zum Hauptinhalt

Politik: Jetzt führen die Frauen, und die Männer helfen. Die Zeit der Patriarchen ist abgelaufen

Die Rede trägt sie fort, hinein in den Saal. Auf dem Bildschirm, der sie den Delegierten noch näher bringen soll, erscheinen ihre Hände.

Von

Die Rede trägt sie fort, hinein in den Saal. Auf dem Bildschirm, der sie den Delegierten noch näher bringen soll, erscheinen ihre Hände. Beide geöffnet, formen sie ein Rund, und jeder weiß sofort, dass sie die Menge umfassen will. Als sie über Gerhard Schröder spricht - mit Härte, die Politik des Kanzlers schwachsinnig nennt -, sausen ihre Handkanten runter. Und noch einmal. Die Delegierten jubeln, sie verstehen die Signale. Angela Merkel dankt mit ihrem scheuen Winken, das ungeübt wirkt und deshalb bescheiden.

Die Nähe ist fast zum Greifen. Alles bewegt sich aufeinander zu. Die da oben, sie hier unten spüren die Emotionen. Doch es ist nicht nur diese Rede, es ist mehr. Die Bewegung wird von der Szenerie unterstützt. Die Halle ist rundherum in gedämpftes Blau gekleidet, das Grün wirkt sanft, nur die Lettern CDU als Signal sind deutlich rot. Und dann das Licht! Es entfaltet sich nicht, um einzelne Punkte auszuleuchten, sondern um sie einzuhüllen. Alles erscheint abgestimmt, damit sich die Partei einstimmen kann: auf sie. Auf die Frau an der Spitze.

"Wenn sie lächelt, geht eine Welle von Wärme durch die Halle." Regina Görner ist Landesministerin im Saarland. Sie sitzt als Delegierte im Saal. Zum ersten Mal seit Jahren ist das Podium nicht auf Mannshöhe über dem Boden gebaut. Das fällt auf. Erst jetzt ist das so, und Görner staunt: über sich, über ihre Partei, über das, was früher an Distanz ganz klaglos hingenommen wurde. "Auf Augenhöhe", sagt sie und schaut. Auf dem Podium schauen sie zurück, fragend, mit hochgezogenen Brauen, mit lächelnd zur Seite geneigten Gesichtern: die Frauen in der ersten Reihe. Und Wolfgang Schäuble.

Der verlorene Chef beobachtet. Keine Regung soll ihm entgehen von dem, was sein Werk ist. Er hat die Hände vor dem Mund: kein Wort, im Augenblick. Er kontrolliert sich und den Saal, schaut aufs Podium, auf die Frauen, und sieht, mit wem sich ihre Blicke verbinden. Er ist in ihrer Nähe. Da erhebt sich die Vizechefin Annette Schavan und verlässt ihren privilegierten Platz, um die Antwort auf die fragenden Blicke - nein, nicht nur zu geben. Sie kommt auch, um zu erkunden. Alles für die Frau an der Spitze.

Die Frauen sind stark geworden, stark gemacht durch Wahlen, die genau 15 Jahre nach den Essener Leitsätzen zur Gleichstellung von Frau und Mann stattfinden. Heiner Geißler, der damals Generalsekretär war und seinerzeit dazu aufrief, die "Paschas vom Thron zu stoßen", hat jetzt in der Sitzung des Bundesvorstandes daran erinnert. Über diesen "revolutionären" Beschluss zu reden, forderte der alte Kämpfer, und die versammelten Männer schauten. Auf die Frauen. Die eine nimmt das Wort von der Revolution später auf. Mit ein paar kurzen Sätzen - nicht der Rede wert. Die Zeit der Patriarchen ist abgelaufen.

Helmut Kohl blickt aus der Ferne auf diese Partei, die er als seine Heimat empfunden hat. Nein, er blickt nicht einmal: Die Tage von Essen im Fernsehen zu verfolgen, hat er sich versagt. Michael Roik ist da, sein Sprecher, Büroleiter in langen Jahren, Zuhörer an seiner statt. Und Anton Pfeifer sitzt auf der Gästetribüne, vorne in der ersten Reihe, in sich versunken, mit umschatteten Augen - ein unauffälliger älterer Herr, der die Leinentasche mit den Parteitagsunterlagen auf dem Schoß hält. Ab und an drückt einer von den Alten dem einstigen Staatsminister im Kanzleramt die Hand. Nein, er ist nicht traurig. "Schäubles Rede war zukunftszugewandt", sagt er. Und Merkels Wahl ist es ebenso. Geklatscht hat er nicht, weder bei Merkel, noch bei Schäuble. Das tut man nicht auf den Seitenrängen.

"Wir alle wissen, dass es ihm nicht leicht fällt, das erste Mal seit 1951 nicht an einem Parteitag teilzunehmen." Auch für ihn, sogar für ihn: ein Quantum Wärme von der Nachfolgerin. Keine Alternative zum Kurs der Aufklärung, aber "Ihr Werk, lieber Helmut Kohl, bleibt historisch überragend". Im fernen Berlin ist die Botschaft angekommen. Ein Telegramm geht auf den Weg. "Viel Glück und Gottes Segen", wünscht der liebe Helmut Kohl. Ein großartiges Wahlergebnis, eine große Ermutigung. Aber auch dies: "Wenn ich Sie unterstützen kann und Sie dies wünschen, werde ich es gerne tun."

