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Update

Kämpfe in Nahost: Israel kündigt mehrstündige Kampfpause an

In Nahost droht neuer Krieg. Donnerstagabend erreichten Raketen aus dem Gazastreifen erstmals auch die israelische Großstadt Tel Aviv. Die israelische Armee bereitet eine Bodenoffensive vor, will die Waffen aber kurzfristig schweigen lassen.

Israel bereitet nach Angaben aus Regierungskreisen für die Zeit des Besuchs des ägyptischen Ministerpräsidenten Hescham Kandil im Gazastreifen eine Kampfpause vor. Dies geschehe auf Wunsch Ägyptens, verlautete am Freitag aus dem Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Voraussetzung für die Kampfpause sei, dass auch die Militanten im Gazastreifen das Feuer einstellten.

Kandil will am Freitag während eines dreistündigen Besuchs in der Konfliktregion die Unterstützung Ägyptens für die Palästinenser bekunden und Möglichkeiten ausloten, wie die seit Mittwoch laufenden Angriffe Israels auf den Gazastreifen gestoppt werden können.

In Israel wurden derweil Reservisten einberufen und Truppen näher an die Grenze verlegt, offenbar in Vorbereitung einer Bodenoffensive. Ziel der Offensive soll die Zerstörung der Raketenstellungen der Hamas sein. Nachdem bei einem palästinensischen Raketenangriff aus dem Gazastreifen im Süden Israels drei Menschen getötet worden waren, hatte die Regierung in Jerusalem ein entschiedenes Vorgehen gegen militante Palästinensergruppen angekündigt.

In Israel waren am Donnerstagabend mindestens ein Dutzend Transporter zu sehen, auf denen Panzer in das Grenzgebiet gebracht wurden. Busse mit Soldaten waren auf dem gleichen Weg. Verteidigungsminister Ehud Barak erklärte, er habe die Streitkräfte ermächtigt, Reservisten einzuberufen. Bis zu 30.000 Soldaten könnten mobilisiert werden, erklärte die Armee. Das seien Vorbereitungen für eine Bodenoffensive im Gazastreifen, eine Entscheidung sei aber noch nicht gefallen, hieß es.

Angesichts der anhaltenden Raketenangriffe aus dem Gazastreifen wurde eine Offensive aber immer wahrscheinlicher. Nach israelischen Angaben wurden am Donnerstag fast 150 Raketen auf Israel abgefeuert. Erstmals seit dem Golfkrieg 1991 ist auch in der Großstadt Tel Aviv ein Luftalarm ausgelöst worden. Zugleich war eine dumpfe laute Explosion zu hören. Im Gazastreifen bekannte sich der bewaffnete Arm der dort herrschenden Hamas, die Kassam-Brigaden, zu einem Raketenangriff auf Tel Aviv. Zwei Raketen vom iranischen Typ Fadschr-5 seien bei Rischon Lezion und in Jaffa eingeschlagen, hieß es in einer Mitteilung der Organisation, deren Kommandeur am Vortag von Israel gezielt getötet worden war. Die israelische Armee dementierte zwar den Einschlag von Raketen in Tel Aviv, bestätigte aber etwa eine halbe Stunde vor dem Luftalarm den Einschlag einer Gaza-Rakete nur wenige Kilometer südlich von der Mittelmeermetropole auf einem freien Feld bei Rischon Lezion

In Tel Aviv brach zeitweise das Telefonnetz zusammen. Im Fernsehen war zu sehen, wie der Verkehr teilweise zum Stillstand kam und Menschen sich schutzsuchend flach auf den Boden legten. Die Menschen im Großraum Tel Aviv wähnten sich bisher in sicherem Abstand zum Schauplatz des jahrelangen Schlagabtauschs zwischen der israelischen Armee und militanten Palästinensern im Gazastreifen. Die Raketen flogen nie weiter als etwa 30 Kilometer. Tel Aviv liegt etwa 60 Kilometer entfernt.

Israels Luftwaffe flog einen Tag nach der gezielten Tötung des Hamas-Militärchefs Ahmed al Dschabari Dutzende Angriffe auf die dicht besiedelte Küstenregion. Dabei ist nach Angaben der Vereinten Nationen auch ein Lehrer einer UN-Hilfsorganisation getötet worden. Er sei am Mittwoch in der Nähe eines Ortes gewesen, der Ziel eines israelischen Luftangriffs war, hieß es. Die in Gaza seit 2007 herrschenden Islamisten wiederum feuerten Raketen auf den Süden Israels ab, dabei kamen in Kiriat Malachi drei Menschen ums Leben. Die Zahl der Toten stieg nach palästinensischen Angaben auf mindestens 15. In ganz Israel wurde die Polizei aus Angst vor Anschlägen in Alarmbereitschaft versetzt.

