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Finanzminister Schäuble und Kanzlerin Merkel.

© dpa

Kabinett: Merkel und Schäuble auf Gerüchtereise

Die Kanzlerin und ihr Finanzminister sind nach Seoul gereist, um die Weltfinanzen zu regulieren. Doch ihnen folgten Spekulationen: Schäuble werde abgelöst. "Frei erfunden", schnauft Merkel und will die Debatte beendet haben. Aber die erweist sich als hartnäckig.

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Nachgerade gefaucht hat sie. „Unfug, glatter Unfug!“ Angela Merkel kann, wenn sie will, sehr deutlich werden. Am Freitagmorgen im Frühstücksraum des Ritz Carlton in Seoul will sie es. In Deutschland ist es halb eins in der Nacht, noch ein paar Stunden, bis die ersten Frühaufsteher daheim am Kiosk die Schlagzeile des „Handelsblatt“ lesen werden. „Merkel plant Kabinettsumbildung“, steht da kategorisch, darunter ein wohlbekanntes Bild: Wolfgang Schäuble. Es ist nach allem, was war in den letzten Tagen, eine nur allzu erwartbare Schlagzeile. Schäuble, der Finanzminister, der seinen Pressesprecher vor laufenden Kameras runtergeputzt hat wie einen dummen Bengel. Schäuble, der Mann im Rollstuhl, der wochenlang ins Krankenhaus musste. Na klar, wird jeder morgenmüde Leser sagen, irgendwann geht’s nicht mehr. In Deutschland ist es immer noch dunkel, als Angela Merkel und Wolfgang Schäuble in Südkoreas Hauptstadt vor die Presse treten. Gemeinsam, was nicht geplant war. „Im trauten Einvernehmen“, sagt Merkel, damit es der Letzte begreift. Denn was diese Zeitungsgeschichte angeht – „frei erfunden“.

Das Wörterbuch der Politikersprache kennt neben viel Wolkigem auch ein paar ganz präzise Formeln. Unter dem Buchstaben „D“ finden sich halbe Dementis, Dementis, die genau betrachtet gar keine sind, ja sogar solche, die sich selbst Lügen strafen. „Frei erfunden“ ist eindeutig. Außerdem ist es strafbewehrt. Wenn ein Politiker sagt, etwas sei frei erfunden und es ist aber in Wahrheit wahr, dann ist er erledigt. Schäuble weiß das aus leidiger Erfahrung, Merkel weiß es auch.

Man könnte also jetzt zur Tagesordnung übergehen, so wie es Merkel und ihr Minister in Seoul tun, zum G-20-Gipfel der wichtigsten Wirtschaftsnationen. Er wolle nur mal darauf aufmerksam machen, gibt Schäuble einem Deutschlandfunk-Redakteur dabei zu bedenken, dass es „um den Gesundheitszustand der Weltwirtschaft“ gehe und nicht um den – damit verglichen doch eher nebensächlichen – Gesundheitszustand des Bundesfinanzministers. Und dass er auf Berichte über seine angebliche Ablösung nicht viel Zeit verschwende, weil er genug Aufgaben und Verantwortung habe, auf die er sich konzentrieren müsse. Und im Übrigen: „Dazu hat ja die Bundeskanzlerin gesagt, das sei frei erfunden.“

Das Wörterbuch des Wolfgang Schäuble ist noch präziser sortiert als branchenüblich. Er besteht auf der exakten Urheberschaft. Nicht er – die Kanzlerin hat dieses „frei erfunden“ gesagt. Wenn Wolfgang Schäuble es nötig hätte, Schutz zu suchen, dann wäre dieses Dementi für ihn ein sehr fester Wall. Wenn Merkel vorgehabt hätte, ihr Kabinett auf Kosten Schäubles umzubilden, hätte sich das jetzt erledigt.

