zum Hauptinhalt

Kabinettsumbildung in Griechenland: Papandreous Resterampe

Zuletzt bewarfen die Griechen ihn mit faulen Orangen und aus seiner Fraktion traten die ersten Abgeordneten aus. Da ahnte der griechische Regierungschef Papandreou: So geht es nicht weiter. Jetzt hat er sein Kabinett umgebildet – ein letztes Aufgebot?

Das Licht der Kerzen flackert, und Weihrauchduft zieht durch den Raum. Auf einem Altar liegt ein in Gold gebundenes Evangelium, gewissermaßen ein Bild jener Zeiten, in denen der Weg klar und die Kasse voll waren.

Der griechische Premierminister Giorgos Papandreou ist mit den Männer ins Palais des Staatspräsidenten gekommen, die künftig die Regierung bilden sollen. Dort wird das Kabinett vor dem Athener Erzbischof Ieronymus II. den Amtseid ablegen. Ieronymus, prächtig gekleidet, stimmt die liturgischen Gesänge an, ihn unterstützen schwarzberockte Popen. Die Zeremonie beginnt. Diese kurzen Momente würdevoller Ordnung stehen in wildem Kontrast zu all der Unordnung, die sie nötig machte.

Evangelos Venizelos hebt die Hand zum Schwur. Verfassungsrechtler und bisheriger Verteidigungsminister. Ein bulliger Zwei-Meter-Mann, der als durchsetzungsstark gilt. Er ist nunmehr der neue Finanzminister im Kabinett Papandreou und einer von zwei Vizepremiers, was ihm zusätzliche Autorität geben gegenüber seinen Ministerkollegen geben soll.

Der alte Finanzminister Giorgos Papakonstantinou wechselt in das derzeit weniger beachtete Umweltministerium. Und zwar vor allem, weil die Sparprogramme ihn in Volk und Partei unmöglich werden ließen. Als Fachmann, als Ökonom, dagegen war Papakonstantinou akzeptiert, zumindest jenseits der griechischen Grenzen.

Dieses umgebaute Team soll nun – vom Spott („Alter Wein in neuen Schläuchen“) der Bankenwelt und der Opposition empfangen – die Rettung Griechenlands vorantreiben. Denn Griechenland sei mit nicht weniger als „den größten Gefahren seiner Geschichte konfrontiert“, wie Giorgos Papandreou dazu sagte.

Der neue Finanzminister ist ein Urgestein der sozialistischen Regierungspartei. Über seine finanzpolitische Vorstellungen ist bisher wenig bekannt. Als Verteidigungsminister hat er gerade erst den Rüstungsetat zusammengestrichen. Im neuen Amt muss er nun allein bis Ende 2011 das Budget um fast 6,5 Milliarden Euro entlasten, wenn das vorgegebene Defizitziel erreicht werden soll. Eine wirkliche Alternative zu dem Sparkurs seines Vorgängers dürfte es dabei kaum geben. Allenfalls kleine Korrekturen kann er versuchen, um die Lasten gerechter zu verteilen.

Es ist kein Geheimnis, dass Premier Papandreou im sechsten Stock des Finanzministeriums am Syntagmaplatz lieber einen anderen Mann gesehen hätte: Lucas Papademos, 64, Ökonomieprofessor, ehemaliger Gouverneur der griechischen Notenbank und früherer Vizepräsident der Europäischen Zentralbank.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie es begann in der Fraktion zu brodeln.

Immer wieder hat Papandreou ihn bedrängt, in sein Team zu kommen, als Minister, wenigstens als Berater. Papademos ist angesehen und gut vernetzt in den Kreisen, auf die es derzeit ankommt. Aber Papademos winkte immer wieder ab. Weil er die angebotene Aufgabe für unlösbar hält? Weil er der Regierung Papandreou keine großen Chancen einräumt? Weil er mit seinem guten Namen nicht für eine Politik bürgen möchte, die er bereits für gescheitert hält? Man kann nur spekulieren. Fest steht dagegen, dass das für Papandreou keine gute Nachricht war. Der Regierungschef wollte sich eigentlich schon am Donnerstag mit neuem Kabinett präsentieren, es sich sozusagen zum Geburtstagsgeschenk machen – er wurde am Donnerstag 59 Jahre alt. Aber daraus wurde dann nichts.

Während Papandreou mit seinem engsten Beraterstab über der neuen Ministerliste brütete, begann es in der Fraktion seiner Panhellenischen Sozialistischen Bewegung zu brodeln. Zwei Abgeordnete erklärten binnen weniger Stunden ihren Rücktritt, von weiteren hieß es, sie spielten ebenfalls mit dem Gedanken, ihre Mandate niederzulegen. Die Mehrheit der Regierung bröckelte, das Vertrauensvotum für die neue Regierung schien gefährdet.

Auf einer eilig einberufenen Fraktionssitzung versuchte Papandreou, seine Abgeordneten zu überzeugen. Die Sitzung begann gut: Die Fraktion feierte den Premier mit Standing Ovations. Das ist zwar ein übliches Ritual bei den griechischen Sozialisten. Aber diesmal genoss Papandreou die Huldigungen besonders. Lächelnd hob er die Faust zum sozialistischen Gruß. Erst am Tag zuvor hatte er auf dem Weg in sein Büro durch ein Spalier johlender, pfeifender Demonstranten fahren müssen. Es war der Tag des Generalstreiks und der Massenproteste in Athen, ein Tag des Volkszorns. Papandreous Fahrer hat zwar Gas gegeben, aber dennoch trafen einige Wurfgeschosse die Limousine des Premiers: halb verfaulte wilde Orangen, wie sie zu dieser Jahreszeit überall in Athen unter den Zierbäumen am Straßenrand liegen.

