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Istanbul: Abschied vom "letzten Osmanen"

Der türkische Sultansenkel Osman Ertugrul starb im Alter von 97 Jahren. Als Osman Ertugrul Osmanoglu im August 1912 im "Sternen-Palast" über dem Bosporus in Istanbul geboren wurde, da herrschte seine Familie noch über ein Reich, das sich einst von Europa bis zum Nahen Osten erstreckte.

Jetzt starb der letzte Enkel eines osmanischen Sultans im Alter von 97 Jahren in einem Istanbuler Krankenhaus an Nierenversagen. Wäre die Gründung der türkischen Republik nicht dazwischen gekommen, hätte er als Osman IV. den Thron bestiegen. So aber verbrachte er einen großen Teil seines Lebens im Wiener und New Yorker Exil, erst kürzlich kehrte er in die Türkei heim. An diesem Samstag soll der "letzte Osmane" an der Seite seiner Vorfahren in der Nähe der Blauen Moschee in der Istanbuler Altstadt beigesetzt werden.

Auch ohne Prunk und Macht war das Leben des "letzten Osmanen" reich an ungewöhnlichen Ereignissen und Begegnungen. Als die junge türkische Republik im Jahr 1924 die insgesamt 155 Mitglieder der osmanischen Großfamilie aus dem Land warf, besuchte Seine Kaiserliche Hoheit Prinz Osman Ertugrul, wie Osmanoglus offizieller Titel lautete, schon länger eine Schule in Wien. Aus Angst, die Osmanen könnten wieder Fuß fassen, verbot die Türkei den mänlichen Nachkommen der Herrscherfamilie bis in die 1970er Jahre hinein die Einreise.

Als Osmanoglu 1992 auf Einladung der damaligen Regierung in die Türkei kam, schaute er sich den Dolmabahce-Palast am Bosporus an, der seinen Vorfahren als Amtssitz gedient hatte und in dem er als kleiner Junge gespielt hatte. Weil er kein Aufhebens machen wollte, schloss er sich für den Palastbesuch einer Reisegruppe an.

Osmanoglus Vater, Prinz Burhanettin, war ein passionierter Pianist, was eines Tages im Wiener Exil zu einem ungewöhnlichen Zusammentreffen führte, wie Osmanoglu einmal einer türkischen Zeitung berichtete: Eine befreundete Künstlerin brachte zu einem Besuch bei der osmanischen Prinzenfamilie einen Begleiter mit, der in einem Vorzimmer gestenreich von seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg erzählte - Adolf Hitler. Dem Hausherren Prinz Burhanettin war der redselige Besucher unsymphatisch. Er verbot ihm, die Wohnung der Familie zu betreten. Bei Kriegsausbruch zogen die Osmanen nach New York.

Geldsorgen hatten die Exil-Osmanen nicht. Osmanoglus Großvater, der in seiner langen Regierungszeit als Despot gefürchtete Sultan Abdülhamid II., soll die Mitglieder seines Clans unter anderem mit "großen Kisten voller Edelsteinen" versorgt haben, wie türkische Zeitungen meldeten. Osmanoglu betrieb Bergbauunternehmen in Südamerika und lebte mit seiner zweiten Frau, einer afghanischen Königsnichte, in einer Wohnung in New York.

Angesichts der 700-jährigen Regierungszeit der Osmanen sah sich Osmanoglu immer wieder Fragen nach etwaigen Machtansprüchen oder politischen Ambitionen gegenüber. "Mit oder ohne Krone - ich sage Nein zur Politik", lautete seine Antwort. Allerdings lehnte er lange Zeit einen türkischen Pass ab, weil er sich als Osmanen betrachtete. Erst vor fünf Jahren erhielt er die türkische Staatsbürgerschaft.

Über den türkischen Republiksgründer Mustafa Kemal Atatürk, der die Osmanen entmachtete und das Sultanat als Institution abschaffte, brachte er trotzdem kein schlechtes Wort über die Lippen. "Atatürk hat die Osmanen gestürzt", sagte er einmal in einem Fernsehinterview. "Aber wenn es Atatürk nicht gegeben hätte, gäbe es auch keine Türkei. Er hat unsere Heimat gerettet. Auch ich schulde ihm Dank." Mit staatstreuen Sätzen wie diesen musste Osmanoglu keine Repressalien befürchten, als er vor etwa einem Monat zusammen mit seiner Frau in die Türkei heimkehrte.

Auch andere Mitglieder der ehemaligen Herrscherfamilie haben sich mit der Republik arrangiert. Hümeyra Sultan, Enkelin des letzten Osmanen-Sultans Vahdettin, lebte lange im westtürkischen Urlaubsort Kusadasi, wo sie einer recht bürgerlichen Tätigkeit nachging: Sie führte mit ihrem Ehemann ein Hotel. Es hieß Kismet - Schicksal. 

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