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Politik: Italien liegt in Europa

DER FALL BERLUSCONI

Von Clemens Wergin

Läge das Land außerhalb der EU, man würde sich nicht wundern: Der reichste Mann im Staat ist Regierungschef und gleichzeitig Herr über fast alle Fernsehsender des Landes, besitzt eine Reihe von Tageszeitungen, mehrere Dutzend Magazine und einen großen Teil des Verlagswesens. Er und seine engsten Geschäfts und Regierungsberater sind in Korruptions- und Mafiaprozesse verwickelt. Der Wirtschafts- und Staatsboss greift massiv in die Unabhängigkeit der Justiz ein. Seine Parlamentsmehrheit erlässt Gesetze zum privaten Wohle des Premiers. Das Problem: Das Land heißt Italien. Und es liegt mitten in Europa.

Eine kleine Zusammenfassung der letzten Wochen: Silvio Berlusconi attackiert die Justiz vor Gericht und in den Medien heftiger denn je. Die ihn anklagenden Staatsanwälte seien wie Putschisten, die einen Staatsstreich planten. Nachdem Cesare Previti, die rechte Hand Berlusconis, zu elf Jahren Haft wegen Richterbestechung verurteilt wurde, will die Koalition ein Gesetz durchpeitschen, das zumindest den Staatsspitzen Immunität zusichert – schließlich steht Berlusconi in derselben Angelegenheit vor Gericht. Am Donnerstag wurde dann die Redaktion des dritten staatlichen Fernsehprogramms massiv unter Druck gesetzt, weil dem Premier nicht gefallen hatte, wie über seinen Gerichtsauftritt berichtet wurde. Selbst der als Garant der Institutionen fungierende Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi dringt mit seinen Aufrufen zur Achtung der Gewaltenteilung kaum noch durch.

Wir haben uns angewöhnt, Italien als Sonnen- und Sehnsuchtsland zu betrachten, dessen politische Defizite von Kunst, Kultur und seinen kommunikativen Bewohnern aufgewogen wird. Jetzt ist es an der Zeit, genauer hinzusehen. Weil die EU eine Wertegemeinschaft ist. Weil ein Versagen der Institutionen in Italien auch den Rest des Kontinents betrifft. Und weil Berlusconi mehrfach bewiesen hat, dass seine juristischen Probleme Auswirkungen haben auf die EU-Politik Italiens – wie beim Streit um den europäischen Haftbefehl.

Auch das Ansehen des EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi leidet. Der aus dem Mitte-Links-Lager kommende Politiker war von Berlusconi vor Gericht beschuldigt worden, der eigentliche Bösewicht bei der ominösen Privatisierung des Staatsbetriebs SME gewesen zu sein. Die Anwürfe beschädigen einen ohnehin angeschlagenen Kommissionspräsidenten. Und im Juli soll die Regierung Berlusconi auch noch die Geschäfte im Europäischen Rat führen. Das Problem Italien drängt nach Europa.

Berlusconi eskaliert den Konflikt mit der Justiz, damit ihm nicht Ähnliches passiert wie im Juli 1994: Just als die ganze Welt auf den G7-Gipfel in Neapel schaute, eröffnete die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen den Premierminister. Der Anfang vom Ende seiner damaligen Regierung. Bis heute vermutet Berlusconi darin eine gemeinsame Intrige von Justiz und Opposition.

Der Fairness halber sei gesagt, dass sich viele Italiener Berlusconi wacker widersetzen. Noch nie wurde so häufig und so zahlreich gegen eine italienische Regierung demonstriert wie im vergangenen Jahr. Und dass Berlusconi die Justiz weiter drangsaliert – ob nun in den von ihm beherrschten Medien, durch Verwaltungsmaßnahmen oder Gesetze – hat ja einen Grund: Richter und Staatsanwälte haben dem Druck bisher standgehalten. Aber das wird immer schwieriger. Denn die unabhängigen Medien sind in der Minderheit, was es Berlusconi erleichtert, seine Parlamentsmehrheit schamlos auszunutzen. Wäre Italien noch nicht in der EU – würde man dem Land im gegenwärtigen Zustand den Beitritt ermöglichen?

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