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Der Anteil der Männer, die Elternzeit nehmen, steigt. 2012 waren immerhin 22 Prozent der Elterngeldempfänger Männer.

© dpa/picture alliance

Jetzt reden die Väter: Sex, Karriere und Familie passen nicht zusammen

Marc Brost und Heinrich Wefing schreiben in ihrem Buch über die Unmöglichkeit, Kinder, Liebe und Karriere zu vereinbaren. Eine Rezension

Dieses Buch hätte gar nicht geschrieben werden dürfen. Weil keine Zeit dafür war. Weil es Wichtigeres gab, die Kinder, die Beziehung und auch noch den Beruf. Umso besser, dass sich irgendwo noch ein paar Stunden herholen ließen. Und wenn auch nur dadurch, dass der Wecker früher klingelte. „Geht alles gar nicht. Warum wir Kinder, Liebe und Karriere nicht vereinbaren können“ gibt überforderten Eltern eine Stimme, vor allem überforderten Vätern der Generation Elterngeld. Sie sollten die neuen, modernen Männer werden, mit Zuneigung und Aufmerksamkeit das alte Modell des Versorgers ablösen, der erst zum Gute-Nacht-Sagen nach Hause kommt. Aber es klappt einfach nicht.

Und was sollen erst die Frauen sagen?

Gegen die „Vereinbarkeitslüge“ schreiben die beiden Autoren an, die „Zeit“-Redakteure Marc Brost und Heinrich Wefing. Die Lüge, dass alles immer nur eine Frage der Organisation sei, um liebevolle Eltern, hingebungsvolle Partner und erfolgreiche Arbeitnehmer auf einmal zu sein. Brost und Wefing wollen zunächst einmal Ehrlichkeit. Die heutigen Freiheiten lassen schließlich große Träume zu. Von einer glücklichen Familie und einer Megakarriere. Doch aus großen Träumen werden große Enttäuschungen. Und vor allem im Alltag unglaublich viel Stress.

Die allermeisten Väter, knapp 90 Prozent, arbeiten nach wie vor Vollzeit. Viele würden gerne daran etwas ändern, meistens vergeblich. Und doch ist es ihnen nicht egal, wie Brost und Wefing schreiben: „Auch Männer können sich überfordert fühlen von Familie und Beruf. Auch Männer sind traurig, wenn sie ihre Kinder kaum sehen. Auch Männer nehmen wahr, dass da etwas gründlich schiefläuft in vielen Familien.“ Dass Kollegen an ihnen vorbeiziehen, wenn sie sich denn wirklich dauerhaft mehr Zeit für die Familie nehmen.

Das liegt auch an den Männern selbst. Stellt euch nicht so an, lässt sich daher einwenden, eure Möglichkeiten hätten Väter früher gerne gehabt. Ihr habt es doch gut, was wollt ihr eigentlich? Und was sollen erst die Frauen sagen, die nicht nur eure Probleme haben, sondern auch noch schlechter bezahlt werden? Stimmt alles – und hilft doch niemand weiter.

Daher ist „Geht alles gar nicht“ ein Familienbuch, auch wenn es zwei Männer geschrieben haben, ihre Perspektive immer wieder durchkommt und mehrere Väter in Kurzinterviews zu Wort kommen. Das Buch ist keine larmoyante Abhandlung und auch keine billige Klageschrift. Man nimmt den beiden ihre Unsicherheit ab. Und dass sie ihre Sorgen über ihre private Situation, ihren Ärger über politisches Versagen und ihre Wut über die Vereinnahmung durch die Wirtschaft nicht für sich behalten, ist auch deshalb so wichtig, weil es keine Vorbilder für die neuen Männer gibt.

Statt Multitasking ist Hypertasking gefragt

Die Generation ihrer Väter hat in der alten Bundesrepublik ein anderes Leben geführt. Sie waren häufig Alleinverdiener. Wo ist nun der prominente, erfolgreiche Vater, der für seine Familie so viel Zeit hat, dass seine Frau auch arbeiten kann und zwar nicht nur 20 Stunden? Er fehlt und das wird schon daran deutlich, welche Aufmerksamkeit die Ankündigung Sigmar Gabriels bekommen hat, seine Tochter einmal in der Woche von der Kita abzuholen. Und selbst das hat er nicht regelmäßig umsetzen können.

Immer noch präsent sind Werbespots mit diesem Ablauf: Wenn der Vater mit den Kindern zu Hause bleibt, beginnt das Chaos. Alles läuft aus dem Ruder, ein Wunder, dass nicht zwischendurch das Haus explodiert, bis die Frau nach Hause kommt und Mann und Kinder erlöst. Dann ist alles wieder gut. „Wir sind die erste Generation, die wirklich Gleichberechtigung zu leben versucht – mit allen Chancen und Ängsten, Freuden und Lasten, die das aufwirft. Für Frauen und Männer“, schreiben Brost und Wefing.