Welch ein Wohlwollen bei den alten Herren! Kurt Biedenkopf - väterlich. So fühlt er sich, wie die namenlosen alten Herren, die auf den Regionalkonferenzen der jungen Frau da vorne Mut zugeredet haben, dieser Frau, die ihre Tochter sein könnte oder ihre Enkelin. Sollen doch die Jungen mal machen, sollen die Frauen es machen. Und warum soll nicht auch einmal eine Frau Kanzlerkandidat der Union werden? Erwin Teufel hat diese Frage gestellt, allerdings so, dass nicht klar ist, ob die Betonung nicht auf dem "auch einmal" liegt. In Baden-Württemberg wird er schon ausgetragen, der Kampf um die Spitze. Auch da ist eine Frau ganz vorne dabei: Annette Schavan. In der Bundespartei ist sie jetzt die erste unter den Stellvertretern, um Längen vor den Männern. Keine Zeit für Patriarchen.

Wie die Männer da sitzen, gerade noch davongekommen. Sie sehen ziemlich alt aus, nicht nur, weil die Haare grau sind, sondern auch, weil es die Gesichter sind: der Niedersachse Christian Wulff, der vielleicht doch ganz gerne Generalsekretär geworden wäre, aber nicht gefragt war; Volker Rühe, der Verlierer von Schleswig-Holstein, der verhinderte Intrigant gegen den unaufhaltsamen Aufstieg der Angela Merkel, jetzt ein König ohne Land, den Mund halb offen, als träume er einen schlechten Traum.

Oder auch Friedrich Merz, der tatsächlich geträumt hat, die Augen halb geschlossen, als Merkel gerade ihn, den neuen Fraktionsvorsitzenden, lobte. Das hat ihm einen hochroten Kopf beschert. Und einen Lacherfolg. Immer noch mehr als bei seiner Rede. Da träumte zur Abwechslung der Saal, erschöpft vom Delegiertenabend. Kein Publikum für einen Fachmann, der eine Fachmannrede hält und sorgsam ausgerechnet hat, dass die Regierung Schröder bei 20 000 mehr Beschäftigten in einem Jahr genau 210 Jahre brauchen würde, um alle 4,2 Millionen Arbeitslosen in Lohn und Brot zu bringen. Das rechnen sie nicht nach. Aber es interessiert sie auch nicht.

Wie sie jetzt da sitzen, die Frauen. Dagmar Schipanski, lächelnd, als Beste ins Präsidium gewählt, obwohl doch gerade erst in die CDU eingetreten. Ganz selbstverständlich hat sie Platz genommen in der Riege der Ministerpräsidenten, ganz zufällig auch. Aber der Zufall will es, dass sie den Blick freigibt auf Bernhard Vogel, ihren Ministerpräsidenten in Thüringen. Der lächelt altgewohnt.

Oder Hildegard Müller. Als erste Vorsitzende der Jungen Union ist sie in die engere Führung der Bundespartei gelangt. Sie strahlt, sie leuchtet, ist Adressatin mannigfacher guter Worte. Wie viele Männer applaudieren und zur Gratulation kommen - sie zieht an, die Nähe zur Macht. Und nicht durch Zufall im Ergebnis eingerahmt ist Wolfgang Schäuble. Von Schipanski, die er als Bundespräsidentin vorschlug, lange vor der Hessenwahl, kurz nach der verlorenen Bundestagswahl. Von Müller, die er als "besonders gute" Vorsitzende schon vor seinem Abschied von der Spitze lobte. Und die, die nun neu an die Spitze kam, tauscht einen kurzen Blick mit ihm. Kein Wort in diesem eindrucksvollen Augenblick.

"Die Teilnehmer waren sich einig, dass die CDU mit Verantwortung und Veränderung neues Vertrauen gewinnt." So steht es im Rechenschaftsbericht der Bundesgeschäftsstelle. In Merkels Rechenschaftsbericht. Viel hat sich verändert, schnell ist es gegangen. Die Frau an der Spitze trägt nicht allein die Verantwortung. Wohin sie schaut, sie findet Helfer. Im Saal die Frauen, die lange, seit Essen 1985, darauf gewartet haben, dass dieser Satz Wahrheit wird: "Die CDU lehnt eine Politik ab, die Frauen und Männer auf bestimmte Rollen festlegt." Libeth Werhahn-Adenauer, die Tochter des großen Alten, erlebt in der ersten Reihe diese Stunden mit. Regina Görner, die Christlich-Soziale, lange im Bundesvorstand des DGB, die für Rita Süssmuth Reden schrieb, klatscht in der dritten Reihe aus vollem Herzen. Weiter hinten tut es ihr Hans-Peter Repnik gleich, der lange dafür sorgte, dass Schäuble die Führung sicher war. Vorne auf dem Podium Willi Hausmann, der Bundesgeschäftsführer, der Vertraute der Krisentage. Und Ruprecht Polenz, der Generalsekretär, der Sekretär werden soll: nicht viel reden, aber die Dinge im Griff.

"Ich will", sagt sie. Neun Mal. Beim zehnten Mal sagt sie "Wir", und von nun an bis zum Schluss. Die ersten beiden Seiten im Manuskript und die letzten vier hat Schavan vorher lesen dürfen. "Das ist der Durchbruch", weiß sie nach der Rede. Und als die beiden beieinander sitzen, sagt Merkel: "Ich habe mir alles gut überlegt." Das denkt Görner auch. Dieses Bravourstückchen zu Kohl hat es ihr besonders angetan.

Selbst Schäuble, der den Patriarchen nicht mit einem Wort erwähnte, findet es in Ordnung. Seine Rede war eine Summe der Reden aus dem letzten Jahr. So sollte sie sein. Aber kein Blick zurück im Zorn, denn das verstellt nur den nach vorn - auf Merkel. Im Hintergrund steht Repnik, hoch zufrieden, dass die neue Chefin erreicht hat, was sie erreichen wollte. Und noch mehr: "Emotionen einzufangen, sie zu bündeln - und sie zurückzugeben". Frauen, die zusammen führen. Und Männer, die ihnen helfen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false