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"Ja" oder "Nein" zur Verfassungsreform: Die Italiener müssen sich entscheiden.

© AFP/Filippo Monteforte

Italiens Referendum: Ein Kernland Europas steht vor der Zerreißprobe

Italien war einst das Land mit den stärksten Befürwortern der europäischen Einigung. Jetzt fürchten nicht nur viele Italiener ein politisches Beben. Ein Kommentar.

Das Wort Erdbeben ist in Italien mehr als nur eine Metapher. Und nach den jüngsten Erschütterungen mit hunderten Toten und Trümmerbergen haben an diesem Sonntag nicht nur viele Italiener Angst vor einem politischen Beben. Die Volksabstimmung über eine Verfassungsreform droht ein Kernland Europas innerlich zu zerreißen.

Premierminister Matteo Renzi möchte Italien vom Kopf her verändern. Dazu soll ein Doppelkopf des politischen Systems beseitigt werden. Renzi will die zweite Kammer des Parlaments, den mit 320 hoch dotierten, hoch privilegierten Mitgliedern bestückten römischen Senat auf eine kleinere Vertretung der italienischen Regionen zurückstutzen, nach dem Vorbild etwa des deutschen Bundesrats. Italiens Senat würde dann gewisse Kontrollfunktionen behalten, aber nicht mehr über jedes mit Parlamentsmehrheit bereits beschlossene Gesetz nochmals entscheiden oder es blockieren können.

Man denkt, eine solche Verschlankung und Effektivitätssteigerung des allgemein als aufgebläht, verschwenderisch und selbstgefällig geltenden italienischen Politikbetriebs müsste auf allgemeine Zustimmung stoßen. Schließlich steckt das für Besucher noch immer so attraktive Land ökonomisch und politisch in einem dramatischen Tief. Und dies nicht nur dank Misswirtschaft zu Berlusconis Zeiten und globaler Krisen wegen. Schon die Regierungen von Romani Prodi, Mario Monti und Renzis Vorgänger Enrico Letta wollten gegen Bürokratismus, Korruption und Immobilität vorgehen. Aber erst Matteo Renzi, Italiens jüngster Ministerpräsident nach dem Weltkrieg und Chef der 65. Regierung, hat in den letzten zweieinhalb Jahren begonnen, Italiens System auch strukturell zu verändern.

Berlusconi hatte die Verfassungsänderung unterstützt - und das dann widerrufen

Selbst der noch nicht ganz vergreiste Buffo Berlusconi hatte die von ihm selbst einst angestrebte Verfassungsänderung parlamentarisch unterstützt – um dies jetzt pathetisch zu widerrufen. Das hat mit dem grassierenden Populismus und Opportunismus zu tun, der Italien wie fast ganz Europa erfasst hat. Seit den US-Wahlen gerieren sich viele zwischen Bozen und Palermo als „Trumpisti“. Und der längst nicht mehr komische Exkomödiant Beppe Grillo, der seine in den Umfragen führende 5-Sterne-Bewegung gegen Renzis Verfassungsreform hetzen lässt, ruft ernstlich aus: das Referendum gelte der Abschaffung der Demokratie und sei das Werk „von Brüssel gesteuerter Killer, die uns und unsere Kinder umbringen wollen“.

Ursprünglich war Italien, wo die für ein neues Europa fundamentalen „Römische Verträge“ geschlossen wurden, das Land mit den stärksten Befürwortern einer europäischen Einigung. Inzwischen aber ist die EU zum Sündenbock geworden, und die von Deutschland oktroyierte Sparpolitik sei der eigentliche Grund der italienischen Misere. So möchte selbst Renzi, um sein Referendum zu retten, Berlin und Brüssel verantwortlich machen für Italiens Rekordzahlen bei Arbeitslosigkeit und Schulden.

Gleichzeitig hat er das Referendum im Übermut auch zur persönlichen Vertrauensfrage erklärt. Noch hofft er, dass das riskante Spiel aufgeht und auch diesmal die Umfragen trügen. Wie bei Brexit und Trump. Aber selbst wenn Renzi stürzt, werden Italien und Europa nicht untergehen. Eine historische Chance jedoch wäre vertan, in einem Land, in dem viele nicht nur nicht besser, sondern am liebsten gar nicht regiert würden.

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