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Politik: Kampf der Professoren

Vor dem Verfassungsgericht streiten die juristischen Vertreter von Regierung und Bundesrat über die Zuwanderung

„Die heutige Verhandlung wird wohl eher einem juristischen Seminar ähneln“, prophezeite Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer, als er am Mittwoch in Karlsruhe als Vorsitzender des Zweiten Senats die Sitzung eröffnete. Während Bayerns Innenminister Günter Beckstein und der Ministerpräsident des Saarlands, Peter Müller, ihre Argumente zur Ungültigkeit des Zuwanderungsgesetzes eher redlich bemüht als temperamentvoll vortrugen, legten sich die Rechtsprofessoren über Stunden ins Zeug, dass die Funken flogen. „Legasthenische Fehler“ bescheinigte der zur Schärfe neigende Berliner Staatsrechtler Hans Meyer allen, die dem Bundesratspräsidenten Klaus Wowereit vorwarfen, er habe in jener Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz gegen das Grundgesetz verstoßen. Meyer meinte damit, dass die Kritiker das Grundgesetz nicht richtig lesen und zudem den „törichsten herrschenden Meinungen“ aufsitzen würden.

Sein Kontrahent, der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee, trug es mit Fassung und blieb bei seiner Interpretation des Grundgesetzes. Dass dort geschrieben steht, dass ein Land seine Stimmen im Bundesrat nur einheitlich abgeben kann, steht fest. Was aber, wenn der eine Landesvertreter „ja“ und der andere „nein“ ruft, wie es am 22. März der Potsdamer Sozialminister Ziel und Innenminister Jörg Schönbohm taten? Sowohl für Isensee als auch für Meyer ist der Fall klar, wobei sie aber von ganz unterschiedlichen Modellen ausgehen und zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Isensees Lösungsweg: Brandenburg hat uneinheitlich abgestimmt. Nach diesem Votum hätte der Bundesratspräsident nicht noch einmal beim Ministerpräsidenten nachfragen dürfen, wie Wowereit das getan hat. Alle Bundesratsmitglieder seien gleich; Stolpe sei also weder Stimmführer noch mit der entscheidenden Stimme ausgestattet. Wowereit hätte folglich allenfalls noch einmal alle vier Vertreter Brandenburgs fragen dürfen, wie ihre Stimmabgabe zum Zuwanderungsgesetz lautet. Mit der Äußerung Schönbohms „Sie kennen meine Meinung“, sei sein Nein aber spätestens unumstößlich zum Ausdruck gekommen; die Stimmen Brandenburgs waren uneinheitlich abgegeben worden und damit ungültig.

Aus der Uneinheitlichkeit der Stimmabgabe auf ihre Ungültigkeit zu schließen, ist für Hans Meyer dagegen „eine Erfindung“, die keinen Halt im Grundgesetz finde. Entsprechend sieht der Lösungsweg für Meyer ganz anders aus: Nachdem Brandenburg im Bundesrat mit unterschiedlichen Stimmen gesprochen hatte, das Grundgesetz aber eine einheitliche Stimmabgabe jedes Bundeslandes vorschreibt, gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Stimmabgabe des Landes. Wowereit habe also geradezu nachfragen müssen, wie das Land nun abstimme. Da habe Stolpe mit Ja geantwortet, Schönbohm sein Nein aber nicht mehr wiederholt, sondern auf die frühere Erklärung verwiesen. Also habe Brandenburg zugestimmt, das Zuwanderungsgesetz sei korrekt beschlossen, sagte Meyer.

„Es ist wohl unausweichlich, dass wir die Fragen klären“, sagte Vizepräsident Hassemer. Spätestens im Dezember wird das geschehen sein.

Ulrike Knapp[Karlsruhe]

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