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James Jones

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James Jones, US-Sicherheitsberater: "Militärische Macht allein reicht nicht"

Der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, James Jones, im Tagesspiegel-Interview über seinen Chef, Afghanistan, die Deutschen - und auch darüber, dass Obama selbstverständlich mehr europäische Soldaten begrüßen würde.

Beim G-20-Treffen zur Finanzkrise und dem Nato-Gipfel treffen Amerikas neuer Präsident und seine europäischen Partner erstmals aufeinander. Es ist der Test, wie weit die neuen Gemeinsamkeiten reichen und wo Meinungsunterschiede fortbestehen, weil sich die nationalen Interessen nicht verändert haben. In Europa richten sich große Erwartungen an Barack Obama. Was ist die größte Veränderung im Vergleich zur Regierung Bush?

Den wichtigsten Wandel hat Präsident Obama in seiner Inaugurationsrede deutlich gemacht: das Versprechen, dass die USA ihre Partner um Rat fragen und dass sie allen die Hand zur Freundschaft reichen, sofern die anderen sie auch ergreifen wollen. Seit dem 20. Januar haben wir Taten folgen lassen. Auf meinem Gebiet, der nationalen Sicherheit, habe ich täglich Kontakt mit anderen Sicherheitsberatern rund um die Erde. Wir fragen uns gegenseitig: Was denkt ihr, was ist euer Ansatz? Die neue Afghanistanstrategie ist ein Ergebnis dieser Offenheit. Wie groß diese Veränderung ist, sollen andere beurteilen. Ich habe der vorigen Regierung nicht angehört.

Unterschiedliche nationale Kulturen in Amerika und Europa bestehen fort, zum Beispiel beim Einsatz militärischer Gewalt. Welche Rolle spielen da die Offenheit und der neue Umgangsstil?

Vizepräsident Joe Biden ist zur Sicherheitskonferenz in München gekommen. Der Präsident fährt zum Nato-Gipfel, um den Verbündeten zuzuhören. Aus dem selben Grund fliegt Außenministerin Hillary Clinton in verschiedene Erdteile. Wir sind bereit die Verantwortung für Dinge zu übernehmen, die wir in der Vergangenheit getan haben, auf die wir aber nicht stolz sind. Wir wollen die Erwartungen, die andere an uns haben und die wir selbst an uns haben, erfüllen.

Die EU-Außenminister haben sehr positiv auf Präsident Obamas neue Afghanistanstrategie reagiert. Aber sie haben sich vor allem zum zivilen Wiederaufbau geäußert, nicht zur Truppenverstärkung. Überrascht Sie das?

Im zivilen Aufbau gab es Versäumnisse, jedenfalls in Afghanistan. Die USA erledigen den militärischen Teil ziemlich gut. Wir haben ein gute Armee, eine großartige Marine, eine schlagkräftige Luftwaffe und ein sehr leistungsfähiges Marinecorps. Im 21. Jahrhundert gibt es jedoch eine zusätzliche Seite, und die fällt uns nicht so leicht, weil wir anders organisiert sind. Wir arbeiten daran, uns zu verbessern. Bei Einsätzen, die Kämpfe einschließen, muss man wissen, was zu tun ist, wenn die Kämpfe vorbei sind. Mit den Partnern muss man dann überlegen, wer was beitragen kann. Militärische Macht allein reicht nicht in den Konflikten, mit denen wir es jetzt zu tun haben.

Das werden die Europäer gerne hören. Reicht umgekehrt die Konzentration auf den zivilen Wiederaufbau?

Beides muss Hand in Hand gehen. Die Lösung einer Krise kann mit konzentriertem Militäreinsatz beginnen. Aber wenn man sicherstellen möchte, dass man siegt und den Abzug einleiten kann, muss der zivile Einsatz stärker werden. Nehmen wir Bosnien. Erst hatten wir einen starken Militäreinsatz mit Vier-Sterne-Generalen im Kommando, dann übernahm Paddy Ashdown, koordinierte den zivilen Aufbau, und das Militär wurde immer weniger. Wer nur militärische Beiträge anbieten kann, muss damit rechnen, viel länger zu bleiben.

Die USA bemühen sich in diesen Tagen in auffallender Weise, den Partnern zuzurufen: Wir hören auf euch, wir nehmen den zivilen Ansatz ernst.

Richtig.

Haben wir es nicht mit einer gespaltenen Debatte auf den beiden Seiten des Atlantiks zu tun? Aus Europa hört man keine Reaktionen auf den anderen Teil Ihrer Botschaft: beides ist nötig, auch das Militär. In den USA ist es umgekehrt. Amerikanische Journalisten fragen vor Obamas Europareise ganz direkt: Ein Präsident, der von den USA verlangt, mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken, wird doch auch die europäischen Verbündeten um mehr Truppen bitten? Oder braucht Amerika keine zusätzlichen Soldaten von den Alliierten?

