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Das Dorf Neta, gegründet von israelischen Siedlern: Die Siedlungspolitik ist ein ständiges Konfliktfeld. Das wollen die Aktivistinnen von "Frauen führen Frieden" ändern.

© AFP

Jerusalem: Fasten für den Frieden

Eine Frauenorganisation campiert in Jerusalem vor der Residenz des Premiers - und will endlich Frieden zwischen Israel und den Palästinensern erzwingen.

Ein Sonntagvormittag im August in Jerusalem, es herrschen bereits 38 Grad, und die 73-jährige Saviona Rotlevy sitzt auf einem Plastikstuhl unter einem Zeltdach und fastet. Zusammen mit anderen Frauen der Organisation „Nashim Osot Shalom“, also „Frauen führen Frieden“, ist sie vor die Residenz von Premierminister Benjamin Netanjahu gekommen, um ein Zeichen zu setzen – obwohl und gerade weil es so brandgefährlich heiß ist in diesen Tagen: Nicht nur die Wälder um Jerusalem haben Feuer gefangen. Auch die Stimmung ist aufgeheizt seit dem Brandanschlag im Westjordanland am Freitag, bei dem der eineinhalbjährige Ali Dawabshe ums Leben gekommen ist. Sicherheitsexperten warnen vor einer Eskalation der Gewalt.

Der letzte Krieg ist gerade ein Jahr her. „Ich bin schon mit meinen beiden Söhnen in den Bunker gerannt und habe das Gleiche nun vergangenen Sommer mit meinen Enkeln tun müssen“, erzählt Rotlevy den anderen Frauen. Seit 26 Tagen sitzen sie abwechselnd zusammen, rund 15 sind es heute. Viele tragen helle Kleidung – als Zeichen der Hoffnung – und ein türkisfarbenes Schildchen um den Hals mit der Aufschrift: „Ich faste.“

Saviona hat seit dem Unabhängigkeitskrieg alle gewalttätigen Auseinandersetzungen miterlebt. Als Richterin in Tel Aviv war sie in den 90er Jahren am Prozess gegen den Mörder des damaligen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin beteiligt. Demonstrieren durfte sie als Richterin nicht – als Rentnerin nun schon: „Mein ältester Enkelsohn feiert heute seinen zehnten Geburtstag. Deshalb bin ich hier. Meine Enkelkinder sollen eine bessere Zukunft haben.“

Die Frauen von „Nashim Osot Shalom“ wollen, dass die Friedensverhandlungen wieder aufgenommen werden und ein Abkommen mit den Palästinensern erzielt wird. Sie haben sich seit Mitte Juli in einem offenen Zelt vor Netanjahus Residenz einquartiert. 50 Tage wollen sie bleiben, so lange wie der vergangene Krieg gedauert hat. Sie übernachten nicht hier, sitzen aber bis in die Abendstunden zusammen, diskutieren, viele von ihnen fasten.

„Nashim Osot Shalom“ , das sind tausende Frauen jeglicher politischer Couleur, religiös und säkular, jüdisch und arabisch. Vor ein paar Tagen waren sogar ultraorthodoxe Frauen und Frauen aus den Siedlungen dabei.

Die Mütter wollen ihre Kinder nicht im Krieg wissen

Sie haben sich nach dem Gazakrieg 2014 zusammengeschlossen. Viele sind Mütter und wissen, wie es ist, wenn die eigenen Kinder den verpflichtenden Wehrdienst antreten. Gleichzeitig sehen sie, dass die meisten sicherheitspolitischen Entscheidungen von Männern getroffen werden. „Männer stecken in militärischen Netzwerken, die in Israel sehr stark sind und sich bis in die einflussreichen Ebenen der Politik und Wirtschaft ziehen“, erklärt Rotlevy. Sie will weibliche Stimmen hörbar machen. Die Frauen berufen sich auf die UN-Resolution 1325, die auch besagt, dass Frauen stärker an Konfliktlösungen und Friedensverhandlungen beteiligt werden sollen.

„Ich bin Kinderärztin. Ich sehe, welche Anstrengungen wir unternehmen, um ein einziges Kinderleben zu retten. Gleichzeitig akzeptieren wir so leicht, dass auf der anderen Seite viele sterben“, sagt die 49-jährige Orit. Sie hat sich heute freigenommen und ist aus Tel Aviv angereist. „Meine Tochter ist 18 und in der Armee, mein Sohn ist 16 und wird bald seinen Dienst antreten. Wir können nicht ewig so weitermachen.“

An diesem außergewöhnlich heißen Sommertag ist die Stimmung in der Straße ruhig. Die wenigen Passanten sind nicht auf hitzige Diskussionen aus. „An anderen Tagen haben wir hier viele Gespräche. Manche unterstützen uns, andere lehnen uns ab“, sagt Rotlevy.

Auch Spitzenpolitiker aus ganz unterschiedlichen Lagern kamen bereits: Jitzchak Herzog vom Zionistischen Lager sowie der nationalreligiöse Bildungsminister Naftali Bennett von Habait Hajehudi. „Er meinte, wir hätten zwar verschiedene Ansichten, aber er würde unsere Entschlossenheit schätzen. Und: Sein Besuch hier würde ihn bei der nächsten Wahl sicher zwei Sitze kosten“, erzählt Lili Weisberger.

Dann erklingen an diesem Vormittag Polizeisirenen, ein Luxuswagen mit abgedunkelten Scheiben braust aus der Einfahrt. „Das ist Sarah“, ruft eine der Frauen. Sarah Netanjahu, die Ehefrau des Premierministers. Einige stehen auf, rufen und klatschen, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Denn diese verweigert das Ehepaar Netanjahu den Frauen vor der eigenen Haustür bislang. „Weder er noch seine Frau noch irgendwer sonst aus der Likud-Partei haben uns hier besucht. Obwohl wir Netanjahu bereits zweimal einen Brief geschrieben haben“, erklärt Rotlevy.

Die Aktion ist wohl nur ein kleiner Schritt auf dem Weg hin zu Friedensverhandlungen. Doch an diesen aufgeheizten Tagen ist die fastende Frauengruppe auf der Smolenskin Straße ein Hoffnungsschimmer in einem Land, das immer kurz vor dem nächsten Krieg stehen könnte und in dem Frieden immer unerreichbarer scheint.

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