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Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei: Johannes Ponader

© Kai-Uwe Heinrich

Johannes Ponader: „Wir beleidigen uns jetzt nur noch über Stunden“

Johannes Ponader ist Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei. Im Tagesspiegel-Interview spricht er über den Zustand der Partei, persönliche Fehler und er gibt ein Versprechen ab.

Herr Ponader, die Piratenpartei steckt im Umfragetief, es gibt kaum inhaltliche Kontroversen, dafür persönlichen Streit. Treten die Piraten auf der Stelle?

Nein. Vergleicht man unsere gegenwärtige Situation mit dem Hype rund um die drei Landtagswahlen, dann haben Sie recht. Aber wir stehen in den Umfragen immer noch bei 350 Prozent unseres letzten Bundestagswahl-Ergebnisses und so gesehen geht es uns gut.

Aber der Trend geht abwärts. Warum steht bei Ihnen der Streit im Vordergrund?
Das ist ein Problem. Einmal im Jahr haben wir einen Programmparteitag, wie im November in Bochum, da ballt sich alles und da entscheiden wir inhaltlich. Jetzt haben wir eine gewisse Ruhephase, wo mehr im Verborgenen gearbeitet wird, die eignet sich wunderbar, um personelle Konflikte auszutragen und so ist es ein Sommer der Eitelkeiten. Wir wollen unsere Konflikte leben und nicht unterdrücken, denn sie gehören zum politischen Prozess. Politik ist Konflikt, Interessenkonflikt, der sich lösen will. Wir wollen unsere Probleme konstruktiver lösen. Und es hat sich etwas verändert. Wir beleidigen und beschimpfen uns nicht mehr so vehement – und nicht mehr über Tage, sondern nur noch über Stunden.

Die öffentliche Wahrnehmung ist aber eine andere. Sehen Sie die Notwendigkeit, die Kommunikation zu ändern?
Wir müssen kampagnenfähiger werden und lernen, uns die Bälle zuzuwerfen. Steht jemand in der Kritik, müssen die anderen ihn stützen. Wir schaffen es derzeit nicht, uns für einen bestimmten Zeitraum auf ein bestimmtes Politikfeld zu konzentrieren. Wir können uns gut Kampagnen anschließen, die aus der Zivilgesellschaft kommen, da sind wir sehr gut und dienen auch als Verstärker. Aber wir stoßen selbst zu selten Kampagnen an. Hinzu kommt, dass wir Konflikte auch öffentlich austragen. Das ist der Konfliktlösung nicht immer zuträglich.

Ist Twitter da manchmal ein Fluch?
Twitter ist ein Fluch, wenn wir den Moment nicht erkennen, in dem wir den Telefonhörer in die Hand nehmen müssen. Aber wir denken als Piraten laut und nutzen Twitter als soziales Vibrationsfeld, das uns eine Rückmeldung gibt, aus der wir lernen. Ich versuche, nie zu lästern und nachzutreten. Und ich verbitte mir, dass andere mich respektlos behandeln.

Fanden Sie den Umgang mit Ihrer Person zuletzt immer respektvoll? Der bayerische Landesvorsitzende der Piraten sagte: „Es entsteht der Eindruck, Johannes Ponader gehe es nicht um uns alle als Piraten, sondern um seine persönliche Agenda.“
Das ist ein respektvoller Einwand. Da ist keine Gewalt drin, das ist keine Unterstellung, das ist seine Wahrnehmung und dafür bin ich dankbar, denn so kann ich antworten und sagen: Wenn es mir nur um mich ginge, würde ich jetzt erst mal vier Wochen Urlaub machen.

In Bildern: Wie die Piraten 2011 ins Berliner Abgeordnetenhaus einzogen:

Sie wurden auch mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Haben Sie Fehler gemacht im Umgang mit der Spendenaktion für Sie und Ihrem Streit mit dem Jobcenter?
Ja sicher. Es war ein Fehler, dass ich die Spendenaktion, die für mich ins Leben gerufen wurde, mit dem Thema Grundeinkommen verbunden habe. Das hat viele Menschen irritiert, weil der Begriff Grundeinkommen viel mehr umfasst. Das habe ich versucht zu korrigieren. Ansonsten habe ich mich viel zu wenig in der Partei rückversichert und zu viele Alleingänge gewagt.

