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Politik: Ist die PDS noch zu retten, Herr Claus? Der Fraktionschef über die Zeit nach Gregor Gysi

Angenommen: Die PDS kommt nicht in den Bundestag. Wie kann die Partei überleben?

Angenommen: Die PDS kommt nicht in den Bundestag. Wie kann die Partei überleben?

Es ist völlig unvorstellbar, dass wir nicht in den Bundestag einziehen. Die PDS wird nicht nur überleben, sondern mit einer gestärkten Bundestagsfraktion agieren.

Eine Hoffnung...

Aber eine begründete Hoffnung – und kein Leichtsinn. Wir sind nie davon ausgegangen, dass wir den Einzug in den Bundestag gepachtet haben. Der Kampf um jede Stimme ist eine Herausforderung. Wenn man sich allerdings vorstellte, die PDS wäre nicht im Bundestag, wäre in dieser Republik in der Tat vieles anders. Dann wäre der Wahlsieg der Union nahezu vorprogrammiert. Stoiber wäre Kanzler und Westerwelle Vizekanzler. Nur mit der PDS im Bundestag können andere Optionen diskutiert werden.

Wir sind uns aber einig, dass die Nachrichten für ihre Partei im Moment schlecht sind.

Der Rücktritt von Gregor Gysi war ein herber Schlag. Es ist schwieriger geworden für uns. Aber wir sind nicht im Schockzustand, in Panik oder in Hektik. Außerdem ist unser Wahlkampf dieses Mal nicht wie früher nur auf Gysi zugeschnitten. Er kandidiert auch nicht für den Bundestag. Wir sind weggekommen von der One-Person-Show. Die PDS steht seit längerem mit mehreren Personen und Gesichtern in der Öffentlichkeit. 1994 oder 1998 wäre das viel komplizierter gewesen.

Kann Gysi denn unbelastet in den Wahlkampf ziehen?

Er wird viele Menschen treffen, nicht nur Parteimitglieder, die mit ihm reden wollen. Die Stimmung ist zweigeteilt. Ganz viele sagen: Wenigstens einer, der in einer solchen politischen Verfehlung mal konsequent reagiert. Andere wieder sagen, das war ein falscher Schritt. Gysi hat sich nicht von seiner Partei getrennt, sondern von seinen Ämtern. Wir haben keinen Zustand wie damals bei der SPD und Oskar Lafontaine.

Wie viele Menschen haben Sie schon getroffen, die sagen: Ohne Gysi wähle ich die PDS nicht?

Das ist bislang noch nicht vorgekommen. Problematisch wird es bei den Wählern, die sich zum ersten Mal für uns entscheiden wollen. Für die ist ungeheuer wichtig, wie sich die Partei jetzt benimmt. Ich glaube nicht an einen Einbruch. In der Anhängerschaft hat seine Entscheidung einen Ruck ausgelöst: Jetzt wollen wir es unseren Konkurrenten erst recht zeigen.

Ihr stärkstes Argument, die PDS zu wählen, ist beschädigt. Das rot-rote Projekt in Berlin, mit dem man zeigen kann: Selbst in der Hauptstadt kann PDS Politik gestalten. Ist die Partei nun in einer Situation, in der sich die Qualität der Politik an den Krawatten messen lässt?

Erstens ist Rot-Rot nicht gescheitert. Berlin ist auch weiterhin ein Zukunftsprojekt in der Bundeshauptstadt mit Ausstrahlung auf die ganze Republik. Es birgt enorme Schwierigkeiten. Aber die 40 Milliarden Euro Schulden haben wir gekannt, bevor wir uns in das Projekt gestürzt haben. Und was hat das mit der Krawattenkompetenz des neuen Senators Harald Wolf zu tun? Die Berliner PDS hat die schwierige Situation gemeistert. Das verdient Respekt. Zügig sind die richtigen Entscheidungen getroffen worden.

Zügig ja. Aber Gregor Gysi hat dieses Bündnis erst attraktiv gemacht. Jetzt wird es ein Arbeitsbündnis. Hat die PDS nicht das Personal, dieses Bündnis weiter attraktiv zu machen?

Sie hat das Personal. Nur: Als Gysi-Nachfolger darf man natürlich eines nicht machen: ihn kopieren. Das kann nur schief gehen. Die Erfahrung habe ich auch gemacht, als ich sein Nachfolger als Fraktionsvorsitzender wurde. Ich habe mir damals gesagt: Wir suchen keinen Gysi-Imitator, sondern einen Fraktionsvorsitzenden.

Alarmiert es Sie nicht, dass die PDS in Berlin unauffälliger wird? Sie finden keine überregionale Persönlichkeiten, die sich engagieren.

Ich will unserem Koalitionspartner in Berlin nicht zu nahe treten. Aber Unauffälligkeit ist eher ein Image der Sozialdemokraten.

Aber mit dem Rücktritt Gysis verliert die Partei immerhin ihren Unterhaltungswert.

