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Politik: Kalte Macht

Von Tissy Bruns

Manchmal reißt der Vorhang auf und der demokratieverwöhnte Nachkriegs-Westeuropäer sieht wieder, was das ist: Macht. Und Menschen, die mit ihr hantieren und jonglieren jenseits von Verfahren und öffentlicher Kontrolle. Dann und wann liefern uns Skandale und Korruption den Stoff für das unbehagliche Gefühl, dass die demokratischen Regelwerke nur ein ganz dünner Lack sind über den Anmaßungen, zu denen Macht Menschen verleiten kann.

Wie es in Menschen und Nationen zugeht, wenn dieser dünne Lack fehlt, das zeigt in diesen Tagen der russisch-ukrainische Streit ums Gas. Mitten im Winter dreht Russland den Hahn zu. Eine Inszenierung auf der Höhe unseres Medienzeitalters weckt Gefühle an Zeiten, in den Moskau mit ganz anderen Prozessen Schau betrieben hat. Sie erinnert in den Ländern rings um Russland und bei den Kriegsgenerationen in Europa an die alten Schrecken und Traumata, offenbart bei den handelnden Politikern der Streitparteien ein lächerliches Omnipotenzgebahren und bei den beobachtenden EU-Länder hasenherzige Abwiegelei. Hier ist etwas aus den Fugen; vielleicht war es eine Illusion, dass mit zwischenstaatlichen Beziehungen und politischen Männerfreundschaften, EU- und Nato-Partnerschaften überhaupt schon alles in den Fugen war.

Der Befund lautet: Alles, was zur Beschwichtigung des Konflikts herangezogen werden könnte, unterstreicht nur besonders deutlich, wie grotesk er sich der rationalen Bearbeitung entzieht. Bei der Festsetzung des Gaspreises haben weder die Ukraine noch Russland ganz Unrecht oder Recht. Es handelt sich folglich um einen in der Sache regulierbaren Konflikt; Europa aber war zu schwach, um eine Eskalierung zum aufgeladenen Machtkampf zwischen zwei Angstpartnern zu verhindern.

Allen voran hat Russland das erste Gebot jeder Zivilität verletzt, wonach die Interessen der anderen Seite bei der Wahrnehmung der eigenen immer bedacht werden müssen. Die brutale Demonstration, vor laufenden Kameras die Gaszufuhr erst symbolisch erlöschen zu lassen und dann tatsächlich abzudrehen, gehört nicht ins Repertoire ziviler Nationen und Unternehmen. Russland hat damit der Ukraine moralisch Recht gegeben in der Rolle des bedrängten David, der von Russland für die orangene Revolution bestraft wird. Der Gaspreis ist zum Kampf zwischen Gut und Böse, Demokratie und kalter Macht geworden.

Energiekonflikte werden zu Aufladungen dieser Art immer einladen. Denn auf das Lebenselixier Energie sind alle angewiesen. Kein Blut für Öl, hat halb Europa vor 15 Jahren in Richtung USA gerufen. Doch diese Vereinfachung hat ebenso wenig getaugt wie das Gut–Böse-Schema der Ukraine oder Russland nützt. Es schadet, im Gegenteil, beiden ganz offensichtlich. Der Ukraine, weil sie am kürzeren Hebel sitzt. Schon wird hinter der öffentlichen Meinung in Europa das Gewisper hörbar, dass auch hier innenpolitische Kalkulationen wie die bevorstehende Wahl eine Rolle spielen. Russland wiederum betreibt mit seinen Muskelspielen einmal mehr die unfreiwillige Selbstentblößung der entthronten Supermacht. Es zeigt sich wieder als Partner, auf den man sich nicht verlassen, mit dem man sich nicht sehen lassen kann.

Es ist, als ob die Mechanismen des Kalten Krieges an neuer Front wieder aufleben. Gerade da, wo die Substanz eines Konfliktes zu moralischen oder machtpolitischen Dramatisierungen drängt, muss sich beweisen, ob Europa wirklich gelernt hat, zwischen opportunistischer Anpassung und Krieg Balance zu finden. Es war mühselig, zu lernen, dass wirtschaftliche Interessen keine verwerfliche Kategorie, politische Moral keine absolute Handlungsanleitung ist.

Findet sich niemand, der Russland klar sagt, was uns das letzte Jahrhundert eingebläut hat? In dieser Welt muss die Interessen des anderen mitbedenken, wer seine eigenen wahren will. Wenn es eine Stunde gibt für Gerhard Schröders besondere Beziehung zu Wladimir Putin, dann ist es diese.

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