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Politik: Jedes hat seine Zeit

Von Clemens Wergin

Hunderte, vielleicht tausende Tote sind zu beklagen. Leichengestank durchzieht viele Städte und Ortschaften an der Südostküste der USA. Eine ganze Großstadt wird erst in drei bis vier Monaten wieder von ihren Bewohnern bezogen werden können. Menschen campieren noch immer auf Highways und warten auf einen Schluck Wasser und etwas zu essen.

Es fällt schwer zu glauben, dass die mächtigste und reichste Nation dieser Welt so wenig gegen diese Naturkatastrophe tun konnte. Als der Tsunami vor Sumatra an Weihnachten bis zu 300000 Menschen tötete, war man mit Erklärungen schnell bei der Hand. Das fehlende Frühwarnsystem und die schwach ausgebildeten staatlichen Strukturen wurden dafür verantwortlich gemacht, dass so viele Menschen starben. Nun traf es eine der am höchsten entwickelten Gesellschaften auf dem Globus, zudem waren die Amerikaner gewarnt. Sicher, es hätten noch viel mehr Menschen sterben können. Aber etwas in uns weigert sich anzuerkennen, dass gegen die Gewalten der Natur manchmal wenig auszurichten ist.

Die Geschichte der Zivilisation ist gekennzeichnet vom Bemühen um Sicherheit. Eine Linie, die sich von Noahs mythischer Arche über den Hausbau mit Stein und Beton bis zur Münchner Rückversicherung zieht. Im Kampf mit der Natur hat der Mensch viele Niederlagen erlitten. Aber Kulturleistungen wie der Wolkenkratzer oder der Bau von Städten wie Venedig oder New Orleans sind ohne ein gewisses Quantum an Hybris und unvorsichtigem Optimismus eben auch nicht denkbar. Ohne Wagnis gäbe es weder Zivilisation noch Fortschritt. Obwohl sie um die eigene Verletzlichkeit wissen, werden Menschen weiter Häuser an den Abhängen des Vesuvs bauen und die nun zerstörte Küste der USA wieder bevölkern.

Wenn das staatliche Netz reißt, wie nun in Louisiana, Mississippi und Alabama, dann kommt das Schlimmste wie auch das Beste in uns zum Vorschein. Wir erleben Amerikaner, die ihr Boot auf den Hänger laden und quer durch die USA fahren, um zu helfen. Auf der anderen Seite liefern sich Plünderer Feuergefechte mit Sicherheitskräften bei ihren Beutezügen durch überflutete Geschäftsstraßen. Auch die Konflikte und Widersprüche einer Gesellschaft treten deutlicher zu Tage. Es ist eben kein Zufall, dass die meisten derer, die nicht vor „Katrina“ fliehen konnten, arm und schwarz sind.

Noch überwiegen in den USA Mitleid und Pragmatismus. Solange Menschen auf Rettung warten, wird der Wirbelsturm kaum für politische Kontroversen sorgen. Und so ist es besonders geschmacklos, dass gerade der deutsche Umweltminister Jürgen Trittin glaubte, mit „Katrina“ im Wahlkampf punkten zu können. Schon am Dienstag veröffentlichte er einen Beitrag in der „Frankfurter Rundschau“ und stellte den Wirbelsturm in einen direkten Zusammenhang mit der amerikanischen Kyotoverweigerung – ohne die vielen Toten zu erwähnen und sein Bedauern auszudrücken.

Katastrophen sind Zeiten der Bewährung, in denen Führungsstärke verlangt wird, die aber auch eine Chance zur Profilierung bieten. Wie schon nach dem 11. September kam George W. Bushs erste Reaktion zu spät und wirkte unbeholfen. Wenn er sein wegen des Irakkriegs angekratztes Image verbessern will, muss er sich nun als kompetenter Krisenmanager bewähren. Denn irgendwann wird auf den tropischen auch der politische Sturm folgen. Dann wird die Korruption in Louisiana genauso auf den Tisch kommen wie die Tatsache, dass die Bush-Regierung in New Orleans Millionen Dollar aus dem Deichbau abgezogen und in die Terrorabwehr gesteckt hat. Dann wird man auch darüber reden, ob die 3800 Nationalgardisten aus Mississippi und 3000 aus Louisiana nicht doch besser zu Hause anstatt im Irak Dienst getan hätten. Und vielleicht werden die Amerikaner dann auch die notwendige Debatte führen, ob ein Verlangsamen der Erderwärmung ihnen in ihrer klimatisch exponierten Lage nicht viel mehr bringt als den Europäern. Dafür ist aber immer noch Zeit. Jetzt gilt es als Erstes, die Lebenden zu retten – und die Toten zu begraben.

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