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Jubiläum: Parteiporträt: Wer sind die Grünen?

Die Welt wollen sie retten. Nur nicht mehr sofort. Ökologie, ihr Thema, war eine Provokation. Heute ist es Allgemeingut – und ein Problem für sie. Am Dienstag werden sie 30.

Von Hans Monath

WAS IST VOM GRÜNDUNGSIMPULS ÜBRIG GEBLIEBEN?

Verratsvorwürfe begleiten die Geschichte der Grünen von Anfang an. Auch zum Jubiläum werden wieder anklagende Stimmen zu hören sein, wonach die Ökopartei die Prinzipien ihrer Gründer mit Füßen trete, statt sie zu pflegen und nach ihnen die Welt zu verbessern. Tatsächlich gibt es keine andere deutsche Partei, die in nur rund einer Lebensgeneration so viele Häutungen durchgemacht hat und von so vielen Untergruppierungen verlassen wurde wie „Bündnis 90/Die Grünen“. Die neue Bewegung müsse eine „Anti-Parteien-Partei“ sein, verlangte einst die charismatische Führungsfigur Petra Kelly und traf damit das Selbstverständnis der Protestgeneration. Sie wollte damals nicht nur eine andere Politik, sondern ein völlig anderes Wirtschafts- und Politiksystem sowie die Abschaffung der Bundeswehr und der Geheimdienste.

Gemessen an diesen Ansprüchen, sind die Grünen heute angepasst. Eine Partei, die seit drei Jahrzehnten in Landesparlamenten und Bundestag Politik macht, sieben Jahre lang den Vizekanzler der Bundesregierung stellte und deutsche Soldaten in Auslandseinsätze schickte, ist selbst Teil des Systems. Trotzdem: Der Anspruch, die Welt zu retten, ist geblieben. Nur muss es nicht mehr sofort sein. Die Grünen gehen auch Kompromisse ein, seitdem die „Fundis“ in der Partei den Streit um Systemopposition oder Regierungsverantwortung verloren haben.

Als „sozial, ökologisch, basisdemokratisch, gewaltfrei“ beschrieben sich die Gründer. Die beiden ersten Werte gelten ohne Abstriche. Der Einfluss der Basis ist immer noch höher als in anderen Parteien, auch wenn die Strukturen professionalisiert und das Rotationsprinzip abgeschafft wurden. Alle zwei Jahre mussten Abgeordnete anfangs Nachrückern Platz machen. Die Friedensorientierung treibt auch die Grünen von heute noch an, auch wenn die Bundeswehr heute ein Mittel zur Verhinderung von Völkermord und zur Durchsetzung von Menschenrechten ist. Teile der Friedensbewegung allerdings haben das den Grünen nie verziehen. Die Grünen sehen sich noch immer in der Tradition ihrer Grundwerte, auch wenn viele ihrer Bundestagsabgeordneten inzwischen statt Latzhose schicke Anzüge tragen und statt Zottelbärten modische Kurzhaarfrisuren.

WIE HABEN DIE GRÜNEN DIE REPUBLIK VERÄNDERT?

Es ist ein historisches Verdienst. In einer Zeit des grenzenlosen Vertrauens in die Möglichkeiten von Großtechnologien brachten die Grünen den Gedanken in die deutsche Politik, dass die Ressourcen endlich sind und eine intakte Umwelt ein unersetzliches Gut. Die Bewahrung der Schöpfung ist im Grunde ein konservativer Gedanke, der aber zum Grundprinzip einer mehrheitlich linken Strömung wurde. Denn Nachhaltigkeitsgedanken, wonach die Gegenwart auch die Interessen kommender Generationen berücksichtigen muss, haben die Grünen längst auch auf andere Felder wie etwa auf die staatlichen Finanzen und die Schuldenpolitik übertragen.

Vor 30 Jahren waren diese Forderungen eine Provokation, die von vielen verhöhnt wurde. Heute bekennt sich jede demokratische Partei in Deutschland zum Schutz der Umwelt. Es war nicht nur rationale Einsicht, die hinter den ökologischen Forderungen der Grünen stand. Auch apokalyptisches Denken oder Naturmystik spielten bei manchen Aktivisten eine Rolle, ökonomische Argumente und die Sorge um Arbeitsplätze interessierten anfangs wenig. Inzwischen haben nicht nur die Grünen selbst, sondern auch die deutsche Wirtschaft gelernt, dass Umweltschutz neue Jobs schafft. Der von der rot-grünen Regierung durchgesetzte Atomausstieg und neue Gesetze zur Förderung erneuerbarer Energien bescherten der Solar- und Windenergiebranche einen Boom und festigten Deutschlands führende Rolle auf diesem Sektor. Deutsche Umwelttechnik ist ein gefragter Exportartikel und sichert Hunderttausende von Arbeitsplätzen.

