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Politik: Kabinett der Musterknaben

Der türkische Premier Gül stellt seine Minister vor – und will dem Islamismus-Vorwurf entgehen

Augenfälliger hätte der Beginn der neuen Ära kaum sein können. Als der neue türkische Regierungschef Abdullah Gül am Dienstag ins Ministerpräsidentenamt in Ankara kam, um die Amtsgeschäfte von seinem Vorgänger Bülent Ecevit zu übernehmen, wirkte Ecevit so gebrechlich wie noch nie. Zur Verabschiedung musste Ecevit sogar mit dem Aufzug ins Erdgeschoss seines bisherigen Amtsgebäudes fahren, weil er keine Treppen mehr steigen kann. Nach einem halben Jahrhundert in der Politik verließ Ecevit sein Amt durch den Hinterausgang.

Der krasse Unterschied zwischen Gül und Ecevit führt der türkischen Öffentlichkeit noch einmal vor Augen, wie sehr sich die Politik ihres Landes seit den Wahlen vom 3. November verändert hat. Eine verbrauchte Regierung tritt ab, eine frische Mannschaft kommt. Mit Zuschnitt und Besetzung seines Kabinetts hat Gül zudem großes Geschick im Umgang mit denen bewiesen, die seiner islamisch gefärbten Partei für Recht und Entwicklung (AKP) skeptisch gegenüberstehen.

Güls Regierung besteht aus ihm selbst und 24 Ministern, das sind neun Minister weniger als unter Ecevit. Die AKP will die Kabinettsverkleinerung als Sparbeitrag verstanden wissen. Doch nicht nur mit der Ministerzahl sendet die AKP Signale. Alle sensiblen Posten in der neuen Regierung wurden mit Blick auf mögliche Kritiker besetzt; islamistische Scharfmacher sucht man vergeblich.

Der Posten des Außenministers ging an den 64-jährigen Karrierediplomaten Yasar Yakis, der Englisch, Französisch und Arabisch spricht. Schon in dieser Woche will er sich beim Nato-Gipfel in Prag seinen westlichen Amtskollegen vorstellen. Neuer „Superminister“ für Wirtschaft ist der erst 35-jährige Ali Babacan, ein in den USA ausgebildeter Wirtschaftsexperte. Als Verteidigungsminister muss sich Vecdi Gönül um die heiklen Beziehungen der AKP-Regierung zu den streng laizistischen Militärs kümmern; dabei kommt ihm nicht nur seine Karriere im Staatsapparat zugute, sondern auch seine persönliche Freundschaft zu Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer. Neuer Innenminister ist Abdülkadir Aksu, der lange der konservativen und über jeden Islamismus-Verdacht erhabenen Partei Anap angehörte. Aus derselben Partei stammt Erziehungsminister Erkan Mumcu, der eines der schwierigsten Ressorts übernimmt: Das Bildungswesen ist vor allem wegen des Kopftuchverbots an Schulen und Universitäten ein politisches Minenfeld zwischen den Interessen der islamischen AKP-Wähler und den Militärs. Ursprünglich hatte Gül für diesen Posten einen früheren Universitätsrektor vorgesehen, dem islamistische Tendenzen vorgeworfen werden. Sezer erhob jedoch Einwände. Noch während des Gesprächs mit Sezer besserte Gül kurzerhand sein Kabinett nach – und ging damit einer Konfrontation aus dem Weg.

Bundeskanzler Gerhard Schröder ist am Dienstagabend in Berlin mit dem Chef der AKP, Erdogan, zusammengetroffen. Thema war ein möglicher EU-Beitritt. Wenn Ankara dafür die notwendigen Bedingungen erfülle, könne das Land auf dem Kopenhagener EU-Gipfel im Dezember mit einem „zusätzlichen Signal“ rechnen.

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