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Politik: Jung, chancenlos, brutal

Kriminelle Jugendbanden sind eines der größten sozialen Probleme der zentralamerikanischen Länder – die sind schlicht überfordert

Von Michael Schmidt

Berlin - Sie sind der Schrecken Zentralamerikas: Maras – kriminelle Jugendbanden. Skrupellos und brutal, von martialischem Aussehen und in Honduras, Guatemala und El Salvador bereits zum Staatsfeind Nummer 1 erklärt, machen sie, deren Zahl Schätzungen zufolge in die Zehntausende geht, Regierenden und Regierten das Leben schwer. In El Salvador werden täglich im Schnitt 15 Menschen ermordet. Mit 76 Tötungsdelikten je 100 000 Einwohner ist die Mordrate des Landes eine der höchsten der Welt. Und für einen Großteil der Gewalt macht die Politik seit Jahren die Maras und das organisierte Verbrechen verantwortlich.

Im Machtkampf mit den Straßengangs hat El Salvadors Präsident Mauricio Funes jetzt ein Gesetz unterzeichnet, das die berüchtigten Banden verbietet. „In der Verfolgung der Kriminalität werden wir keinen Schritt zurückweichen“, sagte der Staatschef des mittelamerikanischen Landes am Donnerstag in San Salvador. Die beiden Gangs Mara 18 und Mara Salvatrucha hatten durch Gewaltdrohungen seit Dienstag den Busverkehr im gesamten Land zum Erliegen gebracht, um das Gesetz zu verhindern und die Regierung zum Verhandeln zu bringen. Funes bezeichnete die Drohungen der beiden Banden als „verzweifelte Maßnahmen“, von denen sich die Regierung nicht unter Druck setzen lasse.

Das neue Gesetz verbietet die Mara-Banden und sieht für die Mitgliedschaft in den Straßengangs eine zehnjährige Gefängnisstrafe vor. Mehr Repression als Prävention – das erinnert an die gescheiterte Politik der „harten Hand“ unter Funes’ Vorgängern. 2003 wurde schon einmal ein Anti-Mara-Gesetz eingeführt, das die Mitgliedschaft in einer Jugendbande unter Strafe stellte. Das oberste Gericht entschied 2004, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Zur Begründung hieß es unter anderem, dass es explizit gegen eine bestimmte Gruppe von Personen gerichtet sei und daher den Grundsatz der Gleichheit verletzte. Kritisiert wurde damals zudem, das unter 18-Jährige wie Erwachsene behandelt wurden. Funes ist sich des Problems bewusst. Das neue Gesetz richtet sich gegen kriminelle Banden aller Art. Zudem kündigte der Staatschef an, die Gefängnisse des Landes schärfer überwachen lassen und dazu auch das Militär einsetzen zu wollen. Viele Straftaten werden von Inhaftierten aus Knastzellen heraus organisiert und angeordnet.

Die Maras kommen ursprünglich aus den USA, wo sie von Jugendlichen zentralamerikanischer Herkunft, Kindern von Flüchtlingsfamilien, die vor den Bürgerkriegen Anfang der 80er und 90er Jahre geflohen waren, gegründet wurden und dann, in ihre Herkunftsländer abgeschoben, sich in Zentralamerika ausbreiteten. Sie sind, wie Peter Peetz vom Giga-Institut für Lateinamerika-Studien in Hamburg sagt, straff organisiert und bekämpfen sich auch gegenseitig: das Ergebnis einer explosiven Mischung aus Gewalt, Ausgrenzung, Armut und Versagen der Justiz, mit der, wie Peetz sagt, die Gesellschaften Zentralamerikas mit ihren begrenzten finanziellen und zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten schlicht überfordert seien. Viele Kinder und Jugendliche, die sich den Banden anschließen, sind als Strandgut der Nachkriegswirren groß geworden. Sie kommen vor allem aus den Städten, wachsen ohne Bildung und Jobperspektiven auf und gleiten wegen katastrophaler sozialer Verhältnisse früh in das kriminelle Milieu ab. In den Peer-Groups erfahren sie, was ihnen anderswo versagt bleibt: Schutz, Heimat, eigene Stärke.

Begünstigt wird die Ausbreitung der Jugendbanden durch die freie Verfügbarkeit von Waffen jeder Art, die teilweise aus den früheren Arsenalen der Bürgerkriegsparteien stammen. In Mexiko beteiligen sich Maras am Menschenhandel in die USA. Sie überfallen Züge und rauben den Passagieren ihr Geld. In den Armenvierteln der Städte streiten sich die Jugendbanden mit den Drogenkartellen um die Rauschgiftverteilung – oder werden für deren Auseinandersetzungen untereinander als Mörder eingesetzt. Die meisten Mitglieder der Banden sind selbst rauschgiftabhängig. Als Einstandsritual bekommen Männer eine Tracht Prügel, Mädchen werden nicht selten vergewaltigt.

Charakteristisch für die Bandenmitglieder ist die Tätowierung auf dem ganzen Körper mit Angaben über die Zugehörigkeit zu ihrer Gruppierung. An der rechten Hand zwischen Zeigefinger und Daumen geben bestimmte Zeichen über die Art der begangenen Verbrechen Auskunft. Wer die Maras verlässt, gilt als Verräter und überlebt meist nicht mehr lange – außer, wie Giga-Experte Peetz erläutert, er tritt zur Kirche über: Gott und Mama sind die Einzigen, die ihren Respekt genießen.

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