Nein, zu dem Punkt werden wir nicht kommen. Beim Nato-Gipfel werden Sie sehen: Es gibt die Anforderung nach mehr Truppen, um ein sicheres Umfeld für die Wahlen in Afghanistan im August zu schaffen. Ob diese Truppen länger bleiben oder nach der Wahl gleich wieder heimkehren, ist eine andere Frage. Die Veränderung besteht darin, dass die USA nicht mehr nur nach zusätzlichen Truppen fragen.

Der Präsident würde es also begrüßen, wenn die Europäer aus freien Stücken mehr Soldaten schicken?

Selbstverständlich.

Europäische Botschafter in Washington haben in dieser Woche betont: Die Amerikaner haben uns nicht um mehr Truppen gebeten.

Unter gleichberechtigten Partnern sind manche Dinge doch offensichtlich. Die Kommandeure in Afghanistan haben klar gesagt: Wir brauchen mehr Truppen. Sie haben auch gesagt, welche Art von Truppen sie benötigen. Aus der Tatsache, dass die USA daraus nicht öffentlich detaillierte Forderungen an ihre Alliierten ableiten, darf man nicht schließen, es gebe die Bitte nicht. Jede Nation ist frei in ihrer Entscheidung. Wir unterstützen die Kommandeure und ihre Anforderungen. Andere Nationen sollten das ebenso tun.

Sobald die von Präsident Obama angekündigten Verstärkungen in Afghanistan sind, werden die USA dort doppelt so viele Soldaten haben wie alle anderen Verbündeten zusammen. Welche Folgen hat das für den Umgang in der Nato und die Frage, wer wie viel Einfluss nehmen kann?

Die USA sind ein großes Land mit enormen Kapazitäten. Jeder Staat hat seine eigene Geschichte, seine politischen und ökonomischen Möglichkeiten. Die USA müssen nicht der Maßstab für Frankreich oder Spanien und nicht einmal für ganz Europa zusammen genommen sein. Wir benötigen so viele unterschiedliche Beiträge. Andere Nationen tun bereits viel. Das Wichtigste ist jetzt eine bessere Koordinierung und eine bessere Struktur für die Hilfe. Die Zeit, in der man die Güte der Beziehungen an der Zahl der Soldaten maß, liegen hinter uns. Truppen bleiben wichtig. Die USA werden niemals sagen: Schickt bloß keine Truppen! Wir freuen uns über jeden, der mehr Soldaten stellen kann. Unser Beitrag werden 17 000 zusätzlich plus noch einige mehr sein.

Ihr neues Zauberwort heißt "capacities". Jedes Land soll bestimmte Fähigkeiten nach Afghanistan bringen. Sie haben viele Jahre in Europa verbracht. Was können die Deutschen am besten beitragen?

Da fällt mir eine Menge ein. Gemeinsam sollten wir Staat und Verwaltung auf der lokalen, regionalen und nationalen Ebene in den Blick nehmen, wer da bessere Beratung braucht für ökonomischen Aufbau, Landwirtschaft, Bewässerung, alternative Produkte zu Opium, Krankenhäuser. Deutschland ist ein großartiger Rechtsstaat und könnte Afghanistan manches lehren. Deutschland hat bei der Polizeiausbildung viel geleistet. Das sind die Dinge, die zur Wende in Afghanistan beitragen.

Da Sie lange in Europa gelebt haben, kennen Sie typische Unterschiede zwischen Deutschland und Amerika, zum Beispiel die Zurückhaltung beim Einsatz militärischer Gewalt. Das hat mit der Geschichte zu tun. In jüngeren Jahren hat Deutschland militärisch mehr geleistet, Kampfeinsätze eingeschlossen vom Balkan bis Afghanistan. Es hieß, das gehöre zur Normalisierung. Wenn Sie sich Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Stimmung in Deutschland anschauen, wo steht die Bundesrepublik im Vergleich zu Frankreich, Großbritannien, Polen oder den Niederlanden? Ist sie auf dem Weg zur Normalität?

Ich habe viele Jahre in Europa gelebt und verstehe, welchen langen Weg Deutschland zurückgelegt hat. Es ist nicht meine Aufgabe zu entscheiden, ob Deutschland bereits am Ende dieses Wegs angekommen ist. Nationen ändern sich, auch Amerika hat sich verändert. Gerade haben wir den strategischen Blick für die Region um Afghanistan gewechselt. Deutschland kann eine großartige Rolle spielen. Es gibt so vieles zu tun, jeder kann sich das Passende auswählen.

