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Ein Polizist führt Giovanni Tegano ab, einen der Top-Mafia-Bosse.

© AFP

Italien: Der Schein der besseren Kreise

Der Fahndungsdruck ist gestiegen. Drei Jahre nach dem Massaker von Duisburg schließt die kalabrische ’Ndrangheta ihre Reihen.

Domenico Oppedisano ist 80 Jahre alt. Seine Freunde nennen ihn „Micu“, und die Nachbarn im kalabrischen Rosarno kannten ihn bisher als einfachen Bauern, der mit einer alten, dreirädrigen „Ape“ durchs Städtchen knatterte und ganze Tage in seiner Orangenplantage zubrachte, Bäume schnitt oder auch nur den Früchten beim Wachsen zusah.

Dann aber pflanzten Spezialeinheiten der Carabinieri ihre Mikrofone in den Orangenhain. Sie fanden heraus, dass Oppedisano viel Besuch empfing, dass sich sein Bekanntenkreis mit dem der Polizei in interessanten Punkten überschnitt; sie zeichneten auf, was die Herren da arglos besprachen – und nun sitzt Oppedisano in Haft. Mit ihm mehr als 300 andere: Angehörige der ’Ndrangheta, also der kalabrischen Mafia, dazu bisher unauffällige Bauunternehmer, Restaurantbesitzer, Steuerberater, Behördenleiter, Kommunalpolitiker, und dies nicht allein im fernen Kalabrien, sondern vor allem im wirtschaftlichen Zentrum Italiens, der Lombardei, dem reichen Umfeld von Mailand.

Dieser „Mega-Blitz“ Mitte Juli war die bisher wohl größte Aktion der italienischen Polizei gegen die Mafia, und er hat, so jubelt Innenminister Roberto Maroni, „die ’Ndrangheta ins Herz getroffen“. Regierungschef Silvio Berlusconi verspricht gar, den Kampf gegen die gesamte italienische Mafia „in den nächsten drei Jahren zu Ende zu bringen“. Die Staatsanwälte, die gegen Berlusconi noch nicht einmal ihren Kampf um die weitere Zulässigkeit von „Raumüberwachungen“ wie im Fall des Orangenhains von Rosarno gewonnen haben, sind da nicht so zuversichtlich. Aber sie gewinnen von Verhör zu Verhör mehr Einblick in die veränderte Struktur der reichsten und gefährlichsten Mafia des Landes, die zudem weltweit das dichteste Netzwerk aufweist. Vor allem gibt es immer mehr Erkenntnisse über jene nur scheinbar gutbürgerliche „graue Zone“ um die Mafia herum, die es der ’Ndrangheta ermöglicht hat, bereits ganze Gemeinden der Lombardei und die milliardenschweren Vorbereitungen für die Mailänder „Expo 2015“ zu unterwandern.

Bisher galt die ’Ndrangheta als Teil eines konfliktträchtigen Nebeneinanders mafiöser Familien in Kalabrien. Seit der großflächigen Abhöraktion um den 80-jährigen Oppedisano wissen die Ermittler, dass die ’Ndrangheta sich eine „einheitliche, vertikale Kuppelstruktur“ gegeben hat. Vorbild war die sizilianische, heute durch Verhaftung fast aller bedeutenden Bosse geschwächte „Cosa Nostra“; als Anlass für das Schließen der Reihen und die „politische“ Koordinierung aller größeren Tätigkeiten betrachten die Ermittler den gestiegenen Fahndungsdruck vor allem nach dem Massaker von Duisburg vor drei Jahren. Der Sechsfachmord in den Morgenstunden des 15. August 2007 wird in der ’Ndrangheta heute als schwerer Fehler angesehen.

Zum ersten „Patriarchen“ ihrer neuen Ära hatte die ’Ndrangheta den nach außen unscheinbaren Orangenbauern Oppedisano gewählt. Sie hat damit die Linie bekräftigt, die sie – ähnlich der Cosa Nostra – eingeschlagen hat: möglichst ohne Aufsehen möglichst viel Geld verdienen und die aus Drogenhandel, aus Waffenschmuggel, Schutzgelderpressung und Wucher stammenden „schmutzigen“ Milliarden in solchen Gegenden Italiens und Europas zu waschen, die als unverdächtig, als „sauber“ gelten.

Deshalb hat die ’Ndrangheta so großen Appetit auf die anstehenden Milliardenbauwerke der Mailänder Expo und auf die lukrative, mit EU-Mitteln geförderte Umwandlung früherer lombardischer Industrieareale in Einkaufs-, Wohn- und Freizeitzentren. Gut vernetzt – die Kinder der kalabrischen Bauern sind als Anwälte, Unternehmer, Finanz- und Steuerberater längst in die „bessere“ norditalienische Gesellschaft aufgestiegen – schanzen sie in den Gemeinderäten die Aufträge ihren „befreundeten“ Firmen zu.

In einem Schlüsselunternehmen für die Expo hatte die ’Ndrangheta gar ihre eigenen Leute sitzen, oder sie ist in den jüngsten Krisenmonaten, in der Kreditklemme, einzelnen Unternehmern mit ihren immer verfügbaren Millionen zur Seite gesprungen und lenkt nun, als „stiller Teilhaber“, die Firma.

Auf geschätzte 44 Milliarden Euro Jahresumsatz, mehr als zwei Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts, bringt es die ’Ndrangheta; laut Internationalem Währungsfonds dürfte das auf einen Reingewinn von 33 Milliarden Euro hinauslaufen. Weil Geld der Lebensnerv der organisierten Kriminalität ist, geht es den italienischen Behörden auch vor allem darum, der Mafia so viel wie möglich davon wegzunehmen. Die 304 Verhaftungen im Juli gingen einher mit der Beschlagnahme von Immobilien, Firmen und anderen Gütern im Nennwert von 60 Millionen Euro. An die 15.000 Güter sind derzeit insgesamt beschlagnahmt, die meisten davon im Mezzogiorno; aber dahinter folgt bezeichnenderweise gleich die Lombardei. Auch wenn sich Kalabrien das Kommando nicht aus der Hand nehmen lässt: Kerngebiet der ’Ndrangheta ist nach Überzeugung der Ermittler längst der reiche Norden.

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