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Jerusalem: 6,4 Quadratkilometer Nahostkonflikt

Vor 30 Jahren erließ die Knesset ein Gesetz, das ganz Jerusalem zur Hauptstadt Israels erklärte – bis heute sorgt das für Streit.

Berlin - Inmitten der Bemühungen um eine Wiederbelebung des Nahostfriedensprozesses hat die Stadtverwaltung von Jerusalem den Bau neuer Wohnungen in Ostjerusalem genehmigt. Die Kommission für Stadtplanung gab grünes Licht für den Bau von 20 Wohnungen in der jüdischen Siedlung Pisgat Seew. Zur gleichen Zeit drängten israelische Polizisten im Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah Demonstranten zurück, auch den renommierten Schriftsteller David Grossmann. Sie protestierten gegen das bereits bewilligte Projekt eines archäologischen Parks, das den Abriss von 43 palästinensischen Häusern vorsieht. Israel wird das zehnmonatige Moratorium für den Siedlungsbau, das am 25. September endet und Ostjerusalem ausklammert, nicht verlängern, sagte Außenminister Avigdor Lieberman.

Denn in den Augen der israelischen Behörden ist Ostjerusalem kein besetztes Gebiet und jüdische Wohnprojekte sind dort keine Siedlungen. Nach dem Jerusalem- Gesetz, das im Juli 1980 vom israelischen Parlament angenommen wurde, ist ganz Jerusalem „die vollständige und vereinigte“ Hauptstadt Israels. Initiatorin des Gesetzes war die rechtsnationale Abgeordnete Geula Cohen. Sie wollte Premierminister Menachem Begin in Verlegenheit bringen, weil dieser im Friedensabkommen mit Ägypten zugestimmt hatte, die Sinaihalbinsel zu räumen und eine palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland und Gaza zuzulassen. Die Annektierung des Westjordanlandes und Gazas kam nicht in Frage, aber die Ostjerusalems schon, denn auch Politiker der Arbeitspartei wollten nicht gegen Jerusalem votieren. Und so wurde das Jerusalem-Gesetz mit einer Mehrheit von 62 zu zwölf Stimmen von insgesamt 120 Abgeordneten angenommen. Jitzchak Rabin blieb der Abstimmung fern.

Eigentlich war das Jerusalem-Gesetz überflüssig. Denn bereits 1967, kurz nach der israelischen Eroberung Ostjerusalems von Jordanien, war dieser Stadtteil indirekt annektiert worden. Eine Gesetzesänderung bevollmächtigte den Innenminister, alle Stadtgrenzen zu erweitern. Am nächsten Tag veröffentlichte der Minister eine Verordnung, die das Gebiet Jerusalems fast verdreifachte. Bis 1967 war das jordanische Ostjerusalem nur 6,4 Quadratkilometer groß, einschließlich der einen Quadratkilometer großen Altstadt mit den Moscheen auf dem Tempelberg, der für Juden heiligen Klagemauer und der Grabeskirche.

Israel annektierte aber nicht nur Ostjerusalem, sondern auch rund 64 Quadratkilometer des Westjordanlandes. Damit wurden 66 000 Palästinenser in Ostjerusalem und den umliegenden Dörfern Bürger des vereinigten Jerusalem. Sie durften die israelische Staatsbürgerschaft annehmen, was aber nur fünf Prozent taten. Heute leben in Ostjerusalem 190 000 Juden und 280 000 Palästinenser, in Westjerusalem 300 000 Juden.

Das Jerusalem-Gesetz hat der Stadt nicht die erhoffte internationale Anerkennung eingebracht. Der UN-Sicherheitsrat forderte dessen Annullierung und die Evakuierung aller Botschaften aus Jerusalem. Plötzlich war die schmale Verbindungsstraße zwischen Jerusalem und Tel Aviv verstopft, sagt Ari Rath, der als Redakteur der „Jerusalem Post“ jede Woche zwei, drei Mal diese Strecke befuhr. „Jeden Tag war ein anderer Konvoi von Lkw unterwegs, der eine Botschaft von Jerusalem nach Tel Aviv übersiedelte.“

Als die Vereinten Nationen 1947 die Gründung eines jüdischen Staates beschlossen, erklärten sie Jerusalem zur Enklave unter UN-Verwaltung. Im Mai 1948 wurde der Staat Israel in Tel Aviv ausgerufen, dort tagte auch das erste Parlament. Im selben Jahr eroberte Israel Westjerusalem und erklärte es zum Staatsgebiet. Premierminister David Ben Gurion erklärte 1949 im Parlament Westjerusalem zur Hauptstadt Israels „und zu dessen Herz“. Daraufhin zogen das Parlament und der Präsident dorthin.

Die USA konnten 1980 verhindern, dass Israels Premier Menachem Begin seinen Amtssitz in den Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarach verlegte. Entgegen der UN-Position beschloss der US-Kongress 1995 den Umzug der Botschaft nach Jerusalem. Die letzten US-Präsidenten allerdings setzten die Pläne nicht um. Als geeigneter Standort wurde immerhin schon ein Platz direkt an der ehemaligen Grenze zwischen Ost- und Westjerusalem ins Auge gefasst.

Westjerusalem gilt de facto als Israels Hauptstadt. Dort treffen die Regierungschefs den israelischen Ministerpräsidenten und dort sprechen manche von ihnen, etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel, vor dem israelischen Parlament. Botschafter aller Länder überreichen ihre Beglaubigungsschreiben an den jeweiligen israelischen Präsidenten in seiner Westjerusalemer Residenz. Aber bevor Israelis und Palästinenser sich über die Zukunft Jerusalems einigen, werden die ausländischen Vertreter diesen Konflikt von der Botschaft in Tel Aviv aus verfolgen.

Igal Avidan

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