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Im Namen des Volkes - ein Verfassungshüter beim Hüten.

© Uli Deck/dpa

Jahrestag: Das Grundgesetz ist nichts für die Ewigkeit - aber alles für uns

Die Verfassung ist auch nur ein Text. Aber seine Wirkung ist groß - weil die Urheber wussten, für wen sie schreiben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Ein Gesetz ist ein Text, auf den sich alle einigen sollen. Ob sie es wollen, ist eine andere Frage. Der Erfolg des Grundgesetzes, das am Montag vor 67 Jahren verkündet wurde, dürfte damit zu tun haben, dass Sollen und Wollen hier einmal zusammenfallen. Jeder findet das Grundgesetz zunächst einmal schön, richtig und gut, vom Bundespräsidenten bis zum Neonazi. Zwei Generationen hält der Konsens schon. Der Untergang der DDR hat ihm ebenso wenig anhaben können wie die Öffnung für die europäische Integration.

Kinder neigen dazu, die Leistungen ihrer verstorbenen Väter zu verklären, auch der Verfassungsväter; allein schon, indem sie die Leistungen der Mütter oft zu gering schätzen. Aber wahr ist, dieser Text ist überragend: Mensch, du bist es, auf den es ankommt. Deine Würde, sie ist das Höchste und Größte im Staat, sie gilt absolut, ist „unantastbar“. Damit wird jedem Siegfriedhaftes zuerkannt. Der Satz sollte die Abkehr von der Menschenverachtung des Hitlerterrors besiegeln, nun wirkt er wie ein Zaubertrank, der unbesiegbar macht. Danach wird mit sparsamen, feierlichen Worten ein Kanon aus Freiheit und Gleichheit gesungen, erst dann folgen: Staat, Parlament, Regierung, Verwaltung. Die Reihenfolge ist Programm. Im Staat des Grundgesetzes herrscht nur einer, und das sind die Grundrechte.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Emanzipation nach Kräften befördert und sich eine Stellung im Gefüge erarbeitet, die sich mit seiner demokratischen Legitimation nur bedingt erklären lässt. „Karlsruhe“ ist heute Chiffre einer Gegenöffentlichkeit, in der sich von ganz rechts bis ganz links fallweise alles Mögliche zusammenfindet, um die Republik am Ende vielleicht doch noch zu überzeugen. Falls das scheitert, liegt schon viel Anerkennung darin, überhaupt angehört zu werden. So wird vermieden, dass Überstimmte gefährliche Ohnmachtsgefühle entwickeln. Damit ist das Gericht nicht nur Verfassungshüter und Hoffnung der Opposition, sondern auch eine Art Friedenswächter für den politischen Prozess geworden.

Es spricht einiges dafür, dass eine weitere Generation sich der als Übergangslösung gedachten Schrift und seiner Ordnung anvertrauen kann. Sie steht für stabile, jedoch prinzipiell änderbare Verhältnisse. Als Glücksfall erweist sich da der provisorische Charakter, der dazu zwingt, sich der Aussagen des Textes immer neu zu vergewissern. Das Grundgesetz kann nur versprechen, was wir halten möchten.

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