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Politik: Kampf gegen Rechts: Fluchthelfer

Sven Schulz steht unter Druck. Der 19-Jährige mit dem kahlrasierten Schädel wird von seiner Freundin bedrängt, endlich die Skinhead-Clique zu verlassen.

Von Frank Jansen

Sven Schulz steht unter Druck. Der 19-Jährige mit dem kahlrasierten Schädel wird von seiner Freundin bedrängt, endlich die Skinhead-Clique zu verlassen. Schulz, wegen Schlägerei vorbestraft, will nicht mehr mit dem Staat aneinandergeraten - dann droht Haft. Doch bleibt er in der Clique, ist die nächste Suff-Randale unvermeidlich. Der Skinhead ist unsicher. Die Clique ist seine Ersatzfamilie. Verlässt er sie, verliert er nicht nur seine Kumpels. Schulz muss auch ihre Rache fürchten. Doch die Freundin bleibt hartnäckig. Sie besteht darauf, dass Sven die Nummer anruft, die in der Zeitung stand.

Sven Schulz ist fiktiv, aber sein Fall nahezu modellhaft. "Oft sind es die Eltern oder die Freundin, die einen Neonazi zum Anruf drängen", sagt Bernd Wagner. Im letzten August hat der Berliner Kriminologe das bundesweit erste Aussteigerprogramm gestartet: "Exit Deutschland". Bund und Länder zogen nach. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im März eine "Hotline" geschaltet. In Baden-Württemberg hält die Polizei, in Rheinland-Pfalz das Bildungsministerium eine Telefonnummer bereit. In Brandenburg wurden inhaftierte Neonazis angesprochen, Niedersachsen beginnt damit. Und alle haben sich an Exit orientiert oder vom Erfahrungsvorsprung der Initiative profitiert.

Inzwischen gehen bei Exit pro Tag bis zu zehn Anrufe ein. Und reichlich Briefe, meist von verstörten Eltern. Exit hat dafür ein spezielles "Abfrageraster" erarbeitet. Da interessieren Freundeskreis, Schul- oder Arbeitssituation, Parolen und Ideologie sowie die Kommunikation von Eltern und Kindern - reden sie überhaupt noch miteinander?

Wagner und seine fünf Mitarbeiter werden oft als Anlaufstelle bevorzugt, weil sie nicht mit Polizei oder Verfassungsschutz zusammenarbeiten. Inzwischen haben sich mehr als 80 Gespräche mit potenziellen Aussteigern ergeben. "20 Neonazis haben einen Schnitt gemacht", sagt Wagner. Sechs NPD-Funktionäre, drei Mitglieder der international agierenden "Hammerskins" sowie elf "Wald- und Wiesen-Glatzen". Sechs Aussteiger seien inhaftiert. "Das reicht von schwerer Körperverletzung bis zu Mord."

Was passiert nun mit einem Sven Schulz, wenn er bei Exit angerufen hat? "Wir stellen Fragen", sagt Wagner. Warum will der Neonazi aussteigen? Hat er Straftaten begangen? Geht er noch zur Schule, hat er Arbeit, was machen die Eltern, gibt es eine Freundin? Und: "Wir checken die Sicherheitssituation. Damit wir wissen, was zu erwarten ist."

Vier der 20 Aussteiger wurden von ihren Ex-Kameraden drangsaliert. Meistens genügt aber der Umzug in eine andere Region, um einer rachsüchtigen Nazigruppe zu entkommen. Die Kosten für den Neuanfang übernimmt Exit nicht, gewährt jedoch zur Not einen kleinen Kredit. Und notfalls eine Reise: "Wir haben Fluchtwohnungen im In- und Ausland". Ein Teil ist schon belegt.

Gefährlich leben jedoch nicht nur die Aussteiger. Wagner berichtet von Morddrohungen gegen ihn und die Exit-Mitarbeiter. Größere Sorgen bereitet ihm aber das Geld. Zwar hat Exit 450 000 Mark vom "Stern" und 90 000 Mark vom Bundesjugendministerium bekommen. "Doch das reicht nur bis 2002", sagt Wagner. Und verweist auf die enorme Dauer eines Ausstiegs. "Es dauert fünf Jahre, bis bei einem ehemaligen Neonazi alle ideologischen Rückstände weg sind."

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