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Bundespräsident Joachim Gauck Ende August in einer Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Berlin-Wilmersdorf.

© dpa

Joachim Gauck über Flüchtlinge: Eine Lektion für Angela Merkel

"Asyl hat keine Obergrenze", sagt die Kanzlerin. "Die Aufnahmekapazität ist begrenzt", sagt der Präsident und verspricht Flüchtlingen in Deutschland Sicherheit. Passt das zusammen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Wenn ein Bundespräsident ein strittiges Thema aufgreift und grundsätzlich wird, läuft er immer Gefahr, sich in die Tagespolitik einzumischen. Weil Joachim Gauck die Flüchtlingskrise richtigerweise als „epochales Ereignis“ deutet, kommt er an dieser Einmischung gar nicht vorbei. Für seine wichtige Rede zur „Interkulturellen Woche“ loben ihn aus der Union folglich viele Politiker, die Merkels Einladung an die Flüchtlinge aus Ungarn und ihre Öffnungssignale längst schon kritisch kommentiert haben.

Tatsächlich positioniert sich der Bundespräsident völlig anders als die Kanzlerin. Das zeigt sich schon daran, wie er die Schlüsselbegriffe Emotion und Vernunft einsetzt. Eine „sehr verständliche, menschliche Entscheidung“ attestiert er der Regierung Angela Merkels bei der Grenzöffnung und wünscht sich am Ende der Rede, dass der Blick auf die kommenden Konflikte „unseren Verstand, unsere politische Ratio“ aktivieren möge. Wenn der Verstand erst „aktiviert“ werden muss, so lässt sich das lesen, dann war er zuvor im Dämmerschlaf.

Während Merkel die angesichts der Aussicht auf Hunderttausende von Flüchtlingen ängstlichen und skeptischen Deutschen gleichsam ausbürgert („dann ist das nicht mein Land“), erklärt Gauck deren Sorgen für verständlich und berechtigt. Anders als die Kanzlerin spricht er davon, dass noch so guter Wille und noch so viel Geld die schweren Konflikte nicht verhindern werden, die mit der Aufnahme der Flüchtlinge zusammenhängen. Ganz konkret nennt er den Kampf um das knappe Gut Wohnungen, um Kita- und Schulplätze oder um Mehrkosten für die sozialen Sicherungssysteme.

Eine große Kluft zwischen Kanzlerin und Präsident

Wenn Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter nun beklagt, Gauck dürfe „nicht von oberster Stelle des Staates auch noch die Leute weiter verunsichern“, so zeigt das ein überfürsorgliches Politikverständnis. Gauck hat recht: Natürlich haben die meisten Menschen ein gutes Gespür für kommende Konflikte und Gefahren in der Flüchtlingskrise. Wenn Politiker und Medien davon in volkspädagogischer Absicht nicht sprechen wollen, schüren sie Misstrauen und behindern das Bearbeiten der Probleme.

Die größte Kluft zur Kanzlerin aber ist die: Während Merkel darauf besteht, dass es für das Asylrecht keine Obergrenze gibt, verweist der Präsident auf die Endlichkeit der deutschen Hilfsbereitschaft: „Unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt, auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo diese Grenzen liegen.“ An dieser Stelle freilich führt Gauck seine Argumente nicht zu Ende. Denn wenn es Grenzen der Aufnahmekapazitäten gibt, muss der Staat eingreifen, um diese Grenzen erst zu definieren und dann durchzusetzen.

Sollte sich der Versuch, mit der Brechstange anderen europäischen Nationen Hilfsbereitschaft nach deutschem Vorbild abzutrotzen, als wenig erfolgreich erweisen, wird der Blick irgendwann auf das im Grundgesetz verankerte Asylrecht fallen. Auch das gehört in die große Debatte, die der Präsident einfordert. „Dass sich die Besorgten und die Begeisterten nicht gegenseitig denunzieren und bekämpfen“, wünscht sich Gauck. Man kann nur hoffen, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.

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