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Politik: Jetzt spielt der Politiker wieder seine Lieblingsrolle: einer gegen alle (Kommentar)

High Noon zur Geisterstunde. Es war kurz vor Mitternacht, als Jörg Haider in einem Wiener Vorstadthotel endlich die Katze aus dem Sack ließ.

High Noon zur Geisterstunde. Es war kurz vor Mitternacht, als Jörg Haider in einem Wiener Vorstadthotel endlich die Katze aus dem Sack ließ. Den ganzen Abend waren Spekulationen durch die Stadt geschwirrt. Eine elektrisierte Stimmung wie vor einem Wetterumsturz im Hochgebirge lag in der Luft. Dann mit gewohnter Inszenierungskunst erschien am Höhepunkt der Spannung der derzeit meist geschmähte Politiker Europas.

Es war ein Auftritt, der eigentlich ein Abgang war, um einen neuen Auftritt vorzubereiten. Er werde sich, verkündete ein überraschend entspannter Jörg Haider, als Landeshauptmann (Ministerpräsident) in seine Hochburg Kärnten zurückziehen und wolle künftig in der österreichischen Bundespolitik nur mehr als "einfaches Parteimitglied" sowie als "Berater" auftreten. Arbeitsüberlastung und sein negatives Image als "Schattenkanzler" des blauschwarzen Wiener Koalitionsbündnisses, das er geschmiedet hatte, nannte er als Beweggründe.

Nun war der ungewöhnliche Schritt nicht einmal ein "taktischer Rückzug", wie unverzüglich interpretiert wurde, etwa um den Druck der internationalen Ächtung, die auf der Wiener Regierung lastet und die eng mit der Person Haider verknüpft ist, zumindest teilweise von der krisengeschüttelten Kabinettsrunde zu nehmen. Vielmehr eröffnete der politische Desparado mit seinem Abgang bereits den nächsten Wahlkampf: den um die Nachfolge jenes Politikers, den er gerade erst in der Wiener Hofburg als Kanzler installiert hatte. Denn dass er den dünnlippigen Obmann der Volkspartei Wolfgang Schüssel nur widerwillig als Chef seiner Regierungskoalition hingenommen hatte, wurde mit jedem seiner gereizten Beharrungsstatements offensichtlicher. Den Anspruch auf diesen Job bekräftigte er sogar noch in seiner Rücktrittserklärung.

Auch keine schlechte Karriere: In nur knapp vier Wochen vom Outsider über den Schattenkanzler zum Favoriten in der Kanzlernachfolge, der bloß noch die kleine Formalität einer Wahl hinter sich bringen muss. Niemand bezweifelt, dass Haider beim nächsten Duell die besten Karten hat: Er wird sowohl den Zeitpunkt zu bestimmen, wissen wie auch die Wahl der Waffen treffen. Einige Themen zeichnen sich schon jetzt ab: Opposition zur Osterweiterung, Euro-Pannen, die Belastungswelle wegen des Budgetpaketes, ein zu zögerlicher Privilegienabbau - lauter Dinge, welche die neue Regierung zu verantworten haben wird. Die Opposition wird ab sofort wieder von jenem Mann angeführt, dem diese Rolle in Fleisch und Blut übergegangen ist. Die Sozialdemokraten, jetzt ein Familienbetrieb der Toskana-Fraktion, spielt da nur am Rande mit.

Haiders Überraschungscoup vom Montag ist ein imponierend geschickter Schachzug. Seine Partei sitzt an den Schalthebeln der Macht und sein überragender Einfluß bleibt schon allein durch die erprobte Loyalität seiner Statthalterin, der neuen Vizekanzlerin Riess-Passer, gewährleistet; er selbst hingegen ist wieder zurückgekehrt in sein angestammtes Betätigungsfeld. Jetzt kann er wieder nach Lust und Laune populistische Sprüche dreschen, kann ohne Rücksicht auf die Staatsraison maßlose Forderungen in die Welt setzen und nach Belieben an Freund wie Feind Tadel verteilen. Mit einer raffinierten Drehung hat sich der instinktsichere Demagoge aus der lähmenden Umklammerung befreit, mit dem ihn die Republik in die Pflicht zu nehmen drohte. Nun fährt er wieder sein einsames Rennen: einer gegen alle.

Kann die neue Regierung wider Erwarten Erfolge für sich verbuchen, wird sie der Koalitionsarchitekt Haider für sich vereinnahmen; scheitert sie mit ihrem Reformprogramm, wird ihr Haider, der Rächer der Entrechteten, alle Verantwortung aufbürden. Die Parallele zur letztlich gescheiterten Taktik von Franz Josef Strauß (einem erklärten Vorbild Haiders), der von Bayern aus die alte Bundesrepublik aufrollen wollte, liegt auf der Hand. Es gibt freilich einen bedeutsamen Unterschied: Österreich wird von keinem Weißwurstäquator durchschnitten, verfügt über kein Mentalitätsgefälle zwischen den Regionen. Haiders politischer Stil findet im provinziellen Kärnten ebenso Zulauf wie im urbanen Wien.

Joachim Riedl

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