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Politik: Italienische Langsamkeit

Der EU-Gerichtshof für Menschenrechte kritisiert, Rom setze Beschlüsse aus Brüssel nicht um

Carlo Manzonelli freut sich über die Rüge aus Strassburg. Seit mehr als zehn Jahren wartet der Metzger aus Rom nach einer Klage wegen eines Verkehrsunfalls auf ein Gerichtsurteil. Es sei ein himmelschreiender Skandal, dass er auf sein Recht warten muss, findet Manzonelli. Damit trifft er den Nerv vieler anderer Italiener. Sie finden es unerhört, dass Italiens Rechtssprechung nur bei Wohlhabenden und bei besonders brisanten Fällen schnell und effizient arbeitet, bei normalen Bürgern aber nur sehr langsam.

Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat jetzt Italien zum wiederholten Mal darauf hingewiesen, dass es einen in der Union einsamen Rekord hält und die Regierung aufgefordert, so schnell wie möglich etwas gegen die Missstände zu unternehmen. In 2424 von 3500 Fällen, die dem EU-Gerichtshof vorliegen, geht es um Klagen aus Italien. Die Türkei folgt mit 317 Fällen direkt nach Italien.

In fast allen Fällen, in denen der europäische Menschenrechtsgerichtshof Italien ermahnt, geht es um die Dauer von Prozessen vor italienischen Gerichten. Vladimiro Zagrebelsky, italienischer Richter am EU-Gerichtshofes, weist die Regierung in Rom darauf hin, dass jeder Bürger das Recht auf einen zeitlich angemessenen Prozess habe. Die Realität sehe aber so aus, dass die meisten Italiener bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf einen Urteilsspruch warten müssen, sagt der Richter. Das Verschleppen von Prozessen, so ein anderer Kritikpunkt aus Brüssel, führe in vielen Fällen zu Verjährungen.

Die Rüge aus Straßburg ist nicht das erste Schreiben, auf dass die Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi nicht reagiert. Kritiker wundert dies kaum, schließlich versucht Berlusconi selbst seit Jahren unter anderem mit neuen Gesetzen Prozesse gegen ihn zu verhindern, zu verschleppen oder vermeintlich unliebsame Staatsanwälte und Richter loszuwerden.

Das Schreiben enthält auch den Hinweis, dass Italien das Land der Union sei, in dem EU-Entscheidungen, wenn überhaupt, nur verspätet Anwendung finden – wie zum Beispiel im Fall von Entschädigungszahlungen. Italiener, die wegen eines sich hinziehenden Prozesses zu lange in Untersuchungshaft sitzen müssen, haben unter bestimmten Bedingungen ein Recht auf eine finanzielle Entschädigung. Diese EU-Bestimmung finde aber bis heute in Italien so gut wie keine Anwendung, mahnen die Straßburger Richter.

Kritisiert wird auch, dass die Regierung nichts gegen den Personalnotstand in der Justiz unternehme. Gefordert werden mehr Richter und mehr Gerichte, um tausende von laufenden Prozessen endlich zu Ende führen zu können. Straßburg wirft Rom darüber hinaus vor, dass italienische Gerichte immer dann besonders eifrig werden, wenn es darum geht Nichtitaliener auszuweisen.

Thomas Migge[Rom]

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