Angesichts der Militäroffensive hat der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak die Einberufung von bis zu 30.000 Reservisten gebilligt. Die Einberufung könne jederzeit erfolgen, sagte Armeesprecher Joaw Mordechai am Donnerstagabend dem Fernsehsender Channel 2. Die Armee sei dabei, „die Kampagne auszuweiten“. Ob die Obergrenze bei einer Einberufung voll ausgeschöpft werde, sei unklar. „Alle Optionen liegen auf dem Tisch.“

UN warnt vor "katastrophalen Folgen" des Konflikts

Die UN warnten vor „möglicherweise katastrophalen Folgen“ des blutigen Konflikts. Beide Seiten sollten sich zurückhalten. Auch US-Präsident Barack Obama forderte Israels Premier Benjamin Netanjahu auf, Todesopfer unter Zivilisten möglichst zu vermeiden. Gleichzeitig betonte er, Israel habe ein Recht auf Selbstverteidigung. Ägyptens Staatschef Mohammed Mursi hob in einer Ansprache hervor, die Angriffe drohten, die gesamte Region zu destabilisieren. Die USA müssten daher der „israelischen Aggression gegenüber dem palästinensischen Volk“ Einhalt gebieten. Zuvor war der ägyptische Botschafter aus Tel Aviv abgezogen worden. Allerdings brach Mursi die Beziehungen zu Israel nicht gänzlich ab. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas beendete vorzeitig eine Europareise, um an seinen Amtssitz im Westjordanland zurückzukehren.

Außenminister Guido Westerwelle warnte vor einer „neuen Spirale der Gewalt“. Die Lage sei „außerordentlich gefährlich, deswegen ist es wichtig, dass alle Beteiligten ihre Verantwortung für Deeskalation jetzt auch wahrnehmen“, sagte er am Donnerstag am Rande eines Außen- und Verteidigungsministertreffens in Paris. Zwar habe Israel angesichts des Raketenbeschusses aus dem Gaza-Streifen das Recht auf Selbstverteidigung. „Aber es ist gleichzeitig notwendig, dass auf Deeskalation gesetzt wird.“ Deshalb dürfe die Staatengemeinschaft nicht tatenlos zusehen. Der Europarat befürchtet eine „Tragödie großen Ausmaßes“.

Das Auswärtige Amt in Berlin rät auf seiner Internetseite Urlaubern in Jerusalem, einige Sicherheitshinweise zu beachten. Von Besuchen des Tempelbergs an Freitagen wird ausdrücklich abgeraten. In die Altstadt gehen Touristen besonders an islamischen und jüdischen Feiertagen am besten nur in ortskundiger Begleitung. Größere Menschenansammlungen in unübersichtlichen Situationen sollten sie meiden. In der ganzen Stadt sollten sie generell vorsichtig sein. Von Reisen in das Grenzgebiet des Gazastreifens warnt das Amt dringend ab. Die deutschen Reiseveranstalter sehen dagegen derzeit keine akute Gefahr für Urlauber. Es gebe keine Änderungen in den Programmen, teilt der Deutsche Reiseverband (DRV) mit. Urlauber sollten eventuelle Hinweise ihres Veranstalters berücksichtigen und die Nachrichten verfolgen.

Israels Armee hat nach eigenen Angaben seit dem Beginn der Operation „Säule der Verteidigung“ am Mittwoch mehr als 160 Ziele aus der Luft und von See aus angegriffen. Ziel sei es, die militärische Infrastruktur der Hamas, unter anderem Waffenlager und Abschussrampen, zu zerstören. Damit solle verhindert werden, dass weiterhin Raketen auf israelischem Territorium einschlagen. Dennoch waren militante Palästinenser nach eigener Darstellung in der Lage, 120 Geschosse abzufeuern. Eine Rakete schlug nur zwölf Kilometer von Tel Avivs Zentrum entfernt ein. In Städten wie Beerschewa und Aschdod heulten immer wieder die Warnsirenen. Ministerpräsident Netanjahu betonte, der Einsatz der Armee könne bei Bedarf ausgeweitet werden. Innenminister Elie Jischai sagte, die Regierung behalte sich den Einsatz von Bodentruppen im Gazastreifen vor. Das Sicherheitskabinett beauftragte Verteidigungsminister Ehud Barak, gegebenenfalls Reservisten einzuberufen.

Die Lage in Nahost gilt durch den Bürgerkrieg in Syrien als extrem angespannt. Vor kurzem waren Granaten der Assad-Armee auf israelischem Gebiet eingeschlagen. Israels Streitkräfte feuerten gezielt zurück. Frankreich kündigte am Donnerstag an, sich für Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen einzusetzen. (mit dpa/dapd)

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