Marc Brost, Heinrich Wefing: Geht alles gar nicht. Warum wir Kinder, Liebe und Karriere nicht vereinbaren können. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 240 Seiten, 16,95 Euro.
Marc Brost, Heinrich Wefing: Geht alles gar nicht. Warum wir Kinder, Liebe und Karriere nicht vereinbaren können. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 240 Seiten, 16,95 Euro.

© Rowohlt Verlag

Doch die neuen Lebensumstände spielen da einfach nicht mit: Großeltern leben oft nicht mehr am selben Ort und können nicht mal eben einspringen, wenn die Kinder krank sind. Dafür haben Meetings und Dienstreisen zugenommen, das Arbeiten in Projekten, das Entlanghangeln von einer Deadline zur nächsten. An immer mehr Arbeit klebt das Etikett: duldet keinen Aufschub. Eine „beispiellose Verdichtung von Arbeit und Zeit, die für uns gar nicht mehr zu bewältigen ist“ frustriert daher nicht nur Brost und Wefing. „Wir erleben die permanente Gleichzeitigkeit von Überlastung und Beschleunigung.“ Statt Multitasking ist Hypertasking gefragt. Darunter leiden nicht selten alle in der Familie.

Plädoyer für die 32-Stunden-Woche

Was also ändern? Zunächst die eigenen Ansprüche. Das ist schon schwer genug. „Zufrieden zu sein und nicht mehr um jeden Preis weiterkommen zu wollen, bedeutet eben auch, dass man den Stillstand akzeptieren muss.“ So ehrlich sind die beiden Autoren schon zu sich selbst, dass ihnen das kaum gelingt.

Aber die Vereinbarkeitslüge ist nicht allein ein Selbstbetrug. Lügner sind auch Unternehmen, denen es nicht um Mütter oder Väter geht, schon gar nicht um Familie, sondern nur um Arbeitskräfte. Die Wirtschaft „will möglichst viel von unserer Zeit. Obwohl wir doch immer mehr Zeit für die Familie wollen“. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hatte die subventionierte 32-Stunden-Woche für junge Eltern als Familienarbeitszeit einführen wollen, bis sie aus ihrer Regierungskoalition zurückgepfiffen wurde. 32 Stunden könnten die neue Vollzeit werden, hatte die Soziologin Jutta Allmendinger gesagt. Laut einer Studie würden auch gerne 82 Prozent aller Männer mit Kindern Teilzeit arbeiten. Es scheitert jedoch oft an den Zielen und am Selbstverständnis der Unternehmen. Die Arbeitswelt ordnet sich selbst alles unter.

Die Politik hat diesem Diktat wenig entgegensetzen können. Ehegattensplitting und Betreuungsgeld fördern als Maßnahmen eher die bestehende Rollenverteilung. Und das Elterngeld, das auch viele Väter genutzt haben, um sich wenigstens zwei Monate mal rund um die Uhr um ihr Kind zu kümmern? „In Wahrheit ist das Elterngeld bloß eine weitere gute Idee, die allein auf die Bedürfnisse von fest angestellten Mittelstandsdeutschen zugeschnitten ist“, kritisieren Brost und Wefing. Sie schlagen sich tapfer durch das Dickicht der familienpolitischen Maßnahmen. Ihre Auswege sind schmale Pfade, vage beschrieben wie dünne Bleistiftstriche auf einer Karte für ein Land, das noch niemand betreten hat. Brost und Wefing fühlen sich gemeinsam mit ihrer Generation auch als Pioniere. Sie wünschen sich „offenere Lebenswege“, eine Kindergrundsicherung oder eine vorgezogene Rente, um ein Studium zu finanzieren.

In ihrer Analyse liegen sie in vielem bei Susanne Garsoffky und Britta Sembach, die im vergangenen Jahr das Buch „Die Alles ist möglich-Lüge“ geschrieben und in einem Interview mit dem Tagesspiegel gesagt haben: „Das aktuelle System benachteiligt substanziell diejenigen, die sich kümmern. Dann ist es kaum verwunderlich, wenn sich immer weniger Menschen um Angehörige kümmern.“ Dass nun auch Männer erleben, dass sich alles so nicht vereinbaren lässt, sehen Brost und Wefing als Chance. Es gibt nun mehr Verbündete.

Eine kleine Lösung steckt im Buch selbst. Die beiden haben es zusammen geschrieben, und so könnten auch andere arbeiten, selbst Führungskräfte. Das Tandem-Modell funktioniert, wenn zwei überforderten Vätern ein solches Buch gelingt.

– Marc Brost, Heinrich Wefing: Geht alles gar nicht. Warum wir Kinder, Liebe und Karriere nicht vereinbaren können. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 240 Seiten, 16,95 Euro.

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