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Was unter den Pflug gerät... Bei den Sondierungen einer möglichen Jamaika-Koalition im Bund ging es am Mittwoch auch um Landwirtschaft.

© dpa

Jamaika-Sondierungen: Die Agrarwende darf ideologisch sein

Wie weiter in der Landwirtschaft? Das solle von der Jamaika-Sondierungsrunde möglichst unideologisch erörtert werden, hieß es vorab. Warum eigentlich - wo doch der Öko-Kollaps naht? Ein Kommentar

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Ehrlich und offen und „lassen Sie mich sagen: unideologisch“ – so hat sich der Noch-Agrarminister Christian Schmidt (CSU) die Sondierungsgespräche des Jamaika-Bündnisses zu Fragen der Landwirtschaft gewünscht, die für Mittwoch angesetzt waren. Das richtete sich vor allem gegen die Grünen, denen er mit dem impliziten Ideologie-Vorwurf gleich ein halbes Bein stellen konnte.

Das ist vielleicht taktisch richtig. Aber stimmt es auch? Ist es nicht viel eher höchste Zeit, gerade beim Thema Ökologie und Landwirtschaft eben doch ideologische Töne anzuschlagen, weil sich an der aktuellen Lage allzu gut besichtigen lässt, wohin Zahlen, Fakten und sonstiges ideologiefreies Rüstzeug geführt haben: zur nicht zu rechtfertigenden Tierquälerei in Massenhaltungsanlagen, zur nicht zu rechtfertigenden Grundwasserverschmutzung durch Gülleeinbringung, zu nicht zu rechtfertigenden Krebsrisiken durch flächendeckende Totalherbizidverwendung und nicht zuletzt zum aktuell allerorten festgestellten Insektensterben – und damit der Gefährdung der floralen Lebensgrundlagen mit bisher unabsehbaren Folgen für den Rest der Welt. Zahlen und Fakten und Studien, die all das ganz unideologisch vorhergesagt haben, gab es die ganze Zeit. Zu einer angemessenen Politik haben sie aber nicht geführt. Also dürfen die Reden jetzt gern schriller werden und die Forderungen drastischer. Weil: worauf noch warten?

Wenn Vertreter der aktuellen Landwirtschaftspolitik wie Minister Schmidt auf ein Weiterso setzen, bis sie den unwiderlegbaren Nachweis dafür auf dem Tisch haben, dass das die ökologischen Systeme zerstört, wird es für wirksame Kursänderungen höchstwahrscheinlich zu spät sein. (Aus-)gestorbene Insekten erwachen nicht wieder zum Leben, und (aus-)gestorbene Pflanzen ernähren nichts und niemanden mehr.

"Erst wenn der letzte Baum gerodet ist...."

Die Frage ist, woran das unideologisch Vernünftige erkennbar werden soll, das beim Jamaika-Ringen um eine Haltung zur Landwirtschaft der Zukunft gefordert ist. Daran, dass das Ziel der Nachhaltigkeit vor allem als Planungssicherheit für Großagrarbetriebe definiert wird? An der Lizenzverlängerung für Glyphosat & Co.? Oder daran, dass die langfristige Perspektive in den Vordergrund rückt: dass vor dem Billigschnitzel heute die Sorge darum steht, wie überüberübermorgen überhaupt noch Nahrungsmittel entstehen können?

Die Zeit der größten Erfolge der Öko-Bewegung, als die Grünen Debatten bestimmten, war durchaus die der schrilleren Töne. Da wurden der Klimakiller FCKW verboten und verschmutzte Flüsse wieder sauber. Eine tiefgreifende Agrarwende aber kam nicht mal da zustande, stattdessen kamen die Grünen an die Macht und wurden zahmer. Und so scheint der alte Öko-Spruch, der einst auf Buttons und Aufklebern zu lesen war, dann als pessimistischer Fundi-Quatsch verlacht und vergessen wurde, aktuell wie selten zuvor: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ Und was dann?

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