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Italien: Eine Verschwörung!

Anfällig für Verschwörungstheorien: In Italien wird stets an Gedenktagen über Verwicklung des Staates in den Terror debattiert.

Italiens Öffentlichkeit ist anfällig für Verschwörungstheorien. Zu jedem Attentats-Gedenktag graben die Zeitungen „neue“ Zeugen aus, die mit „ihrer“ Wahrheit oft noch mehr Verwirrung stiften. Und weil die Hauptfrage kaum je beantwortet wird – Wer hat die Tat begangen? –, ist Italien längst auf eine Nebenfrage ausgewichen: Wem nützt die Tat?

Samstag, 2. August 1980, 10.25 Uhr. Im Hauptbahnhof von Bologna explodiert ein „herrenloser“ Koffer mit 23 Kilogramm Sprengstoff. 85 Menschen sterben, 200 werden verletzt, ein ganzer Flügel des Bahnhofs stürzt ein. Es ist – und bleibt bis heute – der schwerste Terroranschlag in Italien seit dem Zweiten Weltkrieg. Schnell haben Politik und Ermittler die Schuldigen gefunden: rechtsextreme, „schwarze“ Terroristen sind es, die sich in Italiens „bleiernen Zeiten“ einen blutigen Wettstreit liefern mit den linken, den kommunistischen, den „Roten Brigaden“.

Für den Anschlag in Bologna werden tatsächlich drei Rechtsextremisten verurteilt, unter ihnen ein Minderjähriger. Verurteilt werden aber auch ein Agent und zwei hohe Offiziere des italienischen Militärgeheimdienstes Sismi.

Wegen dieser undurchsichtigen Gemengelage stellen die Urteile zu Bologna bis heute niemanden in Italien zufrieden. Das hat sich am 29. Gedenktag des Attentats wieder gezeigt. Da zogen in Bologna linke Protestzüge gegen rechte; die beiden politischen Formationen beschuldigten sich gegenseitig, die „wirkliche“ Wahrheit unter dem Teppich halten zu wollen.

Immerhin: Im „Fall Bologna“ gibt es letztinstanzliche Gerichtsurteile. Viele andere Großanschläge aus den „bleiernen Zeiten“ sind bis heute nicht aufgeklärt. Vom ersten Bombenanschlag auf eine Mailänder Bank im Dezember 1969 bis zum Attentat auf einen Schnellzug 15 Jahre später gab es nach Informationen der Tageszeitung „Corriere della Sera“ 142 Tote, aber bis heute nur fünf Schuldsprüche. Neue Zweifel sind auch in Sizilien aufgekommen – wieder einmal an einem Gedenktag.

Am 19. Juli jährte sich zum siebzehnten Mal das Bombenattentat, dem in Palermo der Antimafia-Untersuchungsrichter Paolo Borsellino und fünf seiner Leibwächter zum Opfer gefallen waren. Bisher galt Borsellino – wie sein zwei Monate zuvor getöteter Kollege Giovanni Falcone – als Opfer der Cosa Nostra. Es sind für diese Anschläge Mafiaführer verurteilt worden, allen voran der „Schlächter von Corleone“, Totò Riina. Alte Zweifel und neue Zeugenaussagen indes lassen auch hier eine Verwicklung von Politik und Geheimdiensten möglich erscheinen.

Nach den heutigen Hypothesen der Staatsanwaltschaft, die sogar darüber nachdenkt, den Prozess neu aufzurollen, könnte Borsellino von geheimen Verhandlungen zwischen Regierung und Mafia erfahren haben. Demnach hätte Riina versprochen, das Morden einzustellen, sofern der Staat die Mafia in Ruhe lasse. Borsellino aber wollte die Cosa Nostra ausrotten. Und weil er in seiner radikalen Unbestechlichkeit damit der „großen Lösung“ im Wege gestanden hätte, so die Hypothese, habe die Regierung ihn „geopfert“.

Am frischen Bombentrichter von Palermo wurden 1992 auch Geheimdienstler gesichtet, und auf den Fernsehbildern sieht man, wie ein Mann mit Borsellinos roter Aktentasche davonläuft. In dieser, so heißt es, habe der Untersuchungsrichter seine brisantesten Erkenntnisse immer bei sich getragen. Irgendjemand hatte also ein Interesse, diese Aktentasche aus dem Weg zu räumen. „Die Mafia mit Sicherheit nicht“, sagt der heute ermittelnde Staatsanwalt Sergio Lari. „Diesen Diebstahl hat eine andere Ebene inspiriert oder organisiert.“ Borsellinos rote Aktentasche ist bis heute verschwunden.

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