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Politik: Jugoslawien nach der Wahl: Handeln, nicht verhandeln! Wenn die serbische Opposition jetzt auf Milosevics Taktik eingeht, wird sie verlieren

Ist das der Anfang vom Ende der Diktatur? Slobodan Milosevic hat die Wahl dreist zu fälschen versucht - und musste am Ende doch seine Niederlage eingestehen.

Ist das der Anfang vom Ende der Diktatur? Slobodan Milosevic hat die Wahl dreist zu fälschen versucht - und musste am Ende doch seine Niederlage eingestehen. Zu groß war die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, als dass er sich hätte zum Sieger erklären können. Jetzt setzt das Regime auf einen zweiten Wahlgang am 8. Oktober.

Auch das ist Betrug, der Herausforderer Vojislav Kostunica hat in der ersten Runde die absolute Mehrheit geholt. Aber warum soll die Opposition nicht darauf eingehen? Jetzt, da sie ihre Macht gezeigt hat und auch ihr Vermögen, Wahlfälschungen aufzudecken - wer kann da noch an Kostunicas Sieg in zehn Tagen zweifeln? Zugleich rettete sie das Land vor der Gefahr, dass Straßenproteste zum Bürgerkrieg eskalieren. Lieber ein langsamer Machtwechsel als ein blutiger, wie 1989 in Rumänien, als Nicolae Ceausescu die Securitate schießen ließ. Ja, so könnte es gehen. Milosevic ist in der Defensive, lässt sich nicht blicken, sucht verzweifelt nach einem gesichtswahrenden Ausweg.

Nein, sagt Wahlsieger Kostunica. Nein, sagt auch Zoran Djindjic, der Stratege der Opposition. Die Entscheidung des Volkes, des Souveräns, sei eindeutig. Und nicht verhandelbar. Die jähe Besinnung auf die reine Lehre klingt ein bisschen übertrieben auf dem Balkan, der nicht gerade zu den Vorposten der Demokratie zählt und wo Betrug und Intrigen zum normalen Handwerkszeug aller politischen Lager gehören. Sie klingt etwas zu sehr nach Ehre und zu wenig nach Vernunft.

Und doch hat die Opposition wahrscheinlich Recht. Nicht wegen der reinen Lehre, sondern wegen der sehr verständlichen Furcht vor einem bösen Erwachen. Was spricht zwingend dafür, dass Milosevic nur noch nach einem ehrenvollen Abgang sucht? Ebensogut möglich, ja nach seinem bisherigen Handeln viel wahrscheinlicher: Er möchte die Initiative zurückgewinnen, möchte für die zweite Runde wieder alle Optionen öffnen, die er vor der Niederlage vom Sonntag hatte - von Stimmenklau über Abbruch des Wahlgangs wegen gewaltsamer Zwischenfälle (die er selbst inszeniert) bis zu den erprobten Methoden, die Opposition zu spalten. Wenn das alles nicht klappt, blieben immer noch zwei allerletzte Auswege: Panzer gegen die Demonstranten oder Asyl in Moskau, wo sein Bruder Botschafter ist.

Milosevic weiß derzeit nicht, auf welche Strategie er setzen soll. Deshalb handelt er taktisch: den Gang der Ereignisse verlangsamen, den Gegner in Gewissensentscheidungen stürzen, ihn reagieren statt agieren lassen, um allmählich selbst wieder die Spielregeln zu bestimmen. Das Angebot der Stichwahl sorgt für Risse in der Opposition, einige ziehen sie der Konfrontation auf der Straße vor.

Noch blickt alles auf das Ringen ums Präsidentenamt - Duelle genießen nun einmal mehr Aufmerksamkeit als die eigentliche Machtfrage: der Ausgang der Parlamentswahl. Deren Ergebnis will Slobodans Wahlkommission heute Abend verkünden. Es wäre eine große Überraschung, wenn sie Milosevics Sozialisten (SPS) der Jugoslawischen Linken (JUL) seiner Frau Mirjana Markovic nicht die Mehrheit der Sitze zuspräche. Dagegen kann die Opposition auch wenig einwenden. In Montenegro und Kosovo haben Milosevics Gegner die Wahl boykottiert, nur seine Anhänger stimmten ab. Die montenegrinischen Mandate fallen ihm automatisch zu, Kosovo kam serbischen Wahlkreisen zugute. Wenn Milosevic am Ende gezwungen wäre, Kostunica das Präsidentenamt zu überlassen, könnte er sich zum Regierungschef wählen lassen - und hätte mehr Macht als das aufs Repräsentieren beschränkte Staatsoberhaupt.

Die wahren Wahlsieger haben weniger Möglichkeiten. Ihre stärksten Waffen sind ihre moralische Überlegenheit und die Dynamik der Ereignisse. Sie dürfen Milosevic nicht die Atempause geben, die er braucht, um eine Erfolgsstrategie vorzubereiten, müssen ihn unter Druck halten, damit er Fehler macht, ihn in die Enge treiben und öffentlich so diskreditieren, dass er weder als Regierungschef in Frage kommt noch Koalitionspartner findet. Jetzt sind viele Bürger zum Massenprotest bereit. Moskau stützt Milosevic nicht mehr, die Armee wackelt - und je mehr Menschen auf die Straßen gehen, desto weniger kann das Regime hoffen, dass die Soldaten einem Schießbefehl gehorchen. Jetzt sind die Stunden der Entscheidung, nicht am 8. Oktober: ob Serbien kippt oder ob Milosevic die Chance zum Comeback erhält. Der Kampf um Demokratie in Serbien kann überhaupt erst beginnen, wenn er aus dem Spiel ist.

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