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Politik: Javier Solana im Interview: "Wir sind in Mazedonien zur Hilfe verpflichtet"

Javier Solana (58) ist Beauftragter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Mit der Ernennung des ehemaligen Nato-Generalsekretärs vor zwei Jahren verband sich die Hoffnung, dass die Europäische Union in der Welt künftig mit größerem außenpolitischen Gewicht auftritt.

Javier Solana (58) ist Beauftragter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Mit der Ernennung des ehemaligen Nato-Generalsekretärs vor zwei Jahren verband sich die Hoffnung, dass die Europäische Union in der Welt künftig mit größerem außenpolitischen Gewicht auftritt. Ein Teil der Hoffnung hat sich erfüllt - die EU hat sich inzwischen tatkräftig in den Nahost-Friedensprozess eingeschaltet. Der Spanier Solana gehört zu den Verfassern des Mitchell-Plans für den Nahen Osten. Derweil brennt es vor der eigenen Haustür: In Mazedonien droht ein Bürgerkrieg.

Auf den Häuserwänden in Mazedonien ist die Aufschrift "Solana = Satan" aufgetaucht. Enttäuscht Sie das - nach all Ihren Pendelmissionen zwischen Brüssel und der mazedonischen Hauptstadt Skopje?

Es gibt eine radikale Minderheit in Mazedonien, der das Vorgehen der Europäischen Union in dieser Krisenregion fremd geblieben ist. Diese Minderheit hat in der Vergangenheit nicht verstanden, was wir in Bosnien und Kosovo gemacht haben. Jetzt wollen diese Radikalen nicht begreifen, was die Staaten der Europäischen Union in Mazedonien vorhaben.

Sie wollen vermitteln - zwischen der slawischen Mehrheit und der albanischen Minderheit. Aber warum musste es ein Teil dieser Vermittlung sein, dass bewaffnete albanische Rebellen mit der Hilfe von US-Soldaten von ihren Stellungen in der Nähe von Skopje unbehelligt abziehen konnten?

Der Abzug der albanischen Rebellen ging nicht auf die Initiative der Nato, sondern der mazedonischen Regierung zurück. Die Regierung hat uns gebeten, bei der Lösung dieses speziellen Problems zu helfen. Es ging um die Neutralisierung von Aracinovo, einer Stadt in der Nähe der Hauptstadt Skopje.

Die Europäische Union hat jetzt einen ständigen Gesandten in Skopje, den ehemaligen französischen Verteidigungsminister François Léotard. Was soll Léotard erreichen?

Es geht um die Verhandlungen zwischen den legalen Parteien in Mazedonien. Die verschiedenen Minderheiten und die slawische Mehrheit müssen sich in Mazedonien zu Hause fühlen - und zwar unter dem Dach derselben Gesetze.

Wann rechnen Sie mit einer Vereinbarung für eine neue mazedonische Verfassung?

Je schneller das passiert, umso besser. In den vergangenen Wochen haben wir viel Zeit verloren. Jetzt gehen die Verhandlungen weiter, und ich hoffe, dass wir das jetzt wieder wett machen.

Sollen auch die albanischen UCK-Rebellen in irgendeiner Form an den Verhandlungen teilnehmen?

In Mazedonien gibt es bereits zwei politische Parteien, die die albanische Minderheit vertreten. Die mazedonische Regierung verhandelt nur mit politischen Vertretern, die demokratisch im Lande gewählt wurden - und das gilt auch für die Europäische Union.

Was ist Ihrer Einschätzung nach das Ziel der UCK?

Es geht der UCK nicht darum, die Grenzen Mazedoniens in Frage zu stellen - im Gegenteil. In den Papieren, die ich gesehen habe, war jedenfalls von einer Änderung der mazedonischen Grenzen keine Rede. Es geht der UCK um mehr Rechte für die albanische Minderheit - einschließlich Verfassungsänderungen.

Soll Albanisch in Mazedonien die zweite Landessprache werden?

