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Joachim Gauck zweifelt am Betreuungsgeld und an der Diätenerhöhung. Die Gesetze stoppen tut er nicht.

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Joachim Gauck und die Gesetze: Von Zweiflern und Eroberern

Christian Wulff und Joachim Gauck verbindet etwas: Sie mischen sich nicht ein. Jedenfalls nicht so, wie es nur ein Präsident tun kann - indem er ein Gesetz stoppt, weil er von dessen Verfassungswidrigkeit überzeugt ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Christian Wulff ist zuzugestehen, dass er in Sachen Rückeroberung seinen Amtsvorgängern überlegen ist. Er eroberte seine Integrität zurück, indem er das Strafverfahren gegen sich ohne Kompromisse durchstand. Er eroberte das öffentliche Terrain mit überlegt dosierten Auftritten zurück. Jetzt eroberte er seine Ehefrau zurück. Immerhin eine Gefährtin, die über die vermeintlich schlimme Zeit mit ihm ein Buch schreiben musste und der er als Angeklagter dennoch in den Stunden ihrer Zeugenaussage Plüschaugen machte. Entweder hat der Mensch Wulff Neigungen zur Indolenz oder aber er verfügt über beeindruckende emotionale Kräfte.

Ein unterschätzter Präsident? Im Rückblick war Wulffs 600-Tage Ära mit Islam-Umarmung und EZB-Kritik politisch durchaus pointiert. Wer mag, kann das gegen Gaucks vielfältige außenpolitische Ambitionen aufwiegen. Vor allem aber verbindet die beiden ein formales Kennzeichen. Sie mischen sich nicht ein. Jedenfalls nicht so, wie es nur ein Präsident tun kann: indem er ein Gesetz stoppt, weil er von dessen Verfassungswidrigkeit überzeugt ist. So wie Lübke, Heinemann, Scheel, Weizsäcker und Köhler es taten. Wulff und Gauck, sie fügen sich in die Linie Carstens, Herzog, Rau.

Präsidenten dürfen das, es ergibt sich aus Artikel 82 der Verfassung, nach der sie ein Gesetz „ausfertigen“, also die Originalurkunde unterschreiben, wenn es „nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes“ zustande gekommen ist. Die Einmischer haben zusammen acht Gesetze gestoppt. Angesichts der seit 1949 ausgefertigten rund 8000 Gesetze eine Kleinigkeit. Trotzdem ist es jedes Mal ein umstrittener Akt. Politischer kann ein Präsident wohl kaum sein, als wenn er in dieser Weise juristisch handelt.

Präsidenten unterschreiben, aber zweifeln laut

In den letzten Jahren ist etwas in Mode gekommen. Präsidenten unterschreiben, aber zweifeln laut. Rau begründete seine bezweifelte Ausfertigung des Zuwanderungsgesetzes sogar öffentlich, nachdem Klaus Wowereit die Zustimmung des Bundesrats ertrickst hatte. Köhler zweifelte detailliert am später gekippten Luftsicherheitsgesetz, das in der Terrorangst nach 9/11 den Abschuss von entführten Passagiermaschinen freigab.

Wulff zweifelte an den längeren Atomlaufzeiten. Gauck am Betreuungsgeld und der letzten Diätenerhöhung. Sonst ein Mann der Worte, wird Gauck bei Zweifeln schmallippig. Kein Wort zur Begründung. Wer so zweifelt, macht sich unangreifbar: Ich habe alles vorher gewusst, aber ich sage nicht was. Ein herrschaftlicher Zweifel, er entzieht sich der Diskussion. Vermutlich zweifelt Gauck bald wieder so: beim Mautgesetz, bei der Tarifeinheit. Es sind sinnlose Zweifel. Sie helfen niemandem, nur dem Amtsinhaber. Präsidentenzweifel nutzen nur, wenn sie transparent sind. Transparenz – auch etwas, bei dem man sich an Wulff erinnern wird.

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