Die Sache ist nur, dass Schäuble diesen Schutz gar nicht nötig hat. Als es ihm vor ein paar Wochen richtig dreckig ging, eine entzündete Wunde, die einfach nicht heilen wollte – da hat er Zweifel anklingen lassen, ob er die mörderische Belastung weiter durchsteht. Merkel hat ihn ermutigt. Sie hat sogar bei seiner Frau angerufen. Die Kanzlerin und der Mann, der sie dazu gemacht hat, haben über die Jahre ein sehr kompliziertes Verhältnis aus Nähe und Distanz, Zutrauen und Misstrauen entwickelt. Diesmal war er dankbar und gerührt.

Wir könnten nun also endlich wirklich zur Weltwirtschaft kommen und zu diesem Gipfel in Seoul, wenn es nicht doch einiger Betrachtungen wert wäre, wie so eine Schlagzeile denn dann zustande kommt. Dazu muss man wissen, dass sich über Schäubles Zukunft seit der desaströsen Demütigungsszene mit seinem Sprecher Michael Offer jeder rund um den Reichstag Gedanken gemacht hat. Meistens sind diese Gedanken finster. Dass Schäuble, der Beherrschte, derart ausgerastet ist – war das nicht ein Indiz, dass da einem auch sonst die Dinge entglitten? War nicht, zum Beispiel, Volker Kauder ganz schön sauer, weil selbst er als Fraktionschef die Gemeindesteuerpläne des Ministers aus der Presse erfuhr? Kauders FDP-Kollegin Birgit Homburger, nicht minder überrascht, hat sich darüber sogar öffentlich entrüstet.

Bei jedem anderen Minister wäre Letzteres in die Kategorie „Normaler Koalitionskonflikt“ gefallen. Aber Schäuble ist kein normaler Minister. Für die FDP ist er der Mann, der ihnen die große Steuerreform aus der Hand geschlagen hat. Das nehmen sie ihm dort nach wie vor übel. Trotzdem wäre es falsch zu glauben, die Liberalen betrieben hinterrücks seine Ablösung. Sie könnten das gar nicht. „Wenn wir ihn weghaben wollten, müsste Merkel ihn doch erst recht halten“, sagt einer aus der Führung der Freidemokraten.

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Gedanken machen sie sich auch in der Union. Niemand, sagt einer, der sonst schon mal für vorwitzige Worte gut ist, niemand in der ganzen CDU und CSU würde je Wolfgang Schäuble auffordern, sein Amt aufzugeben – auch Merkel nicht. Nicht diesen Mann, der dem Land gedient hat und der seit 20 Jahren im Rollstuhl sitzt, genau weil er dem Land gedient hat. Aber sie verstehen ihn nicht mehr. Warum er sich nicht entschuldigt hat bei dem Sprecher Offer, zum Beispiel. „Überreagiert“ habe er, sagt Schäuble dazu bis heute bloß. Und beharrt darauf, er habe „Grund zur Verärgerung“ gehabt.

Merkel hat ihn auch nicht verstanden, menschlich nicht und mit Blick auf die politischen Folgen genauso wenig. Vielleicht weiß sie besser als der um eine Generation Ältere, was es heißt, dass sein Ausraster nicht bloß einmal in der Tagesschau vorbeiflimmerte, sondern von jetzt an ewig im Internet zu sehen ist. Sie hat ihn kurz vor dem Abflug nach Seoul zum Vier-Augen-Gespräch geholt und das den Regierungssprecher verkünden lassen. „Sie wollte ihn damit nicht schwächen“, versichern Leute, die es wissen müssen. „Aber sie fand, es musste klar sein, dass ihr dieser Vorgang nicht egal ist.“

Für die Merkel-Astrologen rund um den Reichstag aber war das ein Indiz. Dass der Regierungssprecher auf die Nachfrage hin schwieg, ob Schäuble noch das Vertrauen seiner Chefin habe, war das nächste Indiz. Dazu das Gegrummel aus der Fraktion, diese überall spürbare Stimmung, dass natürlich niemand Schäuble weg haben wolle, aber andererseits ... schafft er das? Kann er das? Ist er nicht doch verändert seit dem letzten Krankenhausaufenthalt? Unwirscher? Der Körper am Ende? Niemand, wie gesagt, würde Schäuble zum Aufhören drängen. Aber kaum einer würde sich mehr darüber grämen, hörte er auf.