Diese Frage lässt sich nicht hundertprozentig beantworten. Es gibt verschiedene Modelle zur Lösung des Sprachen-Problems. Aber es steht außer Frage, dass eine ethnische Gruppe wie die albanische Minderheit auch in den staatlichen Institutionen vertreten sein muss - in der Kommunalverwaltung, bei der Aufsicht über die Gefängnisse, im Erziehungswesen und so weiter. Das haben alle Parteien auch akzeptiert.

Falls diese Gespräche zu einem befriedigendem Ergebnis kommen, plant die Nato eine Entwaffnung der albanischen Rebellen - auf freiwilliger Basis. Für die ganze Aktion sollen nicht mehr als 30 Tage vorgesehen sein. Ist eine Entwaffnung innerhalb so kurzer Zeit überhaupt machbar?

Dieses Szenario geht zurück auf den Plan des mazedonischen Präsidenten Trajkovski. Die Nato hat natürlich weitere Optionen, die der Lage angepasst werden müssen. Das Entscheidende ist aber, dass die Nato sich verpflichtet hat, zur Stabilisierung Mazedoniens beizutragen.

Wenn man die Erfahrungen zu Grunde legt, die die Nato in Bosnien und im Kosovo gesammelt hat - wäre es dann nicht realitätsnäher, von einem eineinhalbjährigen Einsatz in Mazedonien auszugehen? Auch die Zahl der 3000 Nato-Soldaten, die nach Mazedonien geschickt werden sollen, erscheint sehr niedrig. Braucht die Nato nicht eher 10 000 bis 15 000 Soldaten, um die Lage in dem Balkan-Staat zu stabilisieren?

Bosnien und Kosovo - das waren die neunziger Jahre. In den neunziger Jahren gab es auf dem Balkan Kriege, die von undemokratischen Herrschern geführt wurden. Diese Kriege wurden angezettelt von Staaten, die keinerlei Beziehungen zur Europäischen Union und zur Nato hatten. Heute ist das anders. Mazedonien hat eine Stabilitäts- und Assoziierungsvereinbarung mit der EU unterschrieben und nimmt am Nato-Programm "Partnerschaft für den Frieden" teil. Mazedonien ist ein demokratisches Land. Eine Parallele zwischen Milosevic, dem früheren kroatischen Präsidenten Tudjman und dem Mazedonien von heute zu ziehen - das geht zu weit.

Der deutsche Außenminister Joschka Fischer sieht aber dennoch eine Explosionsgefahr: Die Nato könnte zwischen die Fronten der mazedonischen Regierungstruppen und der albanischen UCK-Rebellen geraten.

Ich kann die Sorge von Außenminister Joschka Fischer verstehen. Man darf übrigens auch die Bedenken der Nato nicht außer Acht lassen. Aber bei der Suche nach einer politischen Lösung für Mazedonien werden wir uns weiter entlang der Linie bewegen, die wir eingeschlagen haben.

Um einmal in die Details der innenpolitischen Diskussion in Deutschland einzutauchen: Braucht eine Mazedonien-Truppe - mit oder ohne deutsche Beteiligung - ein neues Mandat der Uno?

Das hängt doch ganz von dem Auftrag von Nato-Truppen in Mazedonien ab. Wenn die Nato-Soldaten die albanischen Rebellen entwaffnen, ist kein UN-Mandat nötig. Um es noch einmal klar zu sagen: Mazedonien ist ein Staat mit engen Verbindungen zur Nato. Und wenn dieses Land die Nato um Hilfe bittet, dann sind wir zur Hilfe verpflichtet.

In Deutschland gibt es aber Bedenken, ob die Bundeswehr nach den Einsätzen in Bosnien und im Kosovo eine dritte Mission in Mazedonien schultern kann.

Die Entscheidung über eine deutsche Beteiligung muss in Deutschland getroffen werden. Wenn aber ein militärischer Einsatz nötig werden sollte, dann habe ich überhaupt keinen Zweifel, dass Deutschland, das eine zentrale Rolle in der EU und in der Nato spielt, seinen Verpflichtungen nachkommen wird.

