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Politik: Jugoslawien: Der halbe Sieg ist nicht genug (Leitartikel)

Der Kampf um Serbien ist voll entbrannt. Trotz dreister Manipulationen des Regimes Milosevic hat die Opposition offenbar eine breite Mehrheit erzielt.

Der Kampf um Serbien ist voll entbrannt. Trotz dreister Manipulationen des Regimes Milosevic hat die Opposition offenbar eine breite Mehrheit erzielt. Aber wie kann sie ihren nummerischen Erfolg in einen politischen Sieg ummünzen? Das Tor zur Zukunft steht jetzt immerhin einen Spalt breit offen. Um es vollends aufzustoßen, müsste die Opposition aufs Ganze gehen und die Anerkennung ihres Sieges mit Straßenprotesten erzwingen - wie nach der gefälschten Kommunalwahl 1996. Sie darf sich nicht mit dem Achtungserfolg einer Stichwahl um das Präsidentenamt begnügen. Das hätte Slobodan Milosevic gern, dort verläuft seine Rückzugslinie, von der aus er die ganze Macht zurückerobern will. Der Diktator ist in der Defensive, deshalb darf der Druck gerade jetzt nicht nachlassen.

Kann man das fairerweise von den Serben erwarten: Dass sie sich diesem rücksichtslosen Autokraten entgegenstellen, der schon einmal Panzer gegen Demonstranten rollen ließ und der vier Kriege führte, um an der Macht zu bleiben? Die Frage ist, ob die Serben selbst das Risiko auf sich nehmen wollen - und damit auch die Gefahr, dass Massenproteste zum rumänischen Szenario eskalieren: Im Dezember 1989 floss Blut in Temesvar, Hermannstadt und Bukarest. Nicolae Ceausescu stürzte erst, als das Militär die Fronten wechselte und sich an die Seite des Volkes gegen die verhasste Securitate stellte. In Serbien ist es eine offene Frage, wie weit Milosevic auf die Loyalität der Truppen zählen kann. Je breiter der Protest, desto größer werden ihre Skrupel, weil Freunde und Verwandte zu Opfern werden könnten. Deshalb schürt der Diktator die Angst vor Bürgerkriegsszenen: Gleich nach Schließung der Wahllokale schickte er Prügeltrupps auf die Straße, um demonstrierende Regimegegner einzuschüchtern.

Doch das umgekehrte Risiko wird die Opposition nicht minder schrecken: Dass sie den nahen Sieg wieder aus der Hand gibt. Sie hat vieles erduldet und mühsame Vorarbeit geleistet, um so weit zu kommen. Diesmal haben ihre Führer den persönlichen Ehrgeiz zurückgestellt und mit Vojislav Kostunica einen Kandidaten präsentiert, der nicht durch Kumpanei mit dem Regime belastet ist. Erstmals gibt es eine breite Sehnsucht nach Wandel, das bezeugt die hohe Wahlbeteiligung. Serbiens langer Irrweg - das war ja nicht Milosevic allein. Jahrelang hielt eine Mehrheit die nationale Frage, den Wunsch nach einem Großserbien, für wichtiger als Demokratie und Aufschwung. Vier Kriege haben den Staat immer kleiner werden lassen, sein historisches Kernland Kosovo ging verloren, das Volk versank im Elend. Diese Ernüchterung bewirkt ein Umdenken.

Kostunicas Sieg über Milosevic ist als Symbol eminent wichtig: Vor zwei Jahren noch wäre diese Wendung schwer vorstellbar gewesen. Und doch ist das Präsidentenamt erst der halbe Sieg. Die Teilung der Macht mit Milosevic könnte sich rasch zur Niederlage wenden. Das Staatsoberhaupt hat weitgehend repräsentative Funktionen. Entscheidend für den Machtwechsel ist der Ausgang der Parlamentswahl. Gelingt es Milosevic, durch Wahlbetrug und Intrigen wieder eine Koalitionsmehrheit zu organisieren, behielte er die Macht - Kostunicas Sieg wäre entwertet. Das muss jetzt das zweite strategische Ziel von Massenprotesten sein: Milosevic soweit zu diskreditieren, zu isolieren, dass die potenziellen Partner sich vor den neuen, selbstbewussten Bürgern genieren, mit ihm zu paktieren.

In diesem Kampf um Serbien kann das Ausland helfen. Indem es kompromisslos den Sieg der Opposition einklagt, indem es bekräftigt, dass die Sanktionen fallen und Serbien die Hilfen des Stabilitätspakts erhält, sobald Kostunicas Erfolg anerkannt ist - als Belohnung für Bürgermut. Keinesfalls aber vorher, das würde den Druck vermindern. Auf diskreten Wegen darf auch ruhig das Angebot erneuert werden, dass Milosevic irgendwo auf der Welt Zuflucht vor dem Kriegsverbrechertribunal erhält - wenn er nur endlich abtritt. Der Verzicht auf diese irdische Gerechtigkeit wäre kein zu hoher Preis für Serbiens Wende zur Demokratie. Wie praktisch, dass Milosevics Bruder Botschafter in Moskau ist - und Kanzler Schröder am Tag nach der Jugoslawien-Wahl dorthin reiste. Doch das hieße vielleicht schon, zu viel politischen Mut zu erwarten.

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