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Jemen: Al Qaida auf dem Weg zur Regionalmacht

Al Qaida versucht im Jemen, ganze Landstriche zu kontrollieren. Mittlerweile zeigen sich die Kämpfer mit ihren Kalaschnikows und Raketenwerfern auch offen in der Hafenstadt Aden.

Der Hilferuf kam per Handy. „Seit einem Monat werden wir belagert, haben keinerlei Verstärkung und Nachschub erhalten, nicht einmal Wasser“, klagte der Offizier. Das Verteidigungsministerium in Sanaa überlasse die Soldaten einfach ihrem Schicksal, obwohl sie die Hauptlast im Kampf gegen Al Qaida trügen. Über Wochen lieferten sich beide Seiten harte Gefechte, am Ende mussten die Regierungssoldaten der 25. mechanisierten Brigade Hals über Kopf das Terrain räumen. Seitdem gelten 50 ihrer Kameraden als vermisst, mindestens 150 Soldaten sind gefallen – und jeden Tag werden es mehr.

Im März hatten die Gotteskrieger bereits das Städtchen Jaar im Süden des Jemen erobert, im Juni brachten sie Zinjibar, die Hauptstadt der Provinz Abyan, mit den Kasernen und Waffendepots unter ihre Kontrolle. Mittlerweile zeigen sich die Kämpfer mit ihren Kalaschnikows und Raketenwerfern offen in der Hafenstadt Aden. Nach Angaben der verängstigten Bewohner sind die umliegenden Berge voll mit dubiosen Bewaffneten. Ein Selbstmordattentäter, der offenbar aus Saudi-Arabien stammte, tötete an einer Straßensperre fünf Menschen und verletzte 16 weitere. Gleichzeitig versuchte ein Terrorkommando, zum Hafen und zur Ölraffinerie vorzudringen, wurde aber rechtzeitig entdeckt. Gouverneur Abdulkareem Saleh Shaef jedenfalls hat sich abgesetzt und ist nach Jordanien ins Exil geflohen, während mehr als 50 000 Flüchtlinge aus der umkämpften Provinz Abyan im Stadtgebiet Schutz suchen.

Seit im Jemen der Machtkampf zwischen der Jugendbewegung, den Oppositionsparteien und Präsident Ali Abdullah Saleh tobt, nutzt Al Qaida das wachsende Chaos im Land. Die Anti-Terror-Truppen des Regimes sind in der Hauptstadt gebunden, die im Süden stationierten Einheiten zu schwach, um den Gotteskriegern aus zahlreichen arabischen Staaten Paroli zu bieten. Vor drei Wochen gelang es zudem 65 Terroristen, nach einer spektakulären Befreiungsaktion aus dem Zentralgefängnis der Hafenstadt Mukalla zu entkommen.

„Die Macht von Al Qaida wächst. Wir sind dabei, den Kampf zu verlieren“, warnt Mohammed Saif Haidar, Jemens bekanntester Al-Qaida-Experte, der im „Sheba-Zentrum für strategische Studien“ in Sanaa arbeitet. Unter den jemenitischen „Gefolgsleuten der Sharia“, die im Süden des Landes talibanartige Kalifate errichten wollen, bilden die Anhänger von Osama bin Laden den harten Kern. Die Militanten drohten, Ehebrecher zu exekutieren und Dieben die Hände abzuhacken. Sie patrouillieren auf den Straßen, verbieten Bücher und machen Jagd auf Staatsbeamte und Polizisten. In einem der Dörfer gab es bereits die erste öffentliche Hinrichtung eines Homosexuellen. Die Zahl der im Süden operierenden Gotteskrieger schätzt der Forscher mittlerweile auf gut tausend, nicht mitgerechnet die Heerscharen jemenitischer Stammeskämpfer, „die sie schützen und es ihnen erlauben, sich frei zu bewegen“.

„Ihre Strategie ist, sich in der Region festzusetzen und sich dann langsam an der Küste entlang auszubreiten“, erläutert Haidar. Zum ersten Mal in der Geschichte von Al Qaida versucht die Organisation auf der arabischen Halbinsel ein ganzes Gebiet mitsamt Dörfern und Städten unter ihre Kontrolle zu bringen – im Falle Jemens mit Bedacht gewählt. Auf jemenitischer Seite handelt es sich um einen schwer zugänglichen Landstrich mit Wüsten und Bergen sowie voller Felshöhlen, die als Verstecke dienen. Auf der gegenüberliegenden somalischen Seite herrschen die „Al-Shabab“, ebenfalls ein Ableger des von Osama bin Laden gegründeten Terrornetzwerks.

Und so könnten die Gotteskrieger bald eine der wichtigsten Seestraßen der Welt kontrollieren, den Golf von Aden mit der Meerenge Bab Al Mandab, durch die ein beträchtlicher Teil der Öltanker und Containerschiffe der Welt passiert. Die USA zeigen sich inzwischen extrem besorgt. Letzte Woche schickte Präsident Barack Obama seinen Anti-Terror-Berater John Brennan ans Krankenbett des schwer verletzten Präsidenten Saleh, der in einem Militärhospital in Riyadh liegt. Gleichzeitig gab der US-Präsident Befehl, bis Ende des Jahres eine geheime CIA-Basis im Mittleren Osten aufzubauen, von der aus künftig alle Drohnenangriffe auf Al-Qaida-Kämpfer geflogen werden sollen. Aber auch Stammesangehörige beginnen aufzubegehren. In Jaar gingen sie letzte Woche zum ersten Mal auf die Straße und skandierten „Al Qaida raus aus der Stadt“.

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