Zu den neunziger Jahren gehört auch die Erfahrung, dass die internationale Staatengemeinschaft auf dem Balkan immer zu spät gekommen ist. Jetzt steht mit Mazedonien wieder ein Land am Rand des Bürgerkriegs. Eigentlich müsste man doch jetzt über eine Intervention der Staatengemeinschaft zur Verhinderung eines Bürgerkrieges nachdenken.

Wie nennen Sie dann das, was wir im Moment tun?

Sollte man nicht über eine zweigleisige Konfliktverhütung nachdenken - eine politische und eine militärische?

Die wichtigste Konfliktverhütung ist die Diplomatie. Wir arbeiten intensiv an einer politischen Friedenslösung für Mazedonien. Und was eine militärische Lösung anbelangt: Wir dürfen nicht vergessen, dass Mazedonien ein demokratischer Staat ist, in dem die vier wichtigsten politischen Parteien an der Regierung beteiligt sind. An der Grenze zum Kosovo versuchen Nato-Truppen, den Waffennachschub der Rebellen zu unterbinden. Wir betreiben jeden Tag Konfliktverhütung.

Lassen Sie uns über einen anderen Krisenherd sprechen - den Nahen Osten. Auch dort ist die EU mit einem deutlicheren Profil am Friedensprozess beteiligt. Sie gehören zu den Verfassern des Mitchell-Plans, der Israelis und Palästinensern den Frieden bringen soll. Soll die EU ihr Engagement im Nahen Osten auch in Zukunft aufrecht erhalten?

Ja, das sollten wir. Der Mitchell-Plan ist von allen akzeptiert worden - von der EU, von UN-Generalsekretär Kofi Annan, von den Vereinigten Staaten und vor allem von den beiden Konfliktparteien. Wir müssen jetzt gemäß der Empfehlungen weiterarbeiten, die im Mitchell-Plan niedergelegt sind. Kein Buchstabe, der von Bedeutung ist, darf in diesem Plan geändert werden. Die Umsetzung des Mitchell-Plans, der unter anderem eine Feuerpause, vertrauensbildende Maßnahmen und schließlich einen politischen Dialog vorsieht, wird nicht einfach sein. Aber immerhin haben wir so etwas wie eine Straßenkarte, auf der die nächsten politischen Stationen verzeichnet sind. Es ist das erste Mal, dass sich alle im Nahen Osten auf ein solches Dokument geeinigt haben.

Ein Gewaltverzicht ist aber immer noch nicht in Sicht. Im Westjordanland wird eine jüdische Siedlerin getötet, im Gaza-Streifen feuern Palästinenser ebenfalls auf jüdische Siedler...

Es ist wahr: Es ist schwer, an vertrauensbildende Maßnahmen zu denken, so lange es keine Waffenruhe gibt. Deshalb müssen wir auch so schnell wie möglich die erste Etappe auf der Straßenkarte des Mitchell-Plans zurücklegen, an deren Ende die Waffenruhe liegt. Am vergangenen Wochenende war ich in der Region, gerade hat dort der amerikanische Außenminister Colin Powell vermittelt. Wir beide arbeiten sehr eng zusammen. Und wir hoffen beide, dass der Zug - also die Empfehlungen des Mitchell-Plans - jetzt in Bewegung kommt.

Wie definieren Sie die Rolle der EU im Nahen Osten?

Ich denke, dass wir gute, produktive Arbeit bei der Friedenssuche in dieser Region leisten. Unsere Rolle im Nahen Osten ist nicht auf Rhetorik beschränkt, sondern wir sind auf sehr praktische Weise am Friedensprozess beteiligt. Die Tatsache, dass sich Joschka Fischer in jenen tragischen Tagen gerade in Tel Aviv aufhielt, als dort bei einer Bombenexplosion über 20 Menschen starben - das ist von ganz entscheidender Bedeutung gewesen. Durch seine Mission ist das Vertrauen beider Konfliktparteien in die Europäische Union gewachsen. Dieses Vertrauen ist auch dringend nötig, wenn wir im Nahen Osten eine politische Rolle spielen wollen.

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