischen Bananenkisten, verschweißt in Radkästen und Stoßstangen. In selbst gebauten U-Booten aus Fiberglas, bis zu 30 Meter lang und kaum auf dem Radar zu erkennen, nur zehn Prozent von ihnen werden US-Behörden zufolge erwischt.

Und mit einmotorigen Flugzeugen, die im unzugänglichen Regenwald von Honduras landen. Der Transport des Kokains ist ein Staffellauf, an dem eine Vielzahl von Transitunternehmen verdient. Staaten wie Honduras haben nicht die Macht, um diesen Staffellauf zu verhindern. Und sie haben keine Argumente, um ihre Bürger davon abzuhalten. Statistisch wird jeder 50. Mann ermordet, bevor er 32 Jahre alt ist. Aber wen soll das abschrecken, wenn fast 80 Prozent der Honduraner unterhalb der Armutsgrenze leben? Von hier an erledigen straff organisierte Jugendbanden wie die „Maras“ den Transport für die Kartelle. Auf Fischerbooten bringen sie das Kokain nach Guatemala.

In Mexiko hat die Ware ihren Wert bereits verzehnfacht. Transport, Waffen, Bestechungsgeld für Piloten, Zollbeamte, Polizisten, Geldwäsche und ein Risikoaufschlag bei jedem Weiterverkauf – das alles kostet. Es ist eine gigantische Branche: Die mexikanische Drogenmafia beschäftigt mehr als 300 000 Menschen. Die Kartelle funktionieren wie internationale Konzerne, neben Drogen schmuggeln sie Waffen und Menschen, sie verdienen an Entführung und Erpressung. Je weiter ihre Ware durchs Land fährt, desto höher wird deren Blutzoll. 2006 erklärte Präsident Felipe Calderón den Kartellen offen den Krieg und bekämpft sie seither mit Soldaten. Er konzentriert sich darauf, die Bosse der Kartelle zu verhaften, anstatt den Handel zu regulieren.

Wenn Calderón im Juli nach zwei Amtszeiten abtritt, sind die „Narcos“ nicht verschwunden. Die Zahl der Kartelle hat sich vielmehr verdoppelt. 50 000 Menschen sind in den vergangenen sechs Jahren durch den Drogenkrieg ums Leben gekommen. Die verstümmelten Leichen baumeln von Brücken oder liegen in Massengräbern verscharrt, „Ni Nombres“ heißen sie, die Namenlosen. Am vergangenen Sonntag fand die Polizei am Rande eines Highways 49 Leichen in Plastiksäcken. Ihnen waren Hände und Füße abgehackt, so konnten sie nicht identifiziert werden.

Die Kartelle schützen ihr Geschäft. Sie töten, um einzuschüchtern und ihre Leute zu disziplinieren, was sich lohnt, weil fast alle Morde in Mexiko ungesühnt bleiben. Sie schmieren Staatsanwälte und Polizisten, Gouverneure, Journalisten. Studien zufolge sind 78 Prozent der mexikanischen Wirtschaft mit der organisierten Kriminalität verflochten. Die Kartelle waschen ihre Einnahmen bei internationalen Banken. Nach einer UN-Studie wird nur einer von 500 US-Dollar Drogengeld erfasst und eingefroren. Wie will ein Staat dagegen Krieg führen? Die Bekämpfung der Kartelle ist dabei fast genauso lukrativ wie der Drogenhandel selbst. Spitzel, private Sicherheitsunternehmen, Paramilitärs, Rüstungskonzerne, sie alle verdienen an der Gewalt. Sie haben kein Interesse daran, dass der Drogenkrieg endet. 90 Prozent ihrer Waffen kaufen die „Narcos“ in den USA. Auf der anderen Seite sind die Rüstungsausgaben Mexikos zuletzt stetig gestiegen. Nur die Schwächsten verlieren bei diesem Geschäft.

Das Kokain erreicht die USA über schlechter bewachte Grenzposten in Kalifornien oder Texas. An einem einzigen Transport von Mexiko bis in die Gegend von Los Angeles verdienen etwa 40 Menschen: Kurierfahrer in Trucks und unauffälligen Familienwagen, Späher, Informanten, Zwischenhändler. Amerikanische Gangs verteilen das Kokain in den Städten. Straßenverkauf bringt etwa die Hälfte des Gesamtgewinns ein – aber der Profit muss unter allen Dealern aufgeteilt werden. Nicht einmal 20 Prozent aller am Drogenhandel Beteiligten verdienen pro Geschäft mehr als 1000 Dollar. Die US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA gibt pro Jahr 1,2 Milliarden Dollar für die Bekämpfung des Drogenhandels aus und nur 3,3 Millionen für die Eindämmung der Nachfrage im eigenen Land. Sie verhaftet vor allem die leicht ersetzbaren Dealer am Ende der globalen Verwertungskette.