Wenn jemand seine Ämter abtritt, muss das nicht seinen Unterhaltungswert schmälern. Gysi ist in der PDS sicherlich der, der am besten für Unterhaltung sorgen kann. Aber er ist nicht der einzige.

Gibt es nach Gysis Rücktritt von seinen Ämtern Rot-rot noch als Option in anderen Bundesländern? Oder gar im Bund?

Mittel- und langfristig haben wir immer von einem Mitte-Links-Bündnis gesprochen.

Und nach dem 22. September?

Auf der Bundesebene steht das im Moment nicht an. Das ist klar und besprochen.

Auch nicht, um Stoiber und Westerwelle zu verhindern?

Wir wählen keinen Kanzler Stoiber. Aber ich mache nicht mit bei Spekulationen über Konstellationen, auf die sich SPD und Grüne sowieso nicht einlassen würden.

Ihr Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch und Gysi haben ausdrücklich angeboten, unter bestimmten Bedingungen auch der PDS die Wahl von Gerhard Schröder zu empfehlen.

Es macht keinen Sinn, einen Kanzler mitzuwählen, wenn man nicht regierungsbeteiligt ist. Ab jetzt streitet jeder für seine Inhalte. Über Konstellationen gibt es erst wieder nach dem Wahlabend Aussagen.

Im Westen sind Sie noch kaum vertreten.

Wir sind immerhin im Münchner Stadtrat und im Frankfurter Römer. Das ist ein mühsamer Fortschritt auf geringem Niveau. Wir müssen von unten aufbauen. Aber trotz aller Unkenrufe werden wichtige Zuwächse für die PDS bei den Bundestagswahlen aus dem Westen kommen. Ich bin froh, dass wir auf den Begriff der Westausdehnung verzichtet haben. Das hat für viele in den westlichen Bundesländern den Klang gehabt: Hilfe, die kommen aus dem Osten. So ähnlich wie der schöne Song: In 15 Minuten sind die Russen auf dem Kurfürstendamm. Nach wie vor gibt es im Westen eine große Fremdheit gegenüber sozialistischen Ideen und der PDS.

Immerhin sind schon 13 Jahre seit dem Mauerfall vergangen.

Mich erstaunt das ja auch, welche Vorstellungen in manchen westlichen Landstrichen immer noch herrschen, wie wir in der DDR gelebt hätten. Das ist ziemlich schräg. Ich hätte auch nicht gedacht, dass die Ostkompetenz der PDS über so lange Zeit noch eines der wichtigsten Wahlthemen sein wird.

Würde es Ihnen helfen, wenn sie ein paar prominente Grüne aufnähmen? Zum Beispiel den Pazifisten Hans-Christian Ströbele, falls er sein Direktmandat in Berlin verfehlt?

Es ist eine romantische Vorstellung, die ich zuweilen auch in meiner eigenen Partei antreffe, dass die Zukunft der PDS darin läge, das ehemalige grüne Spektrum abzugrasen. Aber da liegen kulturelle Klüfte zwischen. Außerdem lasse ich gerne die Finger von Abwerbungen. Das ist so eine Art Wahlbetrug.

Wäre es nicht sinnvoller, wenn Sie akzeptieren, dass die PDS die CSU des Ostens ist?

Wir können doch nicht die westdeutschen Wähler diskriminieren und ihnen eine wichtige Partei wie die PDS bei den Wahlen vorenthalten. Zur CSU: Man muss zwar von seinen politischen Konkurrenten lernen könne. Aber so viel Attraktivität bietet die Partei nun auch nicht, dass man ihr nacheifern sollte. Sie ist kein Vorbild.

Fasziniert es Sie denn, wie die CSU in Bayern es schafft, die Partei der kleinen Leute zu sein?

Das interessiert mich. Zur Faszination fehlt mir die politische Bindung. Kollegen von der CSU, die ihren Wahlkreis mit 60 oder 70 Prozent gewonnen haben, sagen mir: Probleme, wie Ihr sie diskutiert, von der sozialen Gerechtigkeit bis zur Kriegsablehnung, die interessieren meine Klientel auch. Da sollte man schon interessiert hinschauen.

Was können Sie sich denn abgucken?

Wir müssen unseren eigenen Weg gehen. Man kann aber lernen, dass man sich nie den Sorgen und Nöten in der Gesellschaft verschließen darf. Allerdings muss man auch die Courage aufbringen, diese Sorgen und Nöte nicht nur im Vereinszimmer in Franken zu diskutieren, sondern sie auch im Bundestag klar zur Sprache zu bringen. Man darf sich nicht dominieren lassen von einer Partei- und Fraktionsführung.

Auch im Gewerkschaftslager haben Sie einen schweren Stand, weil CDU und CSU gerade im Sozialbereich einen sehr populistischen Wahlkampf machen. Schadet Ihnen das?

