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Jobcenter müssen für Privatversicherte zahlen: Hartz-IV-Empfänger – Hilfe vom Sozialgericht

Weil sich Union und SPD in einem Detail ihrer Gesundheitsreform nicht einigen konnten, hatten sie bewusst in Kauf genommen, dass privat versicherte Hartz-IV-Empfänger in die Schuldenfalle gerieten.

Berlin - Es handele sich um eine „Regelungslücke“, befanden die Richter – und das war noch milde ausgedrückt. Weil sich Union und SPD in einem Detail ihrer Gesundheitsreform nicht einigen konnten, hatten sie bewusst in Kauf genommen, dass privat versicherte Hartz-IV-Empfänger in die Schuldenfalle gerieten. Einerseits durften sie seit Januar 2009 nicht mehr in eine gesetzliche Kasse wechseln, andererseits bekamen sie die weit höheren Kosten für ihre Privatversicherung von den Jobcentern nur zum Teil erstattet. Im Schnitt fehlten den Betroffenen 155 Euro im Monat, und die waren aus den am Existenzminimum bemessenen Regelsätzen nicht zu bezahlen.

SPD und Grüne waren der Ansicht, dass die Privatkassen die Differenz gefälligst solidarisch aufzubringen hätten. Die weigerten sich jedoch, und auch die neue Regierung ließ das Thema wegen Zerstrittenheit ruhen. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) drängte auf Kostendeckung durch die Jobcenter. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) aber wollte nicht einsehen, für privat versicherte Langzeitarbeitslose mehr als das Doppelte zu zahlen – und hätte sie am liebsten wieder allesamt in den Schoß der gesetzlichen Versicherung zurückgezwungen. Damit etwas geschah, bedurfte es erst der Klage eines betroffenen Rechtsanwalts aus Saarbrücken.

Das Bundessozialgericht hat der Politik nun den Job abgenommen. Der Bund muss, so urteilten die Kasseler Richter, die Beiträge für privat versicherte Hartz- IV-Empfänger in voller Höhe übernehmen (Aktenzeichen: B 4 AS 108/10 R). Das wäre dann die Hälfte des sogenannten Basistarifs, also jeweils knapp 290 Euro monatlich. Für gesetzlich Versicherte zahlen die Jobcenter 131,34 Euro.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Kassen nahm das Urteil zum Anlass, höhere Beiträge für gesetzlich versicherte Hartz-IV-Empfänger zu fordern. „Es kann nicht sein, dass die Jobcenter für Versicherte der gewinnorientierten privaten Krankenversicherung deutlich mehr zahlen als für Menschen, die in einer gesetzlichen Krankenkasse sind“, sagte Verbandschefin Doris Pfeiffer. Kostendeckend seien 278 Euro.

Auch Grüne und SPD forderten eine Gleichbehandlung. Mit ihren überhöhten Basistarifen werde die Branche nun auch von den Steuerzahlern gepäppelt, sagte der SPD-Experte Karl Lauterbach dem Tagesspiegel. Es sei „nicht nachvollziehbar, weshalb mit den sehr knappen Mitteln für Arbeitslose die hohen Gewinne der Privatversicherer noch weiter aufgeblasen werden“. Aufgrund solchen Entgegenkommens sei „gut vorstellbar“, dass die entsprechenden Tarife nochmals stiegen.

Das Arbeitsministerium reagierte verhalten. Es sei gut, dass die Betroffenen nun Rechtssicherheit hätten, sagte eine Sprecherin. Das Urteil verhindere, dass sie sich für die Krankheitsabsicherung verschulden müssten. Man werde sich aber weiter dafür einsetzen, dass für sie „eine schlüssige Lösung innerhalb des Systems der Krankenversicherung gefunden wird“. Betroffen sind laut Ministerium etwa 28 000 Menschen, vor allem ehemalige Selbstständige. Ob die Jobcenter ihnen auch rückwirkend Versicherungskosten erstatten müssen, ist noch unklar.

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