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Politik: Jagdszenen im Osten

Von Robert Ide

Es wird wieder Fußball gespielt – in Italien, in Deutschland, sogar in Sachsen, wo heute Erzgebirge Aue in der Zweiten Bundesliga aufläuft. Es wird Normalität gespielt auf dem Rasen. Abseits davon hofft die Polizei, dass es nicht erneut zu Krawallen gewaltbereiter Fans kommt, zu Jagdszenen, die Menschenleben fordern wie in Catania oder Warnschüsse erfordern wie in Leipzig. In den unsichersten Stadien Italiens müssen Fans vorerst draußen bleiben, die untersten Spielklassen rund um Leipzig haben sich fürs Wochenende eine Auszeit verordnet, ansonsten geht das Spiel weiter. Der Gewalt beim Fußball wird dies nicht gerecht. Der Sport muss konsequenter auf die Randale reagieren – und die Gesellschaft die Ursachen endlich bekämpfen.

Natürlich drohen in Bundesliga-Stadien keine italienischen Verhältnisse. Die Arenen sind modern, Familien gehören zum Stammpublikum, die letzten Hooligans gehen unter. Anders in Italien, wo sich viele Klubs mit radikalen „Ultras“ und korrupten Funktionären arrangieren, wo Manipulationen und Gewalt verdrängt statt verarbeitet werden. Doch auch im deutschen Fußball fehlt es an wirksamen Aktionen gegen Gewalt, die über bloße Anti-Rassismus-Kampagnen hinausgehen. Das Problem liegt freilich einige Ligen tiefer als in Italien, und es berührt insbesondere den Osten des Landes, dessen Orientierungslosigkeit sich im Umfeld maroder Stadien oft in Gewalt entlädt. An dieser Basis werden bisher die falschen Zeichen gesetzt. Die rassistischen Angriffe gegen den Leipziger Fußballer Adebowale Ogungbure wurden nicht bestraft, heftige Krawalle von Dresdner Hooligans in Berlin im Oktober zogen nur eine Geldstrafe für Dynamo Dresden nach sich. Da erstaunt es nicht mehr, dass sich der Nordostdeutsche Fußballverband nach der Leipziger Randale wieder kleinlaut in die Ecke verdrückt. Genau dieses Verhalten ermutigt Krawallmacher, ihre Kraftprobe mit der Zivilgesellschaft fortzusetzen.

Der Fußball ist zunächst für sich verantwortlich – dafür, dass keine Wurfgeschosse in Stadien geschmuggelt, verfeindete Fangruppen getrennt werden. Doch der organisierte Sport ist auch Teil der Gesellschaft, hinter deren Problemen er sich beim Thema Gewalt allzu gern versteckt. Harte Strafen gegen Vereine mit randalierendem Anhang würden die Mitmachschwelle für Mitläufer erhöhen. Die identifizieren sich noch eher mit ihrem Klub als der knallharte Gewaltmob, dem sowieso nur mit Härte beizukommen ist. Erstaunlich, dass die Spieler das vor den Funktionären erkannt haben. Clarence Seedorf, holländischer Profi des AC Mailand, fordert, Kriminellen den Zugang zum Fußball zu verwehren. Die Mannschaft von Lok Leipzig will vom Platz gehen, wenn wieder Randalierer ausrasten.

Die Zivilgesellschaft, gerade die junge ostdeutsche, kann von dieser Courage lernen – und sie belohnen. Fanprojekte gehören angemessen ausgestattet. In Sachsen wurde das lange versäumt. Orientierungslose Jugendliche müssen mit Freizeit- und Ausbildungsangeboten von Neonazis, die Sozialarbeit vorgaukeln, und Kraftprotzen, die mit Gewalt zu imponieren versuchen, weggelockt werden. Die ostdeutsche Gesellschaft tut bis jetzt zu wenig für die letzten jungen Menschen, die noch nicht in den Westen abgehauen sind. Und sie schweigt zu laut, wenn sich der Frust der Zurückgebliebenen gegen die Polizei und die wenigen Ausländer richtet.

Der Fußball darf für junge Gewalttäter keine Bühne mehr abgeben. Dafür muss die Gesellschaft mehr Zuwendung zeigen. Und der Fußball mehr Härte.

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