Die Union steht nun wirklich nicht für soziale Gerechtigkeit. Ich wundere mich, wenn ich Unions-Abgeordnete im Bundestag gegen das Großkapital wettern höre, sozusagen als Kampfgruppe gegen die großen Unternehmen.

Auch deshalb besucht der neue DGB-Chef Sommer die Union. Sie erhalten nicht besonders viel Unterstützung von den Gewerkschaften.

So wenig ist das gar nicht. In den letzten vier Jahren hat sich eine Menge zum Positiven verändert. Inzwischen geben auch mehr Gewerkschaftsfunktionäre offen ihre Wahlabsicht PDS bekannt. Dennoch: Die Verbindung von Sozialdemokratie und Gewerkschaften ist eben über viele Jahre gewachsen. Wir dürfen keine Illusionen haben, was unseren Einfluss angeht. Die Genossen Gewerkschaftsfunktionäre knirschen zwar vier Jahre laut hörbar oder auch im stillen Kämmerlein mit den Zähnen, dann aber üben sie doch wieder die gewohnte Disziplin.

Der Kanzler nähert sich den Gewerkschaften ja gerade auch wieder an. Und er scheint auch die neue Stimme der Friedensbewegung im Bundestag zu sein mit seiner Ablehnung eines Krieges im Irak. Klaut er Ihnen die Themen?

Selbstverständlich versucht er damit, Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Er weiß wie ich, dass drei Viertel der Deutschen eine Intervention im Irak ablehnen. Aber ich glaube ihm nicht. Er hängt seine Fahne in den Wahlwind. Noch bei der Vereidigung von Verteidigungsminister Struck habe ich ausdrücklich vor einem solchen Krieg gewarnt und dafür aus den Reihen der Sozialdemokraten und Grünen viel Häme geerntet.

Bei der sozialen Gerechtigkeit will Schröder auch punkten. Auch das nicht glaubwürdig?

Demnächst werden wir die doppelte Verwandlung des Bundeskanzlers erleben. Erst die Verwandlung des Herrn Bundeskanzlers in den Genossen Gerhard. Und wenn es dann ganz dicke kommt, die Verwandlung des Genossen Gerhard in den Genossen Oskar. Aber die Leute haben weder die Steuer- noch die Rentengesetze noch andere unsoziale Beschlüsse dieser Regierung vergessen.

Eine von der PDS in Auftrag gegebene Imagestudie kommt zu wenig schmeichelhaften Ergebnissen für die PDS. In der Außenpolitik, der Wirtschaftspolitik und der Rentenpolitik schreiben nicht einmal fünf Prozent der Wähler der PDS Kompetenz zu. Warum?

Die Zeiten, in denen Sozialisten nur fürs Verteilen gut waren und sich nicht darum kümmern mussten oder wollten, wie Geld auch in die Kassen kommt, sind lange vorbei. Aber die Linke hat über Jahre und Jahrzehnte gesündigt. Uns wird deshalb nur wenig Wirtschaftskompetenz zugetraut. Die Erkennungsmelodien in der Öffentlichkeit kann man nicht innerhalb kurzer Zeit wandeln.

Aber ihr Milliardenprogramm für den Aufbau Ost ist doch auch nicht finanzierbar?

Oh doch. Eine kommunale Investitionspauschale von mindestens 1,5 Milliarden Euro ist ein hilfreiches und nicht übermäßig teures Projekt. Wenn ich mit Lothar Späth in Wirtschaftsdebatten sitze, dann erklärt er mir die kommunale Investitionspauschale, die er sich gerade ausgedacht hat. Ich muss ihn dann bloß daran erinnern, dass genau das selbe Konstrukt vor wenigen Wochen im Bundestag von uns zur Abstimmung gestellt aber von seiner Fraktion abgelehnt wurde.

Späth fordert ja nun zwei Milliarden Euro für Investitionen für die neuen Länder.

Ich hätte nichts dagegen, wenn Union und PDS in einer solchen Frage zusammen stimmen. Die Union hat aber nach wie vor so einen schwachsinnigen Beschluss, dass sie jeden Antrag von der PDS ablehnt, nur weil er von uns kommt.

Erkennen die Wähler denn das stille Wirken der PDS im Bundestag?

Aber die PDS ist doch gar nicht grauer geworden. Buntheit alleine reicht allerdings nicht mehr aus. Uns wird Kompetenz in allen Bereichen abverlangt. Und das machen Sie erst einmal mit so einer kleinen Fraktion.

Aber Sie haben zu wenig gute Leute, die Ihre Botschaft dem Wahlvolk überbringen können.

Die anderen haben alle nur einen Spitzenkandidaten. Und das ist dann auch noch ein Mann. Wir haben ein Quartett mit Gabi Zimmer, Petra Pau, Dietmar Bartsch und mir. Die Leute haben die Nase voll, dass die Parteipolitik nur die Veranstaltung eines einsamen, in der Regel älteren Mannes ist.

Das Gespräch führten Cordula Eubel, Gerd Nowakowski und Matthias Meisner.

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