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Politik: Jetzt zählt die Mehrheit

In seiner Abschluss-Sitzung beschließt der EU-Konvent, das Veto der Mitglieder einzuschränken – auch beim Asyl

Erwin Teufels Resümee vor Beginn der zweitägigen Sitzung des EU-Konvents an diesem Mittwoch blieb pragmatisch. Falls sich auf der letzten Konventssitzung keine weiteren Verbesserungen ergäben, werde der Familiennachzug eben eine der verbleibenden Aufgaben für die im Oktober beginnende Regierungskonferenz sein, sagte der Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

Deutschland hat zwar im Konvent durchgesetzt, dass über die Frage, wie viele Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten zu den Arbeitsmärkten zugelassen werden, weiter allein die betroffenen Staaten entscheiden sollen. Keinen Erfolg hatte jedoch bei Konventspräsident Valerie Giscard d’Estaing die Forderung, auch die Entscheidung über die allgemeinen Einwanderungszahlen dem einzelnen Mitgliedstaat zu überlassen.

Dies hat aus Sicht des Konventspräsidiums kaum inhaltliche Gründe. Für Giscard und seine Kollegen zählte in diesen Tagen vor allem, am vorliegenden Text wenig zu verändern, um das Gesamtpaket nicht mehr aufschnüren zu müssen. Nur so kann nach Ansicht des erfahrenen Europapolitikers Druck auf die Regierungskonferenz ausgeübt werden, die sich möglichst genau an die Vorlage des Konvents halten soll.

Wenn an diesem Donnerstag dann die Konventsmitglieder über den dritten Teil der Verfassung beschließen, geht es um die Kompetenzen der EU und die Bereiche, in denen künftig nicht mehr einstimmig, sondern mit Mehrheit entschieden werden soll. Die Zuständigkeitsbereiche werden bereits im ersten Teil benannt. Subsidiarität ist das vorherrschende Prinzip – wo Staaten ihre Angelegenheiten besser selbst regeln können, soll dies geschehen. Im Verfassungsentwurf ist beispielsweise bei der Sozialpolitik von geteilter Zuständigkeit die Rede.

Damit die EU in den Bereichen, in denen sie gemeinsam agieren will, handlungsfähig ist, wollen viele Mitgliedstaaten das bisher vorherrschende Vetorecht auf möglichst wenige Politikfelder beschränken. In der Verfassungspolitik, der Haushalts- und Steuerpolitik, der Außenpolitik und der Zusammenarbeit im Bereich Polizei und Justiz wird jedoch weiterhin einstimmig entschieden, es sei denn es geht um Fragen der Umsetzung. Ein Beispiel aus der Außenpolitik: Hier soll der Ministerrat mit der Mehrheit der Mitgliedstaaten und drei Fünfteln der Bevölkerung entscheiden können, wenn Beschlüsse auf Grundlage einer strategischen Entscheidung gefasst werden, die wiederum der Europäische Rat zuvor einstimmig beschlossen hat. Im Bereich der verstärkten Zusammenarbeit sollen Staaten in den betreffenden Politikfeldern mit Mehrheit entscheiden können – wenn sie wollen.

Mit qualifizierter Mehrheit und Zustimmung des EU-Parlamentes werden die Mitgliedstaaten in Zukunft bei der Einwanderungs- und Asylpolitik beschließen. Bei der Agrarpolitik, der Liberalisierung von Dienstleistungen und bei den Grundsätzen der Verkehrspolitik werden Mehrheitsentscheidungen, aber auch das Mitentscheidungsrecht des Parlamentes gelten. Europäische Entscheidungen, die den gemeinsamen Binnenmarkt, den Wettbewerb oder Beihilfen betreffen, können mehrheitlich getroffen werden. Die Zollpolitik und die Freiheit des Kapitalverkehrs fallen künftig in diese Kategorie.

Bemerkenswert ist der neue Status der Euro-Gruppe und die Bereitschaft der Staaten, in den Verfahren, die die Wirtschaftspolitik und den Stabilitätspakt betreffen, mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden. Wenn es um einen „blauen Brief“ wegen eines zu hohen Haushaltsdefizits geht, darf der betroffene Staat nicht mit abstimmen, die anderen entscheiden mit der Mehrheit der Staaten und drei Fünfteln der Bevölkerung. Und das Europäische Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten soll mit qualifizierter Mehrheit gegründet werden.

Mariele Schulze Berndt[Brüssel]

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