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Korankonform am Beckenrand. Eine muslimische Schülerin im Burkini. Den Anblick halbnackter Jungen haben sie hinzunehmen, meinen manche Gerichte.

© picture-alliance/ dpa

Justiz: Bundesrichter urteilen über Burkini

Eine muslimische Schülerin soll verhüllt am Schwimmunterricht teilnehmen – nun klagt sie vor dem höchsten Verwaltungsgericht. Es könnte zu einem Grundsatzurteil kommen.

Erstmals muss das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einen Streit um den „Burkini“ entscheiden, einen Badeanzug, der muslimischen Mädchen die Teilnahme am schulischen Schwimmunterricht nach ihren Glaubensregeln ermöglichen soll. Die Familie einer Frankfurter Schülerin will gegen ein Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Revision einlegen, mit dem das Kind zur Teilnahme am gemeinsamen Schwimmen mit Jungen verpflichtet worden ist. „Es handelt sich um einen Einzelfall mit grundsätzlicher Bedeutung“, sagte ihr Anwalt Klaus Meissner dem Tagesspiegel. „Es geht um den Integrationswillen Einzelner, aber auch darum, inwieweit die aufnehmende Gesellschaft Rücksicht gegenüber religiösen Besonderheiten üben muss.“

Knapp 20 Jahre nach einer Entscheidung des Leipziger Gerichts könnte es nun erneut zu einem Grundsatzurteil kommen. Der Hessische VGH hatte Ende September geurteilt, das Tragen eines „Burkini“, der den ganzen Körper bedecke, komme den Glaubensvorstellungen der damals elf Jahre alten Tochter marokkanischer Eltern entgegen und sei ihr zumutbar. Die Schüler sollten dem Integrationsauftrag des Grundgesetzes zufolge Werten und Überzeugungen der pluralistischen deutschen Gesellschaft begegnen. Der gemischte Unterricht sei eine „integrationsfördernde Schulveranstaltung“ bei dem „Kinder unterschiedlicher Kulturen zusammenkommen und Differenzen kennen und tolerieren, aber auch überwinden lernen können.“ Unerwünschte Körperkontakte und der Anblick von Mitschülern in Badehosen seien deshalb hinzunehmen.

Der Hessische VGH in Kassel ist nicht das einzige Gericht, das dies so sieht. Mehrfach hat die Justiz in den vergangenen Jahren Bescheide von Schulen bestätigt, mit denen Anträge auf Befreiung vom Schwimmunterricht aus religiösen Gründen abgelehnt worden waren. Bislang hat aber noch kein Kläger ein Verfahren bis zum Bundesverwaltungsgericht getrieben. Wie dies nun entscheiden wird, ist offen. In einem Grundsatzurteil von 1993 allerdings hatte es noch eine liberale Linie vertreten: Sei objektiv nachvollziehbar ein Gewissenskonflikt dargelegt, bestehe einen Anspruch auf Befreiung. In dem Fall ging es allerdings um zwei bereits 12 und 13 Jahre alten Mädchen, und korankonforme Schwimmkleidung aus Elastan war noch unbekannt.

Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat sich seit dem Leipziger Urteil verschärft, zumindest in der Tonlage. In zwei Urteilen, auf die sich jetzt auch der Hessische VGH beruft, betonte es ein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten „Parallelgesellschaften“ entgegenzuwirken. In diesen Fällen ging es allerdings nicht um Muslime, sondern um bibeltreue Christen, die ihre Kinder zuhause unterrichten wollten, statt sie in eine staatliche Schule zu schicken.

Auf Linie der alten Leipziger Entscheidung liegt derzeit noch die Praxis in Berlin. Die schriftliche „Handreichung“ der Bildungsverwaltung „Islam und Schule“ empfiehlt, den Schwimmunterricht nach Geschlechtern getrennt abzuhalten. Parallelklassen könnten dafür zusammengelegt werden. Befreiungen seien aber möglich, die alte Entscheidung der Bundesrichter wird als vorbildlich geschildert: „Man möchte Kindern, Jugendlichen oder auch Eltern ersparen, von Staats wegen in eine für ihr Gewissen belastende Situation gedrängt zu werden.“

Die Vertreter muslimischer Verbände sehen den Fortgang des Verfahrens mit gemischten Gefühlen. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek sieht weniger ein Integrations- denn ein allgemeines Problem: „Immer mehr Kinder lernen gar nicht mehr richtig schwimmen, weil die öffentliche Hand immer mehr Schwimmbäder schließt“, sagt er. Die Nöte muslimischer Eltern wären aus Sicht Mazyeks im Sinne der Berliner „Handreichung“ zu lösen. „Landesschulgesetze mahnen seit Jahren den getrennten Sport-und Schwimmunterricht aus pädagogischen Gründen an, die mit den spezifisch islamischen Problemen gar nichts zu tun haben. Da geht es um die Bedürfnissen pubertierender Kinder, sich nicht beobachtet oder beschämt zu sehen. Wir haben hier ein erhebliches Umsetzungsproblem.“

Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrats, argumentiert ähnlich: „Besser als ein Urteil wäre ein Angebot. Geschlechtergetrennter Schwimmunterricht sollte doch möglich sein.“ Dass dies nicht weltfremd sei, sehe man daran, dass Bayern, Baden-Württemberg und teilweise Rheinland-Pfalz ihn sogar vorschreiben – und das nicht der Muslime wegen. „Auch wir Muslime legen Wert darauf, dass unsere Kinder schwimmen lernen. Aber wir wünschten uns, dass dem unterschiedlichen Schamverständnis Rechnung getragen wird. Diese Unterschiede lassen sich durch ein Urteil nicht ändern.“

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