Durch den Verfolgungsdruck der Behörden hat sich der Kokainpreis auf hohem Niveau eingependelt: In den Straßen von Los Angeles kostet ein Gramm reines Kokain umgerechnet 170 Euro. Steigt der Preis, wird der Stoff einfach stärker gestreckt, mit Milchzucker, Backpulver oder Paracetamol. Der US-Markt wird kleiner, seit 1998 ist er um etwa 22 Prozent geschrumpft. An die Stelle des Kokains tritt zunehmend Methamphetamin, genannt Crystal Meth, eine der zerstörerischsten Drogen überhaupt. Die mexikanischen Kartelle haben ihr Angebot längst darauf umgestellt. Ihr Kokaingeschäft verlagern sie – wie die Kolumbianer – nach Europa.

Ein kolumbianischer „Cocalero“ bei der Ernte.
Ein kolumbianischer „Cocalero“ bei der Ernte.

© AFP

Dort hat sich die Nachfrage in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Zwei Drittel des Stoffs werden in Großbritannien, Spanien und Italien verkauft. Crystal Meth und Ecstasy lassen sich problemlos auch hier herstellen, Kokain aber muss importiert werden. Die „Narcos“ verkaufen es an die italienische und russische Mafia. Für kleinere Mengen heuern sie Kuriere an, die in Mexiko, Kolumbien oder Peru ins Flugzeug steigen. „Mulas“ werden sie genannt, Maultiere. Sie schlucken das Kokain, als Pulver in daumendicken Kapseln oder flüssig in Kondomen, dann ist es auf Röntgenbildern schwerer zu erkennen. Platzt eine Kapsel, können sie sofort an einer Überdosis sterben. Am begehrtesten sind Europäer oder Amerikaner, gerne weiße Frauen mit Kindern. Pro Trip verdienen sie umgerechnet 5000 Euro. Vor kurzem nahmen Zollfahnder am Züricher Flughafen eine Frau aus Sao Paulo fest. Sie hatte 110 Kapseln mit mehr als einem Kilo Kokain geschluckt. Ein überschaubarer Verlust für ihre Auftraggeber.

Die großen Mengen verlassen Süd- und Mittelamerika über den Umweg Westafrika. Das Gift landet in einigen der ärmsten und korruptesten Länder der Welt: Sierra Leone, Benin oder Guinea-Bissau. Alleine 100 Kilo reines Kokain sind in Europa in etwa so viel wert, wie Guinea-Bissau 2009 an internationaler Entwicklungshilfe erhielt. Mitte April putschte das Militär, als der führende Kandidat im Präsidentschaftswahlkampf erklärte, er wolle gegen den Drogenhandel vorgehen. Rund ein Viertel des Großhandelsumsatzes behalten die afrikanischen Zwischenhändler. Mit einem Teil des Stoffs versorgen sie den wachsenden einheimischen Markt. Das meiste aber verschicken sie auf Linienflügen und Containerschiffen nach Europa.

Nur rund 30 Prozent des Kokains, das Deutschland erreicht, wird nach Einschätzungen des Zolls gefunden. Den Verlust kalkulieren die Händler von vornherein in den Preis ein.

Ihr Geschäft würde sich erst dann nicht mehr lohnen, wenn mindestens 60 Prozent der Ware abgefangen würde. Das aber ist illusorisch. 4,5 Millionen Container pro Jahr kommen alleine im Hamburger Hafen an. In der Stadt stehen derzeit ein Kolumbianer und ein Ecuadorianer vor Gericht. Sie waren als blinde Passagiere eines Bananenfrachters von Ecuador gekommen. Ihr Gepäck: Ein GPS-Gerät, zwei Bojen, acht Seile und acht wasserdichte Seesäcke. Darin 200 Kilo Kokain im Wert von zwölf Millionen Euro, verborgen in der Schiffswand. Die Kuriere wurden entdeckt. Vor dem Richter schweigen sie. Es gibt keine Spur zu ihren Hintermännern. Das Milliardengeschäft geht weiter.

Der Drogenhandel – 2011 wurden Schätzungen zufolge rund 500 Milliarden Dollar weltweit umgesetzt – wird nicht verschwinden, bestenfalls könnte man ihn begrenzen. Dafür allerdings müssten sich alle Staaten verpflichten, ihn gemeinsam zu kontrollieren. Ein frommer Wunsch. 1998 hatte sich die UN-Generalversammlung das Ziel gesetzt, den Drogenhandel bis 2008 „entweder ganz zu beseitigen oder zumindest drastisch einzuschränken“. Zehn Jahre später fiel die Bilanz verheerend aus. Das Ziel ist erst mal verschoben – auf das Jahr 2019.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false