Was für Alleingänge?
Zum Beispiel die Entscheidung, kein Hartz IV mehr in Anspruch zu nehmen, aus Protest gegen die Bundesagentur für Arbeit. Ich hätte in dieser Debatte stärker dagestanden, wenn es eine gemeinsame Entscheidung einer größeren Gruppe gewesen wäre und nicht meine persönliche. Aber das war eine Drucksituation, in der ich schnell handeln und entscheiden musste. Das würde ich wahrscheinlich jetzt anders machen.

Aber auch wieder so offensiv?
Offen gesagt, ich weiß es nicht …

Es ist der Eindruck entstanden, dass Sie sich Ihr Ehrenamt vom Jobcenter finanzieren lassen wollten.
Das stimmt, ich habe Fehler gemacht in der politischen Kommunikation. Ich wollte mir nie mein Ehrenamt vom Jobcenter finanzieren lassen. Ich habe immer meine Erwerbstätigkeit in erster Linie verfolgt und das gemacht, was ich konnte, um Aufträge zu bekommen. Erst der Job, dann das politische Amt.

"Die Piraten sind keine Nerds mehr"

Wäre eigentlich Bundestagsabgeordneter ein guter Job für Sie?
Ob ich für den Bundestag kandidiere, ist noch offen. Ich mag mich bundespolitisch weiter einbringen, aber ob das in Form eines Mandats sein muss, weiß ich noch nicht.

Nach ihrer Wahl haben Sie gesagt, es gäbe nichts, was Sie tun könnten, um zu verhindern, dass die Piraten in den Bundestag einziehen. Sind Sie davon noch überzeugt?
Ich hatte gesagt, so viele Fehler können wir gar nicht machen. Und ich glaube immer noch, dass sich viele Bürger wünschen, dass wir in den Bundestag einziehen – auch Wähler von SPD, CDU und Grünen. Selbst die wissen, dass wir eine neue Atmosphäre in den Bundestag bringen werden. Wir wollen die Rechte von Parlamentariern stärken und die Fraktions- und Koalitionszwänge infrage stellen. Unsere Impulse sind erwünscht und werden erwartet. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir einen Sockel haben, knapp oberhalb der Fünfprozenthürde.

Worin liegt derzeit die größte Gefahr, dass auch dieser Sockel schmilzt?
Wenn wir unsere Authentizität verlieren. Die Menschen erwarten, dass wir Transparenz in die Politik bringen, dass wir Macht abgeben, Herrschaftswissen loslassen und aufrichtige Politik machen. Und wenn wir das nicht mehr vermitteln, ist das für uns gefährlich.

Werden Sie im Bundestagswahlkampf noch mal mit der Marke „Internetpartei“ antreten, oder stellen Sie sich breiter auf?
Diese Marke haben wir längst nicht mehr. Wir sind die Partei, die sich mit Vernetzung und nicht nur mit dem Netz auskennt. Vernetzung spielt überall eine Rolle, im Öko-, Sozial- und Wirtschaftssystem. Der Vernetzungsaspekt macht unsere Partei aus, das Verschmelzen von Produzent und Konsument, und in unserem Programm deklinieren wir das immer wieder durch – in Verbindung mit unseren Werten Freiheit und Solidarität. Wir sind keine Nerds mehr, und wir haben nicht mehr nur die IT-Netzwerker, wir bekommen immer mehr Gesellschaftsvernetzer, ökologische Vernetzer, und deshalb sind neue Mitglieder ein Gewinn, weil sie uns breiter aufstellen.

Brauchen Sie jetzt ein Vollprogramm?
Die Menschen erwarten zu Recht, dass wir zu den gesellschaftlichen Kernfragen Antworten liefern, also auch in der Wirtschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik. Und ich wünsche mir, dass wir da im November erste konkrete Antworten liefern. Unser größtes Versprechen ist aber nicht ein glücklichmachendes Programm, sondern, dass wir die Bevölkerung Jahr für Jahr, Monat für Monat und Tag für Tag fragen werden, was ihr wichtig ist. Darauf kommt es an.

Und wenn es doch schiefgeht mit dem Bundestagseinzug: Wie bitter wäre das?
Das wäre eine demokratische Entscheidung, die wir stolz und selbstbewusst tragen würden.

Johannes Ponader (35) ist Theaterpädagoge und seit April Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei. Das Gespräch führten Karin Christmann, Johannes Schneider und Christian Tretbar.

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