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Politik: Jürgen Rüttgers - der heimliche Dritte im Kampf um den Parteivorsitz

Der ältere Herr kommt aus der Landwirtschaft und aus dem Westfälischen. Da sind sie seit Jahrhunderten immer ein bisschen zurück hinter der Zeit.

Von Robert Birnbaum

Der ältere Herr kommt aus der Landwirtschaft und aus dem Westfälischen. Da sind sie seit Jahrhunderten immer ein bisschen zurück hinter der Zeit. Der ältere Herr jedenfalls versteht überhaupt nicht, weshalb neuerdings alle so üble Dinge über Helmut Kohl reden und weshalb auf einmal ein Ehrenwort nichts mehr wert sein soll. "Das ist nicht richtig!", ruft der Herr ins Mikrofon. Da kommt Stadionstimmung auf im Saal Kassiopeia. "Aufhören", tönt es und "Wat glaubze eigentlich, wode hier biss!" Nach Recklinghausen, zur CDU-Regionalkonferenz für Nordrhein-Westfalen, sind viele christdemokratische Schlachtenbummler aus dem Ruhrgebiet gekommen. Den älteren Herrn ficht das nicht an. Stur sind sie im Westfälischen nämlich obendrein. Er will noch was loswerden: Der Landesvorsitzende Jürgen Rüttgers müsse jetzt unbedingt Parteichef der Bundes-CDU werden - "Treten Sie an, Herr Rüttgers!"

Normalerweise würde Jürgen Rüttgers bei so einem Satz entweder maliziös lächeln oder ein ganz und gar undurchdringliches Gesicht aufsetzen. Aber diesmal guckt er eher unglücklich vom Podium in den Saal. Wer von solchen Parteifreunden gerufen wird, braucht keine Feinde mehr.

Andere freilich, die ihn rufen würden, sind nicht in Sicht. Nicht an diesem Montagabend im Recklinghäuser Festspielhaus, nicht am Montagmittag im CDU-Bundesvorstand in Berlin. Dabei hat Rüttgers sich gerade in der Hauptstadt noch am Abend vorher sehr eindringlich in Erinnerung gebracht. Am Sonntag ist er, als die ersten Prognosen und Hochrechnungen von der Landtagswahl in Kiel über die Bildschirme liefen, wie zufällig in der CDU-Zentrale in der Mauerstraße aufgetaucht und hat jedem, der ihm ein Mikrofon hinhielt, bereitwillig mitgeteilt, dass das Abschneiden des Kandidaten Volker Rühe keinesfalls eine Vorentscheidung für den CDU-Parteivorsitz bedeute.

Er hat dann auch noch angemerkt, die Schleswig-Holstein-Wahl zeige, dass die CDU trotz Spendenaffäre nicht abgestürzt sei, was wiederum ein gutes Vorzeichen für die Wahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai sei. Man hätte den Auftritt also mit einigem guten Willen als Übereifer eines Spitzenkandidaten vor einer schwierigen Wahl deuten können. Aber guter Wille ist so ungefähr das Letzte, was die gesamte übrige CDU-Führung dem Kollegen Rüttgers zubilligt. Etliche sind sich sicher: Der Ex-Zukunftsminister wollte für den Fall, dass Rühe einen glänzenden Wahlsieg errungen und die Kandidatur für den CDU-Vorsitz angemeldet hätte, am richtigen Ort sein, um Abwehrmaßnahmen einzuleiten. "Wenn er sich eine Chance ausrechnete, würde Rüttgers sofort als Parteichef antreten", sagt ein Vorstandsmitglied.

Solche Überzeugungen erwachsen nicht nur aus dem jüngsten Berliner Auftritt. Sie beruhen auch darauf, dass Rüttgers bisher den schlichten Satz "Ich werde beim CDU-Parteitag im April nicht für das Amt des Vorsitzenden kandidieren" nicht über die Lippen gebracht hat. Schon als Wolfgang Schäuble noch Parteichef war, hat der NRW-Chef stets nur versichert, er werde "nicht gegen Schäuble" antreten - was die Möglichkeit einer Kandidatur unter veränderten Umständen ebenso offen ließ wie seine jüngste Formel, er sei "nicht auf der Suche nach einem Amt in Berlin". Rüttgers ist viel zu bekannt als rasiermesserscharfer Formulierer, als dass irgend jemand solche vagen Sätze für Zufall hielte.

Dabei ist durchaus ungewiss, welches Ziel Rüttgers verfolgt - wenn überhaupt schon eins außer dem, sich möglichst viele Optionen offen zu halten. Die Lage in Sachen CDU-Vorsitz ist ja nach wie vor unübersichtlich. Es gibt die nicht erklärte Kandidatin Angela Merkel und den nicht erklärten Kandidaten Volker Rühe, der neuerdings viel von "Mannschaft" spricht. Es gibt - für einen Übergang von zwei Jahren - den Thüringer Landeschef Bernhard Vogel, der immerhin erklärt hat, wenn man ihn bedrängen würde, würde er sich gewiss erklären. Es gibt den Sachsenkönig Kurt Biedenkopf, von dem viele glauben, dass er vor einem dringlichen Ruf auch nicht die Ohren verschließt. Und es gibt Rüttgers, die Sphinx. Den Mann, dessen Landesverband im April beim Parteitag in Essen 308 der 1001 Delegierten stellt. "Er kann immer noch den Königsmacher spielen", sagt ein Präsidiumsmitglied. Dass er selbst sich dessen sehr bewusst ist, hat Rüttgers gerade noch in einem Interview deutlich gemacht: Der Einfluss der nordrhein-westfälischen CDU in der Bundespartei solle "geschlossen" geltend gemacht werden.