Vielleicht hat Papandreou es da gemerkt: dass es zu Ende geht. Dass er allein das Krisenmanagement nicht stemmen kann. Gegen 15 Uhr ließ er sich am Telefon mit dem konservativen Oppositionsführer Antonis Samaras verbinden. Die beiden sind alte Freunde, haben zusammen Ende der 70er Jahre am Amherst College in den USA studiert. Sie duzen sich immer noch, sind aber inzwischen erbitterte politische Gegner. Der bedrängte Papandreou schlug Samaras die Bildung einer großen Koalition vor, einer „Regierung der nationalen Einheit“, bot sogar den Verzicht auf das Amt des Regierungschefs an. „Daran soll es nicht scheitern“, sagte Papandreou. 20 Minuten dauerte das Telefonat, aber zu einer Einigung führte es nicht. Papandreou kündigte danach in einer kurzen Fernsehansprache eine Regierungsumbildung an. Er wirkte angeschlagen.

Lesen Sie auf Seite drei mehr über die schwindende Autorität des Regierungschefs.

Welche politische Autorität hat ein Regierungschef, der gerade dem Oppositionsführer seinen Rücktritt angeboten hat?

Umso mehr genoss er tags darauf, am Donnerstag, den Beifall der Fraktion. „Das Land macht kritische Zeiten durch“, sagte er und versuchte, seine Abgeordneten aus der Trostlosigkeit des Sparprogramms und des politischen Gezänks zu entführen: „Entweder Europa schreibt jetzt Geschichte“, sagte er, „oder die Geschichte schreibt Europa ab!“ Da sprach endlich mal nicht der Sparpremier sondern der Staatsmann Papandreou.

Aber zunächst einmal muss Europa neue Schecks für die Griechen schreiben. Er habe mit Kanzlerin Merkel telefoniert, berichtete Papandreou seiner Fraktion. Die EU schnüre ein „Mammutpaket“ für Griechenland, es gehe um ein Kreditvolumen, wie es das „in der Geschichte unseres Planeten noch nicht gegeben“ habe. Das klang fast, als sollen die Griechen stolz sein darauf, dass sie so viel Hilfe brauchen. Aber das sind sie nicht.

Während die Regierungsfraktion tagte, versammelten sich draußen vor dem Parlament wieder die Bürger, die sich das Prädikat „empört“ gegeben haben. Seit drei Wochen strömen allabendlich Zehntausende auf den Syntagmaplatz, um zu protestieren. Er verstehe den Schmerz, die Wut, sagte Papandreou, und dass er beides teile, und da nickten die meisten Abgeordneten, aber eine nicht. Die Fraktionssprecherin Vasso Papandreou, die mit dem Premier den Nachnamen teilt, aber nicht mit ihm verwandt ist, schimpfte los. Über den Finanzminister, der die Partei seit Monaten zum Narren halte, über Papandreou und die „Clique“, mit der er regiere, und dann gipfelte die Attacke in dem Ausruf: „Du musst dich ändern!“

Das hat Papandreou noch nie jemand so deutlich zu sagen gewagt. Schließlich gehört er zu einer der drei griechischen Polit-Dynastien, die sich seit Jahrzehnten an der Macht abwechseln. Sie haben das Land mit einem dichten Netzwerk von Klientelbeziehungen, von Abhängigkeiten und Gefälligkeiten überzogen. In dieser politischen Feudalwirtschaft liegt eine der Ursachen der Schuldenkrise. Papandreou ist Ministerpräsident in dritter Generation, er gehört zum System. Insoweit ist er Teil des Problems. Und doch wäre er gern Teil der Lösung. „Wir haben nicht den Luxus, uns vor der Verantwortung zu drücken, dies ist die Stunde des Kampfes“, erwiderte Papandreou, „und ich habe gelernt zu kämpfen“. Seiner Fraktion versichert er: „Ihr könnt euch auf mich verlassen – und ich verlasse mich auf euch.“ Aber kann er das?

Das wird sich am kommenden Dienstag zeigen. Dann muss sich die Regierung der Vertrauensabstimmung im Parlament stellen. An die Arbeit gingen die neuen Minister aber gleich nach der feierlichen Vereidigung. Der neue Finanzminister Evangelos Venizelos hat ohnehin kaum Zeit, sich einzuarbeiten. Schon am Sonntag erwarten ihn seine neuen Amtskollegen zu einer Sondersitzung der Eurogruppe in Luxemburg. Ganz oben auf der Tagesordnung steht Griechenland. Am Montag trifft Papandreou in Brüssel den EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso und Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker. In gut zwei Wochen dann muss das griechische Parlament das neue Sparprogramm verabschieden.

Und wenn nicht bis Mitte Juli die nächste Zwölf-Milliarden-Euro-Rate der Hilfskredite nach Athen überwiesen wird, geht Griechenland das Geld aus.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false