Aus solchen Stimmungen können sich Eindrücke festigen. Aus Eindrücken können Schlagzeilen werden, die mehr zu wissen vorgeben. Die Autoren des fraglichen Artikels haben sich sorgsam gehütet, sich auf einen Zeitpunkt für die angeblichen Merkel-Pläne festzulegen. Ihre Quellen bleiben diffus. Sie sind vorsichtig genug, Nachrücker-Spekulationen im Konjunktiv zu behandeln – Thomas de Maizière könnte Finanzminister werden, Volker Kauder oder Norbert Röttgen neuer Innen-, die Baden-Württembergerin Tanja Gönner neue Umweltministerin. Könnte, würde.

Das Dumme ist nur, dass all dieses Könnte und Würde genauer betrachtet alles Mögliche wäre, nur kein „Befreiungsschlag“. „Es macht doch gar keinen politischen Sinn für Merkel, Schäuble loszuwerden“, sagt einer aus der CDU. Es macht keinen Sinn, den Fraktionschef Kauder zum Minister zu machen – wer sollte ihm nachfolgen? – oder den Umweltminister ins Innenressort aufsteigen zu lassen – Röttgen muss ständig damit rechnen, als frischbackener CDU-Chef von Nordrhein-Westfalen in Wahlen zu ziehen, außerdem reicht sein politisches Gewicht jetzt erst mal.

„Ich habe hier mit Wolfgang Schäuble hervorragend zusammengearbeitet und beabsichtige, das auch weiter zu tun“, sagt Merkel in Seoul. Die Spekulationen daheim kommen ihr schon deshalb ungelegen, weil sie ein Ergebnis übertönen, das sich beim CDU-Parteitag am Montag in Karlsruhe als hübscher Erfolg verkaufen lässt. Ein Erfolg über Barack Obama, den US-Präsidenten mit dem akuten Popularitätsproblem. „Das kommt im Moment bei unseren Leuten ganz gut rüber“, sagt ein Christdemokrat.

Wobei die Sache im fernen Asien eigentlich schon gelaufen war, bevor die Weltenlenker eintrafen. Die Amerikaner hatten lange Zeit klare Vorstellungen, was die G 20 im Abschlusskommuniqué beschließen sollten: dass das mit diesen massiven Exporten aus Deutschland und China irgendwie aufhören müsse, damit endlich wieder amerikanische Produkte in der Welt zum Zuge kommen. Merkel hat sich das über Monate in Telefonschalten, Videokonferenzen und persönlichen Begegnungen angehört, mit steigendem Unmut, als zuletzt der US-Finanzminister Timothy Geithner allen Ernstes eine globale Exportquote vorschlug. Als ob man Siemens, Daimler oder Bosch sagen könnte, wie viel sie zu verkaufen haben! Am liebsten hätte sie den Herren aus Washington gesagt, sie möchten ihr den Buckel runterrutschen.

Aber dann hat sie doch lieber wieder moderiert. „Differenziert betrachten“ heißt Merkels Zauberwort. Sie legt es auch Obama selbst nahe. Dafür nimmt sie sich fast eine Stunde Zeit, fährt zu ihm ins Hotel Grand Hyatt, mit Beratern, Fernsehkameras und einem Lächeln. Obama kommt auf sie zu. Die Linien in seinem Gesicht sind scharf gezeichnet, das Haar grauer als in den Zeiten des „Yes we can“-Schlachtrufs. Man könne ja gleich mit der Arbeit beginnen und sich die Floskeln sparen, sagt er. „Heute hätte ich es gern mal gehört“, flötet sie. Später, in der großen Runde, kommt das Gespräch auf die deutsch-amerikanischen Verstimmungen der letzten Wochen. Ach was, sagen alle, das soll ein Ende haben. „Schieben wir’s doch auf die Finanzminister“, wirft einer ein. Gelächter. Wolfgang Schäuble lacht mit. Merkel wird auch dies nicht auf ihn schieben. Er hat genug zu tragen. Vielleicht am schwersten an dem Wissen, dass er ganz alleine ihr wird sagen müssen, wenn es zu viel wird.

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