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Wikileaks-Gründer Julian Assange, per Video zugeschaltet zum Jubiläum seiner Plattform.

© AFP

Julian Assange und sein Wikileaks: Enthüllen allein schafft noch keine Transparenz

Wikileaks wird 10 Jahre alt. Die Bilanz ist gespalten. Denn Veröffentlichung braucht auch Verantwortung. Ein Kommentar.

Die Welt verändern wollen viele, doch nur den wenigsten gelingt es. Ist Julian Assange so einer? Sein Projekt Wikileaks, das vor zehn Jahren startete, hat Regierungen auf dem gesamten Globus in Atem gehalten. Es zeigte, wie die US-Luftwaffe in Bagdad auf Wehrlose schoss, dokumentierte Schicksale von Guantanamo-Häftlingen, mischte mit gehackten E-Mails der Demokratischen Partei den US-Wahlkampf auf. „Wenn eine Quelle uns Material überlässt, das von politischer, diplomatischer, historischer oder ethischer Bedeutung ist und das noch nicht veröffentlicht wurde, dann machen wir es publik“, verkündet der Gründer. Es klingt nach Demokratie. Fast wie eine politische Heilsbotschaft.

Doch die längst eingesetzte Ernüchterung ist nicht allein den Schwierigkeiten geschuldet, in die der prominente Justizflüchtling mit seinem Strafverfahren geriet. Es sind die Erwartungen, die Assange in seinem ecuadorianischen Asyl jetzt einmal mehr enttäuschte. Irgendetwas zu Hillary Clinton sollte enthüllt werden, hieß es. Dann kam erst mal nichts. Das Wechselspiel mag zum Konzept gehören, es erhöht die Spannung, und Spannung garantiert Aufmerksamkeit. Doch wäre Wikileaks so revolutionär, wie es sich verkauft, hätte die Plattform dies nicht nötig. Neu war und ist im Prinzip nur die Nutzung der digitalen Option: unendlich vieles für unbestimmbar viele.

Technische Machbarkeit allein ist noch kein publizistisches Programm. So erweist sich gerade in der erschöpfenden Fülle, in der das Portal Dokumente freigibt, dessen größte Unzulänglichkeit. Niemand schreibt Geschichte, wenn diese nicht zuvor erzählt wird. Wikileaks ist nichts ohne seine Erzähler und Interpreten, seien es die online vernetzten Fans und Aktivisten, oder, wohl immer noch am wirksamsten: die organisierte Presse. Die Plattform profitiert von der Multiplikationsmacht der einen wie von der Glaubwürdigkeit der anderen. Und zehrt mit Letzterem von einer Ressource, über die sie selbst nicht verfügen kann.

So begegnen sich die Öffentlichkeiten und beeinflussen einander, aber sie stoßen sich auch ab. Enthüllung ist kein Selbstzweck. Im Nachhinein dürfte auch den beteiligten Presseorganen das Verbreiten diplomatischer Depeschen zweifelhaft erscheinen, mit dem Wikileaks vor einigen Jahren für viel Verstimmung und wenig Verbesserung sorgte. Die politische oder historische „Bedeutung“, von der Assange so wissend spricht, ist allein kein zureichendes Kriterium, und es gibt vermutlich bessere Routinen, sie zu beurteilen, als die der Sachwalter undurchsichtig gesteuerter Netzadressen.

Transparenz schafft nicht automatisch mehr Demokratie. Wer für sich als privater Akteur Öffentlichkeit verlangt, sollte auch Verantwortung zeigen und Vertrauen rechtfertigen, etwa durch sein Bemühen um Erklärung und Objektivität, um Distanz, kurzum: Er sollte so etwas wie Legitimation erwerben. Das muss Leuten schwerfallen, die politischen Fortschritt darin zu erkennen glauben, ausgerechnet Tätigkeiten von Diplomatie oder Geheimdiensten ohne Rücksicht auf Kollateralschäden bloßzustellen – jenen staatlichen Handlungszonen also, in denen der Geheimschutz noch eine Begründung hat. Transparenz bedeutet weit mehr, als sich dem Interesse von Informanten zu ergeben. Sie ist eine politische Großaufgabe, zu deren Bewältigung ein Angebot wie Wikileaks beitragen kann. Nur: Mit Enthüllen ist es nicht getan.

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