Bei den nicht erklärten Konkurrenten kommt derlei als Drohung an. Umgekehrt sind die aber auch nicht zimperlich. Als nach Wolfgang Schäubles dramatischem Rückzug eine Kandidatur der Generalsekretärin Merkel noch als ein völlig unberechenbares Abenteuer erschien, war allenthalben zu hören: Um einen Parteichef Rüttgers zu verhindern, würde sie bestimmt antreten.

Das war natürlich zu dem Zweck gestreut, Rüttgers vor dem Abenteuer einer Kampfkandidatur zu warnen. Die beiden mögen einander wie Katz und Hund. Nicht, dass sie keine Gemeinsamkeiten hätten: Sie sind gute Technokraten, und für eine Ideologie stehen sie beide nicht, aber das Fundament ist verschieden: Hier die protestantische Ost-Frau, dort der rheinische Katholik, der für Konservative von Haus aus eher Verständnis hat. Vor allem aber: Beide wissen sehr gut um die taktische Raffinesse des anderen - und darum, dass immer nur einer von ihnen etwas werden kann ganz oben in der CDU. Mit Rühe im Team, das hätte sich die Generalsekretärin zur Not noch vorstellen können. Aber mit Rüttgers? Niemals.

Freunde hat der Ex-Zukunftsminister in der CDU freilich auch sonst nicht so viele. Zu alt, um zu den Jungen Wilden zu gehören, zu jung, um die Spiele der Schäuble- und Rühe-Generation mitspielen zu können. Seinen Aufstieg verdankt er - wie alle - dem Patriarchen Kohl, der Rüttgers als gewieften Parlamentarischen Geschäftsführer erlebte und als ausgezeichneten Kenner des Grundgesetzes schätzen lernte. Rüttgers war einer der wenigen, auf die der Kanzler Kohl gelegentlich hörte. Als klar wurde, dass Kohls letzte Wahl verloren gehen würde, war Rüttgers freilich auch einer der ersten, der sich zurückzog. Er tat es, wie er solche Dinge immer getan hat: unauffällig, ohne Eklat und offenen Konflikt. Beim Wahlkampfauftakt 1998 in der Dortmunder Westfalenhalle war auf einmal einfach zu bemerken, dass einer fehlte in der Riege der CDU-Minister.

Dass er dann in der CDU-Spendenaffäre als "Kohlianer" in Erscheinung trat, dass er den Alten nicht aus seinem Wahlkampf ausladen wollte, wie es Rühe getan hatte, hängt wohl weniger damit zusammen, dass die Abgeordneten Kohl und Rüttgers in Berlin Unter den Linden Flurnachbarn sind. "Das ist das typisch rheinisch-katholische Absichern nach allen Seiten", sagt einer, der ihn lange kennt. Die Alten, die an Kohl hängen, sollten nicht vergrätzt werden. Genutzt hat ihm der eher milde Umgang mit dem Förderer von einst bisher nicht, eher geschadet. Sein Ruf ist angekratzt, seit bei der CDU-Klausur von Norderstedt das nur halbherzig dementierte Gerücht aufkam, Kohls Getreue versuchten, Rüttgers gegen Schäuble in Stellung zu bringen.

Aber der einzige "Kohlianer" unter den Landeschefs der CDU ist er nun auch wieder nicht. Diese Rolle nämlich spielt auch der "brutalstmögliche" Aufklärer Roland Koch. "Wenn der die Affäre überlebt, wird er noch mal einer der ganz Wichtigen in der CDU", prophezeien auch Führungsleute, die dem Hessen politisch eher fern stehen. Da ist der Rheinland-Pfälzer Christoph Böhr. Da sind die Thüringer, die Baden-Württemberger - wenn die alten Linien in der CDU nicht vollends von der Krise verwischt worden sind, können das keine geschlossenen Haufen von Merkel-Fans sein. Da könnte sich der NRW-Chef Rüttgers, wenn er denn anträte, durchaus eine Mehrheit ausrechnen.

Wenn. "Jürgen Rüttgers hat noch nie eine Wahl verloren, zu der er angetreten ist", sagt einer, der ihn noch aus gemeinsamen Zeiten in der Jungen Union kennt. Das soll heißen: Der kandidiert nicht auf Risiko, sondern nur, wenn er weiß, dass er gewinnt. Nach den Gepflogenheiten vor der Krise wäre der Parteitag in Essen im April für ihn sogar kein schlechter Zeitpunkt: Einen Monat vor der Landtagswahl - die alte CDU hätte es sich nie einfallen lassen, einen Spitzenkandidaten zu blamieren.

Aber die Zeiten sind vielleicht doch anders geworden. In Recklinghausen hat seine "neue CDU im Westen" der neuen Heldin Angela Merkel zugejubelt. Hat er da begriffen, im Angesicht dieser seiner Basis, dass das Rennen wahrscheinlich gelaufen ist? Dass den Aufstieg Merkels zur Parteichefin womöglich nur noch Merkel selbst verhindern kann? Dass es keinen Übergangskandidaten geben wird, keinen Bernhard Vogel, und dass es also nach zwei Jahren auch keine neue Chance für alle Jüngeren geben wird?

An diesem Montagabend ist Rüttgers noch eine Spur blasser im Gesicht gewesen als in den letzten Wochen. Die Sprache verschlagen hat es ihm nicht. "Der Entscheidungsprozess läuft bis zum Bundesparteitag", hat er, kaum dass die Konferenz vorbei war, auf die Frage geantwortet, ob sich auch nach dem 20. März noch Kandidaten melden könnten. An dem Tag will die CDU-Spitze entscheiden, wie es weitergeht im stummen Wettlauf um den Parteivorsitz. Nur eins ist dabei sicher: Rüttgers, der Mann im Windschatten, will den Ausgang mitbestimmen.

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