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Was hat er im Blick? FDP-Chef Christian Lindner macht vom Sondierungsbalkon aus ein Handyfoto.

© dpa

Jamaika-Sondierungen: Lindners Pfeifen im Wald

Die FDP hat Angst, in Jamaika unterzugehen. Anders lässt sich der riskante Kurs nicht erklären, den FDP-Chef Lindner bei den Sondierungen fährt. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Noch zehn Tage werden sie reden und streiten, und dann will Angela Merkel die Chefs von CSU, FDP und Grünen in einer Nachtsitzung zum Kompromiss überreden: zu einem schwarz-gelb-grünen Sondierungspapier, mit dem jeder der vier Partner vor seine Gremien treten und um Zustimmung für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen bitten kann.

Natürlich werden alle Seiten dabei Federn lassen müssen. Niemand durfte bei dreieinhalb so unterschiedlichen Parteien auf einen strahlenden politischen Neuanfang nach wenigen Tagen hoffen. Wenn am Ende eine Koalition herauskommt, die im Kern eine sicherheitsbasierte Politik betreibt, in der Liberale und Grüne erkennbare Impulse der Modernisierung der Gesellschaft setzen können, wäre das ein Fortschritt gegenüber den großkoalitionären letzten vier Jahren. Die Wähler haben schließlich genau das in Auftrag gegeben, als sie am 24. September weder einer linken noch einer liberalen und auch keiner ökologischen Welt-Revolution ein Votum erteilten.

Für keinen aber scheint das so schwer zu akzeptieren zu sein, wie für Christian Lindner. Vom ersten Moment der Sondierungen an konnte man das beobachten. Erst besteht der Chefliberale auf einer vollständigen Abschaffung des Soli-Zuschlages bis 2021. Dann muss ein Einwanderungsgesetz liberaler Prägung her. Und selbst in der Klimapolitik vermittelt die FDP den Eindruck, als sei sie für nichts mehr in den Bundestag gewählt worden, als die komplette Neuordnung der deutschen Energiepolitik. Kaum ein Tag ohne Interview, in dem der FDP-Vorsitzende die Schwierigkeiten einer Jamaika-Koalition betont und deren Chancen auf Realisierung unterspielt. Selbst die Drohung mit Neuwahlen lässt er nicht aus.

Bloß nicht wieder versprechen und dann nicht halten!

Das alles ist Pfeifen im Wald. Keiner weiß besser als Lindner, dass allein die Mächtigkeit seiner Auftritte in den vergangenen Wochen ihn und niemanden anderen zum Schuldigen eines Scheiterns von Jamaika stempeln würden. Und ob die FDP im Fall einer Neuwahl noch einmal mit sattem Ergebnis den Bundestag erreicht, steht in den Sternen. Parteien werden schließlich zum Gestalten, zum Regieren, gewählt. Und nicht zum Opponieren. Warum spielt Lindner also dieses risikoreiche Spiel?

Die FDP, nur so lässt sich das erklären, ringt noch immer mit ihrer Vergangenheit. Ende Oktober 2009 stand Guido Westerwelle vor seiner Partei und berauschte sich an seinen Koalitionsverhandlungserfolgen, wo doch jeder schon wusste, dass er der Union Posten und nicht Inhalte abgerungen hatte. Die FDP im Jamaika-Bündnis schon wieder eine Umfallerpartei? Eine, die vollmundig „zehn Trendwenden“ zum Maßstab eines Regierungseintritts erklärte und nun womöglich dieses Versprechen nicht einhalten kann?

Es wird Zeit, dass der Vorsitzende seine Partei auf das Wesen des Koalierens vorbereitet. Und das besteht zuallererst in der Fähigkeit zum guten Kompromiss. In der liberalen Mathematik hieße das: Zehn Prozent Wahlergebnis entspricht einer von zehn Trendwenden. Wer das von Anfang an erkennt, produziert keine Erwartungen, die am Ende nur enttäuscht werden können.

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