Verändert haben die Grünen durch Forderungen, eigenes Beispiel und Regierungshandeln aber auch die politische Praxis und die Gesellschaftspolitik. Eine Frauenquote, wie sie bei den Grünen für Führungsaufgaben und Mandate gilt, haben in abgeänderter Form auch andere Parteien später übernommen. Unter der Regierung Schröder waren es vor allem die Grünen, die auf eine Reform des überkommenen Staatsbürgerrechtes und auf mehr Rechte für Minderheiten wie etwa gleichgeschlechtliche Paare drängten.

Nicht zuletzt haben die Grünen in den harten Debatten um Kosovo-Krieg und Afghanistan-Einsatz während ihrer Regierungszeit dazu beigetragen, dass erhebliche Teile der demokratischen Linken den lange gepflegten Isolationismus überwanden und sich der außenpolitischen Verantwortung Deutschlands nach dem Ende der Blockkonfrontation nun stellen. Unter den Wählern der „Friedenspartei“ ist die Zustimmung zum deutschen Engagement in Afghanistan höher als in der übrigen Bevölkerung.

WELCHE ROLLE FÜLLEN DIE GRÜNEN IM PARTEIENSYSTEM DER REPUBLIK AUS?

Es scheint eine paradoxe Entwicklung. Der einstige Außenseiter im deutschen Parteiensystem verfügt heute über mehr Koalitionsoptionen als jede andere politische Kraft. Prinzipiell ist die Ökopartei offen für Bündnisse mit der SPD (rot- grün), der Union (schwarz-grün), der SPD und der Linkspartei (rot-rot-grün) sowie mit Union und FDP (Jamaika) oder SPD und FDP (Ampel). In Hamburg regiert eine schwarz-grüne, im Saarland die erste Jamaika-Koalition. Deshalb ist es fast schon von symbolischem Gehalt, dass die Ökopartei im Bundestag nicht rechts oder links, sondern in der Mitte zwischen Union und SPD sitzt. Kritiker freilich sehen sie zur reinen Funktionspartei verkommen, was die Grünen mit Verweis auf ihre Wertorientierung natürlich brüsk zurückweisen.

Obwohl sich die meisten Grünen als Linke verstehen, verweigert sich die Partei einer strengen Lagerzuteilung und versucht ihre Ziele mit unterschiedlichen Partnern durchzusetzen. Diese Beweglichkeit hat soziale Ursachen. Die Grünen sind die politische Vertretung der städtischen Intelligenz. Sie haben den Anspruch, auch die Interessen der Modernisierungsverlierer zu vertreten. Bestimmt und gewählt aber werden sie von einer anderen Gruppe, nämlich von Menschen mit Hochschulabschluss, die – oft im öffentlichen Dienst angestellt – überdurchschnittlich gut verdienen.

VOR WELCHEN HERAUSFORDERUNGEN STEHT DIE PARTEI IN DER ZUKUNFT?

In zwei wichtigen Punkten haben die Grünen skeptische Beobachter widerlegt. Die guten Werte bei jungen Wählern beweisen, dass sie keine „Ein-Generationen-Partei“ ist, die mit dem Ausscheiden der „68er“ abstirbt. Und auch der Abschied ihres Politstars Joschka Fischer von der Politik hat die Grünen nicht aus dem Bundestag gefegt – sie erreichten im ersten Wahlkampf ohne Fischer im September mit 10,7 Prozent vielmehr das beste Ergebnis ihrer Geschichte.

Die größte Herausforderung beschert den Grünen der Erfolg der eigenen Ideen. Je mehr Umweltthemen ins Zentrum der Politik rücken, um so weniger unterscheidbar erscheint das Original. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat das Potenzial, das Feld Ökologie für seine Partei zu besetzen. Die Grünen mit ihrer vielköpfigen Führung werden dagegenhalten. Eine klarere Führungsstruktur mit mehr Macht in einer Hand wäre dabei sicher hilfreich. Doch so viel Pragmatismus gönnt sich die Partei auch im 30. Jahr noch lange nicht.

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