Vor einigen Wochen kamen die US-Geheimdienste zu dem Schluss, die Finanzkrise sei eine größere Gefahr für Sicherheit und Stabilität der USA und anderer westlicher Gesellschaften als der Terror. Gilt das auch heute noch, nach Präsident Obamas düsterer Rede zu den Gefahren, die aus Pakistan und Afghanistan drohen?

Der globale Wirtschaftskreislauf hat einen schweren Schock erlitten. Präsident Obama investiert den Großteil seiner Zeit in Beratungen, wie sich diese Krise lösen lässt. Ich möchte nicht urteilen, welche von beiden Gefahren die größere ist. Aber die Bedrohungen, die von einer instabilen Wirtschaft ausgehen, die nur noch dank lebenserhaltender Maßnahmen funktioniert, sind sehr ernst zu nehmen. Es gibt zudem einen Zusammenhang zwischen beiden Gefahren. Wenn unsere Volkswirtschaften nicht mehr die Mittel erwirtschaften, die wir brauchen, um Probleme wie in Afghanistan zu lösen, entstehen Räume mit einem Sicherheitsvakuum. Und die werden von Gruppen genutzt, die uns nicht mögen.

Vor dem G-20-Treffen erleben wir unterschiedliche Reaktionen auf die Finanzkrise in Deutschland und den USA. Sie entsprechen nicht den üblichen Erwartungen. Die USA sind angeblich ein Land, das die Marktmechanismen hochhält, greift aber in der Krise zu staatswirtschaftlichen Maßnahmen. Unter dem Verdacht der Neigung zum Staatsinterventionismus steht sonst Deutschland. Doch die Kanzlerin agiert zurückhaltend. Präsident Obama hat sie dafür kritisiert. Liegt es nicht in der Sache begründet, dass die USA, der Ausgangspunkt und das Zentrum der Finanzkrise, mehr Geld zur Rettung ausgeben müssen?

Ich bin nur der Sicherheitsberater Jim Jones. Ich bin nicht der Wirtschaftsberater Larry Summers und bleibe lieber in meiner Fahrspur. Zu meiner und Ihrer Beruhigung kann ich aber sagen, dass die ökonomischen Berater der Kanzlerin und des Präsidenten eng kooperieren.

Dann soll ich Sie auch verschonen mit Fragen nach der geplanten Regulierung der Finanzmärkte?

Ja, da wäre ich Ihnen dankbar.

Schade, das scheint bei den Gipfeln der kommenden Woche ein Gebiet der größten Übereinstimmung zu sein. Finanzminister Timothy Geithner fordert ähnliche Notfallregelungen wie die Bundesregierung zur staatlichen Übernahme von Finanzdienstleistern, die das Wirtschaftssystem bedrohen.

Gerne unterstreiche ich aber nochmal den Zusammenhang zwischen einer lebendigen Wirtschaft und der nationalen Sicherheit. Deshalb sollten wir alle das G-20-Treffen genau verfolgen.

Neben den neuen Gemeinsamkeiten zwischen Amerika und Europa gibt es weiter Differenzen. Überraschend früh konfrontieren amerikanische und europäische Medien den neuen Präsidenten mit dem Vorwurf, er halte an manchen umstrittenen Praktiken seines Vorgängers fest. Das geschieht unter der Überschrift "George W. Obama?" Obama wolle zwar Guantanamo schließen, doch Terrorgefangenen, die in Bagram, Afghanistan, sitzen, verweigere er den Zugang zu US-Gerichten mit der selben Begründung, wie zuvor Bush den Guantanamo-Gefangenen. Ein anderes Beispiel ist "executive privilege", das Aussageverbot für Staatsbedienstete in Strafverfahren mit dem Argument, das würde Sicherheitsinteressen bedrohen. Wie würden Sie Deutschen erklären, dass es hier dem Anschein nach eine Kontinuität von Bush zu Obama gibt, obwohl der einen klaren Wechsel versprochen hatte?

Für die meisten solchen Konflikte, die Präsident Obama geerbt hat, gibt es keine einfachen Lösungen. Wir sind ein Rechtsstaat und bemühen uns, die passenden juristischen Wege aus dieser Lage zu finden. In der Frage, ob die USA foltern, hat der Präsident eine eindeutige Antwort gegeben. Für Terrorgefangene an Orten wie Guantanamo suchen wir gerade Auswege. Es wäre wunderbar, wenn man nur einen Schalter umlegen müsste, um alle glücklich zu machen. Doch es ist kompliziert, wir müssen mit vielen verschiedenen Nationen zusammenarbeiten. Ich bin aber sicher, Sie werden keinen Unterschied feststellen zwischen dem, was wir sagen, und dem, was wir tun. Zu diesem Vergleich lade ich alle ein - und dann kann jeder sein Urteil fällen.

Das Gespräch führte Christoph von Marschall.

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